Stephan Harbort, Deutschlands bekanntester Serienmordexperte klärt auf, Knaur Verlag, Teil 3/3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das gilt zuvörderst für Kindsmörderinnen. Von den sieben Fällen sind – wie gesagt – zweimal Mütter die Mörderinnen an ihren, je drei Kindern. Beide Mütter erscheinen völlig unterschiedlich in der Wahrnehmung ihrer Taten.
Die eine rechtfertigt sie, die andere hat sie angeblich gar nicht wahrgenommen, auf jeden Fall anschließend verdrängt. Aber, das ist eine psychoanalytische Binsenweisheit, alles Verdrängte sucht das Licht. Doch wollen wir darauf nicht weiter eingehen, sondern die Opfer anschauen und an deren Hilfsbedürftigkeit anknüpfen. Denn man kann die Gruppe der durch Serienmörderinnen Ermordeten auch danach differenzieren, ob diese diejenigen, die der Hilfe der Mörderinnen bedurft hätten, umgebracht haben oder ob es sich um Morde an Tätern gehandelt hat, also Personen, von denen sich die Mörderinnen unterdrückt und mißhandelt fühlten. Diese Unterscheidung ist wichtig, wobei natürlich auch Mord aus Habgier und Machtrausch bei den Fällen vorkommt. Aber der Autor zeigt uns in seinen Statistiken, daß Letzteres bei den Serienmörderinnen als Tatmotiv zu vernachlässigen ist.
Es geht bei den Opfern eindeutig um die ganz Jungen und die Alten, also um diejenigen Menschen, die sich gegen ihre Serienmörderinnen nicht oder nur schlecht wehren können. In der Kriminologie der Serienmörderinnen heißt es bei den Opfern „0-13 Jahre 42,5 Prozent“, das heißt, daß fast die Hälfte aller Opfer von Serienmörderinnen Kinder unter 13 Jahre sind. Es gibt kein einziges Opfer zwischen 14 und 20 Jahren. Und danach geringe Prozente. Es steigert sich auf 11,6 Prozente bei 61 bis 70 Jahren und beträgt dann bei den über 70jährigen sogar 27 Prozent.
Die Opfer sind zu 46 Prozent männlich und 54 Prozent weiblich und waren zu über 54 Prozent ledig, fast 20 Prozent verheiratet, nur 4 Prozent geschieden und fast 22 Prozent verwitwet. Letztere sind die Beuten von Krankenschwestern oder habgierigen Rentnermörderinnen. Dazu paßt auch, daß 54,6 Prozent der Opfer aus persönlichem/familiären Umfeld der Täterinnen kommen und über 29 Prozent aus deren beruflichem Umfeld.
Dazu paßt dann wiederum, daß die Entfernung von Tatort und Wohnung der Serienmörderinnen zu 67,8 Prozent nicht mehr als 10 Kilometern beträgt, kein einziger Mord mehr als 50 Kilometer entfernt passiert. Zufallsbekanntschaften machen nur 1,1 Prozent aus, denn aus vordeliktischen Beziehungen resultieren 57 Prozent der Opfer und wegen Krankheit/Schwangerschaft 32,2 Prozent. Die Dauer des Verbrechens dauert zu 74 Prozent länger als eine Stunde, wobei der Zeitraum von der Ansprache des Opfers bis zu dessen Leichenbeseitigung gezählt wird.
Betrachtet man noch einmal den Ort des Leichenfundes, so werden über 34 Prozent im Wohnbereich der Täterin gefunden, wobei noch mehr, nämlich 37 Prozent, ohne Leichenbeseitigung auskommen, wie es in Krankenhäusern, aber auch beim häuslichen Kindstod der Fall ist. Übrigens ist abschließend noch ein Merkmal bei Serienmörderinnen völlig anders geartet als bei den männlichen Pendants: bei Frauen spielt Drogenabhängigkeit null Prozent und Alkoholabhängigkeit nur zu 5, 3 Prozent eine Rolle.
Auch wenn dies nun selber schnöde mit erneuten Statistiken endet, liest der Leser des Buches jede Zahl als einen Menschen und daß gefällt uns an KILLERFRAUEN, wie Autor Stephan Harbort hier lebendiges Geschehen, zu persönlichen Fällen eingedämpft, mit Statistiken den Blick auf unsere Gesellschaft weitet und eben indirekt auch zeigt, was zu tun ist.
Kommentar:
Wir haben uns noch eingehender mit der Tötung von Kindern beschäftigt und deren geschlechtliche, geschichtliche und terminologische Seite betrachtet. Grundsätzlich wird die Tötung – warum eigentlich Tötung, das ist doch Mord – eines Neugeborenen als Neonatizid bezeichnet. Der Mord an kleinen Kindern wird auch als Infantizid benannt.
Dann gibt es aber weitere Definitionen, die den Begriff Neonatizid nur auf die ersten 24 Stunden nach der Geburt anwenden und beim Mord am Kind zwischen einem Tag und einem Jahr von Infantizid sprechen sowie von Filizid, wenn Kinder bei ihrer Ermordung älter als ein Jahr sind.
Eindeutig ist, daß in allen Gesellschaften, in denen Kindstötung zum Alltag dazugehörten und dazugehören, im Femizid insbesondere weibliche Kinder betroffen sind. Die Tötung weiblicher Kinder tritt üblicherweise in patriarchalischen Kulturen auf, in denen es eine starke Präferenz für Männer und eine Entwertung von Frauen gibt. Es ist Frauenfeindlichkeit und Gewinnstreben durch Besitz und Geld, warum weibliche Kinder umgebracht werden.
Wir alle haben die jahrzehntelange Praxis in China, mit der nur ein Kind pro Familie erlaubt war, mitbekommen, mit der Folge, daß in der Regel die weiblichen Föten abgetrieben wurden oder geborene Mädchen ermordet wurden. China beruft sich dabei sogar auf eine über 2000jährige Praxis: „(Mit dem Verhalten von) Eltern gegenüber (ihren) Kindern (ist es so): Wird ihnen ein Junge geboren, dann gratulieren sie sich gegenseitig; wird ihnen ein Mädchen geboren, dann töten sie es. [... Dass es so ist, ist weil die Eltern] ihre spätere Bequemlichkeit im Sinn haben und für einen langfristigen Vorteil planen.“
Neben der Geschlechterfrage spielte historisch bei der Ermordung von kleinen Kindern der Familienstand eine Rolle. So galt bis 1998 auch im deutschen Recht, daß Kindstötungen milder bestraft wurden als andere Tötungsdelikte und dann noch einmal die nichtehelich geborenen Kindstötungen bei oder kurz nach der Geburt noch geringere Strafen nach sich zogen. Das steht durchaus im Widerspruch zu der literarisch bekanntesten Kindstötung: Goethes Gretchentragödie im FAUST, die ja auf einen echten Vorfall in Frankfurt am Main aufgreift.
Das nur zusätzlich als Hintergrund zu dem erwähnten Buch, dessen Lektüre man selbst durch eigene Recherchen einfach weiterführen muß und sicher ist, bei jedem Fall in der Zeitung nun noch genauer das Geschehen zu verfolgen.
Foto: Eine Mutter tötet ihr Kind, Le Petit Journal 1908 © wikipedia.de
Info: Stephan Harbort, Killerfrauen. Deutschlands bekanntester Serienmordexperte klärt auf, Knaur Verlag