TRÜGERISCHES LICHT. Lesung von Patrícia Melo in der Hasengasse, moderiert von ihrer Übersetzerin Barbara Mesquita, Teil 1/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Eine bessere Repräsentanz zum Internationalen Frauentag als die abendliche Lesung der brasilianischen Schriftstellerin Patrícia Melo auf Portugiesisch, mit Barbara Mesquita auf Deutsch des neuesten Krimis TRÜGERISCHES LICHT, erschienen bei Tropen, kann man sich kaum vorstellen: souverän, geistreich, kritisch.



Lesungen folgen ja oft Ritualen. Diese nicht. Es fing schon einmal ungewöhnlich an. Gut, die kurze Vorstellung ist üblich: brasilianische Autorin, seit 1998 in Deutschland zumindest den Krimi-Experten ein Begriff, da sie für O MATADOR den Deutschen Krimipreis erhielt und  2013 gleich für LEICHENDIEB  noch einmal. Und dennoch habe die Autorin öffentlich geäußert, TRÜGERISCHES LICHT sei ihr erster Kriminalroman. Wie das sein könne, das wüßte sie gerne, stieg Barbara Mesquita direkt ein und als diese Eröffnungsrunde vorbei war, dachte man sich: Hier braucht man keine Lesung, sondern will der klugen Autorin weiter stundenlang zuhören.

Dazu gleich mehr. Es geht nämlich nicht nur um die Inhalte, sondern auch die selbstverständliche Art und sprachliche Genauigkeit, in der beide dem Publikum das Wichtigste über die Autorin, den Roman und dessen gesellschaftliche Hintergründe vermittelten. Oft erlebt man ja Lesungen, wo Autoren nur ihre Bücher lesen wollen und die Moderatoren in der Hoffnung auf ein Gespräch die Worte einzeln aus dem Mund des Gegenüber pflücken müssen, so daß man mit den Moderatoren mitleidet.

Warum dies für sie ihr erster Kriminalroman sei, konnte man gut nachvollziehen. Ihre bisherigen Romane hätten alle das Phänomen der strukturellen Gewalt in Brasilien zum Thema, weil das für sie das vordringliche und ob seiner Komplexität kaum durchschaubare oder gar erklärbare gesellschaftliche Problem des Landes sei. Aber das hätte sie verwundert, denn es gab ja in ihren Romanen keine Ermittler oder sonstige Polizeiarbeit und sie habe darum die Kennzeichnung als Krimi als etwas zu weitgefaßt empfunden. TRÜGERISCHES LICHT dagegen habe sie bewußt als Krimi geschrieben, was Spaß gemacht habe.

Warum aber das Thema der Gewalt in Brasilien für sie beim Schreiben das Wichtigste sei, habe auch mit deren Ausmaß zu tun. Von 2010 bis 2015 seien in Brasilien 300 000 Menschen ermordet worden, alle 9 Minuten geschehe ein Mord. Mehr als die 270 000 Toten in Syrien, wo der Krieg wütet und die ganze Welt davon berichtet. „Ich muß einfach darüber schreiben, die Gewalt erfährt eine Banalisierung, weil sie überall ist.“

Ihr erster wirkliche Kriminalroman hat verschiedene Schauplätze, er spielt in der Medienwelt, in einer Reality Show, zeigt, wo die Menschen hochgejubelt und fallengelassen werden. Hier geht es um einen Schauspieler Fábbio Cássio und eine junge Frau aus dieser Fernsehshow...Die Lesung setzte ein mit der Szene im Theater aus dem Prolog, wo zwanzig Minuten vor zehn der Schlußmonolog von Fábbio beginnt, der mit dem Selbstmord endet, was vom Publikum brausenden Applaus ob der Wirklichkeitsnähe der Darstellung bringt.

Problem, der Mann ist wirklich tot. Mord? Selbstmord? Auf jeden Fall – so erfahren wir beim Weiterlesen – wird nun die Pathologin Azucena Gobbi Hauptfigur.  Schade, wir vergaßen nachzufragen, ob dies ein häufiger Name in Brasilien ist, denn den Namen Azucena kennen wir aus der Oper Troubadour, die Verdi ursprünglich sogar nach der Zigeunerin benennen wollte. Und wieder traf die Moderatorin eine richtige Entscheidung und fragte vor der nächsten Leserunde: Warum gibt es überhaupt eine Frau als Hauptfigur?

Das wurde dann zusammen mit der schon andiskutierten strukturellen Gewalt die zentrale Fragestellung des Abends, der nach den verschiedenen Sequenzen, in denen das erste Drittel des  Romans nun durch die Leseabschnitte bekannt waren, durch lebhaftes Nachfragen das Publikum miteinschloß. Fortsetzung folgt



Info:
Patrícia Melo, Trügerisches Licht. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Barbara Mesquita,
Tropen Buchverlag, Köln 2016