Die zehn besten Kriminalromane des Jahres in der KrimiZEIT-Bestenliste 2016, Teil 1/4

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Wie jedes Jahr hat die Jury der KrimiZEIT im Dezember eine Auswahl aus den Kriminalromanen getroffen, die sie im Laufe des Jahres monatlich empfohlen hatte: KrimiZEIT - Die zehn besten Kriminalromane des Jahres 2016.



Dabei wird Anzahl Zehn pro Monats fortgeführt als die zehn Besten des Jahres. Es sind unter den zehn Titeln also nur solche Krimis, die schon auf den Monatslisten ausgewählt wurden. Aber eben nicht eine Zusammenstellung aller ersten Plätze, sondern eine Auswahl unter 12 x 10 Titeln, was natürlich nicht stimmt, denn manche richtig guten Krimis überwintern schon mal mehrere Monate.

Schaut man nun genau fast ein Jahr zurück, dann sieht man für den Januar 2016 als Spitzentitel DAS BARMHERZIGE FALLBEIL von Fred Vargas. Aber, dieser tolle Roman wurde schon in den Monaten zuvor, also im Jahr 2015 ausgewählt und kam auf den dritten Platz der letztjährigen JahresKrimiBestenListe. Damals hatte übrigens Merle Kröger mit HAVARIE den ersten Platz eingenommen. Und Friedrich Ani mit DER NAMENLOSE TAG landete auf Platz 2.

Das Besondere damals war, daß die beiden einzigen deutschen Titeln unter den zehn Besten die beiden ersten Plätze eingenommen hatten. Ansonsten gab es damals einen koreanischen Platz, einen aus dem Französischen übersetzten, einen aus dem Spanischen und fünf – das ist die Hälfte der Krimis – sind englische Übersetzungen. Allerdings reicht es nicht, allgemein das Englische aufzuführen, denn zwischen Kanada, USA, England, Australien und Süd-Afrika zum Beispiel ergeben sich große Unterschiede, nicht nur sprachlich, sondern eben von den Geschichten und gesellschaftlichen Hintergründen her.

In diesem Jahr gibt es unter der  Jahres-KrimiZEIT-Bestenliste 2016 sogar vier (!!) deutsche Titel, allerdings geht der erste Preis an  BITTER WASH ROAD von Garry Disher  aus dem Unionsverlag (original 2013: Bitter Wash Road). Aber dann kommt schon an zweiter Stelle ein rundherum witziges Buch, BLAUE NACHT von Simone Buchholz aus dem Suhrkamp Verlag. DIE MAUER von Max Annas, erschienen bei Rowohlt ist die Nummer drei. Näheres das nächste Mal.

Grundsätzlich kann man schon sagen, daß die neueren Romane eher die Chance haben, auf die Jahresliste zu geraten, weil sie vielleicht(?) noch stärker in Erinnerung sind. Aber Malla Nunn beispielsweise hat mit TAL DES SCHWEIGENS ihren ersten Auftritt, im Januar 2016 direkt auf Platz 5 und schon im Februar auf dem ersten Rang. Jetzt auf der Jahresliste hat sie Platz 10, aber sie ist dabei!

Im März 2016 schnellte der Jahressieger Garry Disher aus dem Nichts auf Platz 1 und hielt sich lange oben.  Wir freuen uns auch über den Erfolg des Unionsverlages, der in letzter Zeit immer wieder auf die Auswahlliste kam. Ach was, schauen wir uns erst einmal diese Jahresliste mit dem Spitzenreiter an und interpretieren danach weiter, wie gelungen diese Auswahl ist oder ob auch andere Krimis angesagt wären.


Über Garry Disher (*1949) hat sich die Jury des Jahrespreises, besonders viele Gedanken gemacht. Er ist laut Tobias Gohlis vielseitig als Sachbuch-, Kinder- und Jugendbuchautor, Dramatiker und Kriminalschriftsteller tätig, aber in Deutschland immer noch – auch im Vergleich zu seinen Kollegen und Landsleuten Peter Temple und Michael Robotham – eine eher leise Empfehlung. Das hat vielleicht damit zu tun, dass seine in der Nachfolge Richard Starks, auch als Donald E. Westlake bekannt, stehende famose Serie um den vornamenlosen Verbrecher Wyatt in dem ebenso famosen, aber leider reichweitenschwachen Verlag Pulp Master (für Fans ein Muss!) erscheint.

Im Unionsverlag hat Disher bisher sechs Romane mit Inspector Hal Challis veröffentlicht, genaue, feine Gesellschaftsbeschreibungen, in die das Kriminelle organisch eingewoben ist. Die Challis-Romane spielen auf der Halbinsel Mornington südöstlich von Melbourne, wo Disher wohnt.

