Stephan Harbort, Deutschlands bekanntester Serienmordexperte klärt auf, Knaur Verlag, Teil 2/3

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Das verstört einen auch an den weiteren Fällen, wie häufig eigentlich eine wache Umwelt die Morde hätte mitbekommen müssen, insbesondere bei der Krankenschwester und der weiteren Kindesmörderin, die drei Kinder gebar und sofort tötete, ohne daß ihr Ehemann oder die zwei Kinder, die sie leben ließ, überhaupt ihre Schwangerschaft mitbekommen hätten.

 

Wenn man von solchen schrecklichen Taten und Täterinnen liest, fragt man sich mit dem Autor, was Gesellschaften tun können, um derartige Morde zu unterbinden. Fast immer ist von mangelndem Selbstwertgefühl, von fehlender Liebe im Kindesalter ( 50 Prozent haben eine gestörte Mutter Kind-, 26 Prozent eine gestörte Vater-Kind-Beziehung ), vom Gefühl einer totalen Überforderung im Leben die Rede: „Es wird mir alles zu viel. Das ganze Leben wird mir zu viel. Ich weiß nicht, wie mein Leben sein müßte, daß es mir nicht mehr zu viel würde. Ist überhaupt etwas in meinem Leben in Ordnung.?“ (S. 15) Es gibt aber auch eine hohe Korrelation von Morden und mangelnder Intelligenz, von fehlender Frustrationstoleranz, von so vielem, woran es einem Menschen mangelt, weshalb die einen Tötungsphantasien entwickeln und ein Teil von diesen dann wirklich tötet, was falsch ausgedrückt ist, denn tatsächlich sieht die Statistik bei Tötungsphantasien dieser, diesmal nur 38 Fälle verurteilter Serienmörderinnen eine Null vor. Der Schluß lautet also, wer wirklich mordet, phantasiert das nicht vorher, sondern plant von vorneherein, zumindest über 80 Prozent.

 

Eins wird auch deutlich, denn das wird von den Mörderinnen sehr stark hervorgehoben. Die Umwelt, auch die direkte: Familie und Freunde hätten die Morde mitbekommen müssen. Einige der Mörderinnen haben sich sogar immer wieder offenbart, um gehindert zu werden, weiter morden zu müssen. Die erste Kindsmörderin macht daraus einen Machtkampf mit der Polizei. Sie weiß, daß sie beobachtet wird, daß man ihr mißtraut. Sie fordert die Polizei regelrecht heraus. Und dennoch hat diese nicht genug Beweise. Heißt es. Dieser Fall wird der einzige sein, in dem seitens der Kriminalpolizei mit einem verdeckten Ermittler gearbeitet wird. Dieser verhält sich absolut geschickt dieser Frau gegenüber, die, um ungezügelt leben zu können, ihre Kinder umbringt und zwar nicht als Babys, sondern als Kleinkinder mit je einer eigenen Geschichte.

 

Nicht, daß gerade Geborene umzubringen, weniger schrecklich sei, worauf ja auch der Begriff Kindsmörderin eigentlich zielt, aber man kann sich einfach nicht vorstellen, wie jemand, der diese Kinder geboren hat und Monate, ja Jahre mit ihnen lebte, diese schnöde umbringt. Insofern stellt man selbst beim Lesen doch so etwas wie eine Hierarchie der Mordmotive auf. Die, die man zumindest als solche erkennen, evt. sogar nachempfinden kann und solche, wie die erste Kindermörderin, die kalten Herzens und außerordentlich ‚geschickt‘ ihre Kinder umbringt. Geschickt deshalb, weil sie, wie sie stolz dem für einen Freund gehaltenen verdeckten Ermittler gesteht, an alles gedacht hat: „‘Die roten Pünktchen im Gesicht, die man auch in den Augen findet, wenn jemand erstickt wird!‘“ - „Sie habe eben gewußt, erklärt Jennifer mit leuchtenden Augen, daß sie mit dem Kissen nicht zu lange habe zudrücken dürfen, um keinen Verdacht zu erregen.“-‘“Deshalb habe ich es auch nicht mit einem Handtuch oder den Fingern gemacht. Die roten Pünktchen in den Augen haben gefehlt. Nur wenn ich viel länger zugedrückt hätte, wäre es gefährlich geworden, erst dann hätten die mir etwas gekonnt!“‘

 

Es ist wirklich widerwärtig, lesen zu müssen, wie sich eine Mörderin ihrer Taten brüstet und daraus ein Machtspiel mit der Polizei macht. Aber zurück zu den auch in diesem Fall ausgesendeten Signalen von Schuld an die Umwelt. Denn diese indirekten Hilfsersuchen der Mörderinnen sind in den übrigen vorgestellten Fällen von niemandem aufgegriffen worden. Erstaunlich zu lesen, daß sich Serienmörderinnen sogar darüber beschweren, daß man ihre Andeutungen und Hinweise in ihrer jeweiligen Umwelt nicht aufgegriffen hat. Da man nicht davon ausgehen kann, daß sich Mörderinnen und potentielle Mörderinnen aus ihrem „Suchtverhalten“ zu morden selbst befreien und Morde sein lassen, kann man nur an uns, an der Umwelt appellieren und bei uns selber ansetzen. Gesellschaften müssen solidarischer sein. Sie müssen ihre Mitwelt stärker mitbekommen, nicht nur den eigenen Stiefel leben, sondern Zeichen von anderen Menschen aufnehmen, deuten und beantworten.

Fortsetzung folgt

 

Foto: der Autor © Droemer-Knaur

Info: Stephan Harbort, Killerfrauen. Deutschlands bekanntester Serienmordexperte klärt auf, Knaur Verlag