Andrea Camilleri setzt ihnen ein Denkmal im Kindler Verlag
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Erst einmal überrascht ein Buch von Camilleri im Kindler Verlag, der zu Rowohlt gehört. Es gibt kaum einen zeitgenössischen Schriftsteller, dessen Bücher in so vielen verschiedenen Verlagen in Deutschland erscheinen, allerdings auch kaum einen, der so viel schreibt – und nur wenige, die so gut schreiben, ist man hinzuzufügen.
Was Camilleri angeht, muß man auch betonen, daß er in gesegnetem Alter immer noch so schreiben kann, daß er sich gewissermaßen im Gespräch mit seinen Lesern befindet, so anregend ist seine Lektüre, zumal man nebenbei auch noch eine Menge lernt.
Wenn er nämlich von 'seinen' Frauen anfängt und man im Inhaltsverzeichnis von Angelica Seite 7, über Marika Seite 124 bis zu Zina Seite 212 immerhin 40 (in Worten: vierzig) Frauennamen liest, dann bekommt man es fast mit der Angst zu tun, was er wohl mit denen alles angestellt hat. Und man fragt sich sofort, ob er niemals verschiedene Frauen mit dem selben Namen geliebt hat. Das ist ja sogar uns passiert. Mit Männern. Mit den paar Männern. Aber der Meister des hintergründigen Humors stellt uns mit FRAUEN eine Melange aus Sehnsucht, Frauenidolen und persönlichen Liebeserlebnissen vor.
„Angelica, Carmen, Desideria, Inés, Xenia...Ich habe sie alle geliebt, für eine Stunde oder für immer. Einige mit Zurückhaltung, andere mit Ungestüm, wieder andere habe ich mir nur vorgestellt. Fest steht: Ohne sie wäre ich nicht zu dem geworden, der ich heute bin.“ erläutert er selbst sein Vorhaben, in ein Buch von 217 Seiten (geteilt durch 40 Frauen, gut fünf Seiten pro Frau) die Frauen seines Lebens zu sperren. Welch harscher Ausdruck, wo es doch um das Gegenteil geht: die Erleuchtung durch Frauen, die Freude, den Genuß, die sinnliche Erfahrung mit ihnen, wozu gehört, einige schon auf das Podest der Verehrung zu stellen. Dagegen haben wir gar nichts, Frauen gehören dahin, wenigstens die meisten!
Mit dem Anfang und ANGELICA lernen wir gleich den Autor kennen, wie ihm Biographisches und Frauen eins werden. Er schildert – er kann einfach schreiben, sagt man sich schon auf der ersten Seite glücklich – einfühlsam und spannend, wie das war, als er als Kind das verdeckt-versteckte Epos ORLANDO FURIOSO von Ariost entdeckte, an dem ihm vor allem die Illustrationen von Gustave Doré gefallen. „Dorés Stichen verdankte ich auch die unbeschreiblich erregende Erfahrung, zum ersten Mal den nackten Körper einer Frau zu sehen.“ Aber nicht so ganz, wie er weiterschreibt, denn Dorés Angelica gab's nie ohne Schleier, was aber dem Knaben Andrea die Möglichkeit gab, sich den Körper dahinter immer in Form eines anderen Mädchens vorzustellen: „Mit dem Zeigefinger fuhr ich behutsam über die Umrisse ihres Körpers, streichelte sie mit geschlossenen Augen, während mein Herz laut klopfte und ich mir den Namen Angelica unablässig aufsagte, wie eine Litanei.“
Und dann kommt er auf Angelica Balabanoff zu sprechen und wer diese nicht mehr kennt, soll im Buch weiterlesen. Eine der tollen Frauen, denen wir Heutigen weibliches Selbstbewußtsein mit verdanken. Bei ANTIGONE liegt nahe, daß er keine lebendige dieses Namens kennenlernte, aber was er hier historisch aufblättert, läßt er in einem jungen Mädchen ausklingen, die nicht Antigone heißt, aber eine ist: „Gleichzeitig begriff ich, daß dieses Mädchen aus demselben Holz geschnitzt war wie Antigone und daß Antigone in genau dem Ton mit Kreon gesprochen hatte.“ Mehr gibt BEATRICE her. Sie erinnern sich, Dante im Jahr 1274 und so weiter, wo Camilleri literarisch und historisch geradezu schwelgt und darum auch sieben Seiten braucht.
Doch, wir geben es zu, irgendwie machen uns die historischen Damen besonders an, weil der kluge, besser: der weise, lebenserfahrene alte Italiener diese bis in die Gegenwart lebendig hält. So wird
aus der CARMEN von Prosper Mérimée , 1875 die Opernfigur von Bizet, der aber Camilleri schnell Ibsens NORA (1879) und Hedda Gabler hinterherjagt, wozu 1888 Strindbergs Fräulein JULIE stößt, der sogar LULU folgt. Und heute? Auf jeden Fall eine interessante Reihung, nicht zwingend, aber einsichtig.
Aber ja, ein wenig erfährt man auch über den Mann und Liebhaber Andrea Camilleri: „Die persönlichen Begegnungen liegen teilweise so weit zurück, daß sie, glaube ich, Verjährung beanspruchen dürfen.“ Aber interessanter wird, wie er Historisches mit Weitergesagtem, Selbsterlebtem, gut Erfundenem, Bildhaftem mischt, so daß man den vierzig Porträts gerne lauscht. In einer Anmerkung berichtet der Autor als apercue, daß Italien 2013 ein Gesetz gegen 'Feminizid' verabschiedet hat, „gegen Ermordung von Frauen wegen ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht.“
Info: Andrea Camilleri, Frauen, Kindler Verlag 2017