STIMMEN

Mit Bitter Wash Road hat Disher sich einen Traum erfüllt: Sein neuer Held Paul „Hirsch“ Hirschhausen –
 dem weitere Romane beschieden sein sollen – ist in die von Weizen, Wolle und geschlossenen Kupferminen geprägte Gegend in South Australia nördlich von Adelaide versetzt worden, wo Disher aufgewachsen ist und ein Teil seiner Familie immer noch lebt. Diese Landschaft und die in ihr ums Dasein kämpfenden verstreuten Menschen sind die Hauptdarsteller in Bitter Wash Road. Es ist eine zugleich
deprimierende und doch auch ermutigende Geschichte um den Tod eines jungen Mädchens, lokale und überregionale Polizeigewalt und –korruption, die Hirsch widerfährt, erzählt in einem ruhigen, genau die Abtönungen der Schatten beobachtenden Ton, von dem sich viele, viele Autoren eine Scheibe ablauschen sollten, könnten sie es denn. Kriminalliteratur vom feinsten: leise, genau, analytisch, „mit ernüchterter Zuneigung“ (Hannes Hintermeier) zu den menschlichen Wirrungen, die Disher beschreibt.
„Gesellschaftsmaler“ „mit langem Atem“ (Hannes Hintermeier, FAZ)

„Nicht unbedingt sind in einem Disher-Krimi die Dinge anders, als sie scheinen. Auch das ist seine hohe Kunst, dass er der Glaubwürdigkeit den Vorzug gibt vor dem Spektakulären.“ (Sylvia Staude, FR)



KrimiZEIT-Bestenliste 2016

 

 

Lfd.

Nr.

Rang

Titel

1

1

Garry Disher: Bitter Wash Road

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Unionsverlag, 352 S., 21,95 €

Tiverton, Südaustralien. Detective Paul „Hirsch“ Hirschhausen ist degradiert, auf einen Ein-Mann-Posten versetzt. Eine Sechzehnjährige wurde totgefahren. Hirsch (fast) allein gegen Sheriff, Vorgesetzte, Dorfbonzen. Weizen, Wolle, früher Kupfer, leeres Land. Ganz, ganz fein, staubtrocken und herzenswarm.

2

2

Simone Buchholz: Blaue Nacht

Suhrkamp, 238 S., 14,99 €

Hamburg. Chastity Riley ist in die Abteilung Opferschutz kaltgestellt. Die Staatsanwältin belagert einen halbtot geschlagenen Österreicher so lange, bis es ihr und ihren Kumpels gelingt, den Drogenboss von St.Pauli zu stellen. Frech, witzig und ein wenig melancholisch. Simones bisher bester. Darauf ein Astra.

3

3

Max Annas: Die Mauer

Rowohlt, 224 S., 12,00 €

East London, Südafrika. Als sein Auto streikt, sucht Student Moses Hilfe in einer weißen Gated Community. Wachleute pöbeln, er haut ab. Doch wie rauskommen aus dem Mittelstandsghetto? Private Security, Polizei, ein Diebespaar: Ein Hexenkessel aus Verfolgungswahn und Rassenhass. Groteske hoch zehn, Action auf den Punkt.

4

4

Liza Cody: Miss Terry

Aus dem Englischen von Grundmann&Laudan

Ariadne im Argumentverlag, 284 S., 17,00 €

London. Als im Müllcontainer die Leiche eines dunkelhäutigen Neugeborenen gefunden wird, bekommt die brave Lehrerin Nita Tehri den weißen britischen Überlegenheitsdünkel zu spüren: Sie hat dunkle Haut und muss die Mörderin sein. Nitas Glaube an Integration durch Anpassung zerbröselt. Sie lernt sich zu wehren. Famos.

5

5

Franz Dobler: Ein Schlag ins Gesicht

Tropen, 366 S., 19,95 €

München. Fallner ist Ex-Bulle, Ex-Ehemann, Ex-Bahnfahrer. Was nun? Bruder Hansen setzt ihn als Privatdetektiv auf eine Ex-68er-Schmuddelfilm-Darstellerin an, die einen Stalker an der Backe hat. DJ Dobler hat tarantinomäßig klasse gemixt: Filmzitate, Blondie-Tracks, Alltagssprache. Viel Prügel, wenig Blut. Spezial-Dobler-Sound.

6

6

Giancarlo de Cataldo/Carlo Bonini: Die Nacht von Rom

Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl

Folio, 320 S., 24,00 €

Rom. Papst Franziskus hat ein Heiliges Jahr ausgerufen. Kleriker, Immobilienhaie, Politiker, Bauunternehmer krabbeln wie Küchenschaben: Profit, Macht, Schwindel sind zu haben. Im Background der Kampf zweier Mafiosi um eine Frau und um Rom. Mafia capitale, zweiter Akt, famos illuminiert von zwei Insidern.

7

7

Andreas Pflüger: Endgültig

Suhrkamp, 459 S., 19,95 €

Barcelona, Moskau, Berlin. In Barcelona wird Spezialagentin Jenny Aaron angeschossen. Verrat und Mord. Jahre danach: Die erblindete BKA-Profilerin stößt erneut auf den Widersacher ihres Lebens. Perfekter, intelligenter Showdown über 48 Stunden. Pflüger kann Action und mehr, so unique in D-land.

