Serie: Frankfurt liest ein Buch: Benjamin und seine Väter von Herbert Heckmann, Teil 8

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Was uns an der kindlichen Perspektive des Benjamin interessiert, ist das, was er uns über die Gesellschaft von damals hätte sagen können: Kindermund tut Wahrheit kund. Aber dazu kommt zu wenig. Dagegen ist der Blechtrommler, den Günter Grass 1959 den Deutschen ins Ohr hämmert, geradezu ein Politfreak, weil er die Brüche und die Gewalt der Zeit trotz oder wegen seiner Behinderung aufnimmt.

Doch Benjamin ist viel zu gefangen in seiner Identitätssuche nach seinem Vater, der er die Welt unterordnet. Höchst interessant übrigens, daß die Suche nach den Vätern ja nicht auf Benjamin und die Zwanziger/Anfang Dreißiger Jahre beschränkt sind. Ein Jahr später, 1963, legt der ebenfalls in Frankfurt lebende Alexander Mitscherlich seine Studie AUF DEM WEG ZUR VATERLOSEN GESELLSCHAFT vor. Aber mit solchen Anwandlungen ist Herbert Heckmanns Roman nicht belastet.

Resumee:

Gute Literatur hat nicht nur mit Inhalt und Technik zu tun, sondern auch mit Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit. Und insofern ist dieser Roman zwar angenehm skurril und burlesk, aber unwahrhaftig in seiner Nonchalance des aufkommenden und des dann herrschenden Faschismus gegenüber.


Bleibt also, über den Autor doch noch einiges mehr zu erzählen. Denn, wenn der Verlag Schöffling durch eine Wiederauflage diesen Roman ins Heute bringen und wenn er dann auch noch zum BUCH DES JAHRES IN FRANKFURT wird, denn nichts anderes ist die tolle Aktion FRANKFURT LIEST EIN BUCH, dann muß es schon Gründe geben, die über dieses nette, aber zutiefst harmlose Buch hinausgehen. Suchen wir also den Sinn darin, Herbert Heckmann aus dem Vergessen herauszuholen.

Dazu sagt der Verlag: Herbert Heckmann wurde 1930 in Frankfurt am Main geboren. Sein umfangreiches Werk umfasst neben Erzählungen und Romanen auch Kinder- und Kochbücher sowie ein Wörterbuch der Hessischen Mundart. Für den Roman Benjamin und seine Väter, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung vorabdruckte, wurde er mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet. Er war Mitherausgeber der Neuen Rundschau, freier Mitarbeiter beim Hessischen Rundfunk, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main und gehörte zahlreichen Jurys an. Er starb 1999 in Bad Vilbel.


Daß er so lange wie sonst keiner von 1984 bis 1996 Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt war, ist mehr als eine kurze Erwähnung wert. Und verblüfft registriert man, daß seine Amtszeit einerseits noch das politisch gewordene Westdeutschland umfassen, aber auch die Zeit, wo aus den beiden Deutschlands längst eines, ein weithin unpolitisches geworden war – irgendwie scheint einem die Person Heckmann wie für immer in die frühe Bundesrepublik eingewachsen.


Er hatte nicht nur ein wichtiges Amt, sondern übte es als Strippenzieher auch aus. Er war einfach eine einflußreiche Figur im Literaturbetrieb der Zeit. Und wie die meisten nach 1945 eng verbandelt mit den Rundfunkgesellschaften, die lobenswerter Weise den Literaten Arbeit und Brot boten. Aber uns sind aus seiner Amtszeit eben keine rühmenswerten Dinge bekannt, auf die man heute Bezug nehmen könnte. So richtig können das auch nur diejenigen beurteilen, die in der Akademie diese lange Periode über Mitglieder waren – oder junge Leute, die deren Akten heute studieren und erforschen.

Auf jeden Fall wirft kein gutes Licht auf Heckmann oder die Akademie, daß diese, auf eine Beteiligung an BENJAMIN UND SEINE VÄTER in der Aktion FRANKFURT LIEST EIN BUCH angesprochen, jegliche Mitarbeit - nein, nicht mal offiziell ablehnten, sondern durch Schweigen noch viel deutlicher die mangelnde Relevanz ihres damaligen Präsidenten offenlegten.

Wäre schon schön, für diese so sinnreiche Leseaktion mal wieder ein Buch auszuwählen, daß sowohl die Stadt Frankfurt wie auch die Ansprüche an Literatur besser herausstellt. Dazu hatten wir im Teil 3 unserer Serie Vorschläge gemacht, aus denen wir hier den Namen Peter Kurzeck noch einmal betonen wollen.


Foto: (c) hr-online.de

Info:

Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter, Roman
Mit einem Nachwort von Peter Härtling
440 Seiten. Gebunden. Lesebändchen.
€ 22,00   €[A] 22,70   
ISBN: 978-3-89561-482-8


Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter, RomanAudio-CD
Ganzlesung von Herbert Heckmann. Eine Produktion des Hessischen Rundfunks 1996
2 mp3-CDs. Spieldauer ca. 13 Stunden
€ 20,00 (UVP)   €[A] 20,00   
ISBN: 978-3-89561-481-1