8

8

James Grady: Die letzten Tage des Condor

Aus dem Englischen von Zoë Beck

Suhrkamp, 368 S., 14,99 €

Washington, D.C. Vor 40 Jahren ein Bestseller: Die 6 Tage des Condor. Jetzt ist Condor alt. Ein Agent hängt gekreuzigt bei ihm am Kamin. Wieder flieht er, wieder im Irrwitz-Paranoia-Dschungel der US-Geheimdienste. „Ich bin zu alt für diesen Scheiß.“ „Dem Scheiß ist es egal, wie alt du bist.“ Verkehrte Welt, große Literatur.

9

9

Dominique Manotti: Schwarzes Gold

Aus dem Französischen von Iris Konopik

Ariadne im Argumentverlag, 384 S., 19,- €

Marseille 1973. Der mit militärischer Präzision ausgeführte Mord an Unternehmer Pieri soll als Auseinandersetzung im Milieu ad acta gelegt werden. Nicht mit Commissaire Daquin. In seinem ersten Fall studiert er die Verfilzungen Marseilles und die Sitten der internationalen Öl-Branche. Schlau, aber ohnmächtig. Schwarzgold.

10

10

Malla Nunn: Tal des Schweigens

Aus dem Englischen von Laudan&Szelinski

Ariadne im Argument-Verlag, 318 S., 13,00 €

Drakensberge, Südafrika 1953. DS Cooper und DC Shabalala sollen den Mord an einer schwarzen Land-Schönheit aufklären – die Arschkarte für Kriminalisten im Apartheidstaat. Fallstricke überall: Zulu-Traditionen, Rassisten-Traditionen, Frauenunterdrückung sowieso. Behutsam, differenziert und klug: Nunn.

 

 

INFO:
 
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.
Einen Überblick über die jeden Monat erschienenen KrimiZEIT-Bestenlisten finden Sie unter www.zeit.de/serie/krimizeit-bestenliste



Die KrimiZEIT-Bestenliste Dezember wurde am 1. Dezember 2016 in der Wochenzeitung DIE ZEIT, auf ZEITonline unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste und im Nordwestradio veröffentlicht, am Donnerstag, den 1. Dezember 2016  gegen 9.20 live mit Tobias Gohlis und in den Sendungen der „Buchpiloten“, nachzuhören unter
www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/bestenliste100.html



Monatlich wählen einundzwanzig auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.


 
 
Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:
1
Tobias Gohlis
Hamburg
Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt
2
Volker Albers
Hamburg
Hamburger Abendblatt, DeKrPr*
3
Andreas Ammer
Berg
„Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*
4
Gunter Blank
Conil
Sonntagszeitung Zürich
5
Thekla Dannenberg
Berlin
Perlentaucher
6
Fritz Göttler
München
Süddeutsche Zeitung
7
Jutta Günther  
Nordwestradio/Radio Bremen
Bremen
8
Sonja Hartl
Zeilenkino.de, Polar Noir
9
Hannes Hintermeier
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Frankfurt am Main
10
Lore Kleinert
Bremen
Freie Kritikerin
11
Elmar Krekeler
BERLIN
Die Welt
12
Kolja Mensing
Berlin
Dradio Kultur
13
Marcus Müntefering
Spiegel Online, Krimi-Welt.de
Hamburg
14
Ulrich Noller
Köln
Deutsche Welle, WDR, DeKrPr
15
Frank Rumpel
SWR 2, frankrumpel.wordpress.com
Tübingen
16
Jan Christian Schmidt
Berlin
www.Kaliber 38.de, DeKrPr*
17
Guido Schulenberg
Nordwestradio/Radio Bremen
Bremen
18
Margarete v. Schwarzkopf
Köln
Literaturkritikerin
19
Ingeborg Sperl
Wien
Der Standard
20
Sylvia Staude
Frankfurt/Main
Frankfurter Rundschau, DeKrPr*
21
Jochen Vogt
Kleinich
NRZ, WAZ

*DeKrPr = Mitglied der Jury des Deutschen KrimiPreises

 
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden.

Das Prozedere der Platzverteilung  für die Liste ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2015 hier ebenfalls kommentierten. Noch im Dezember 2016 kommt die Erfolgsliste für dieses Jahr heraus, die wir dann ebenfalls kommentieren.

Die JahresKrimiZEITBestenliste     
Die Jahres-KrimiZEIT-Bestenliste 2016 wurde am 15.12.2016 auf ZEITonline unter zeit.de/krimizeit-bestenliste-2016  und im Nordwestradio veröffentlicht, am Donnerstag, den 15.12.2016 gegen 9.20 live mit Tobias Gohlis und in den Sendungen der „Buchpiloten“, nachzuhören unter www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/bestenliste100.html

Einen Überblick über die jeden Monat erschienenen KrimiZEIT-Bestenlisten finden Sie kommentiert in Weltexpresso sowie unter www.zeit.de/serie/krimizeit-bestenliste

 

Das war die JahresZEITBestenliste 2015 in Weltexpresso, hier ein letztes Mal abgedruckt


http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6227:die-jahresbestenliste&catid=78:buecher&Itemid=470

 
http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6228:vier-der-besten-haben-frauen-geschrieben&catid=78:buecher&Itemid=470