Serie: Frankfurt liest ein Buch: Benjamin und seine Väter von Herbert Heckmann, Teil 7

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Roman schildert aus der Perspektive eines Kindes die Zeit ab 1919, eine turbulente Zeit. Er schildert Leben und Gesellschaft in Frankfurt, wobei uns dieser Aspekt im Roman zu formal bleibt. Nur die Straßennamen zu lesen oder von Orten wie der Kleinmarkthalle zu hören, ist für einen wirklichen Frankfurtbezug zu wenig. Viel zu wenig.

Andererseits wird von einer Kindheit erzählt, wo einem heutige Kinder in ihrer Konformität und Leistungsdruck schon leidtun. Welche Freiheiten hatten Kinder früher. Auch deshalb, weil man sich nicht so gluckenhaft um sie gekümmert hat. Früher wuchs man auch auf der Straße auf. Ich kann mich auch noch gut daran erinnern, daß wir nach den Hausaufgaben – oder auch einfach ohne – nachmittags auf die Straße durften, wo wir mit Nachbarskindern spielten. Die Gänge des Benjamin und seiner Spielgefährten, die wechselnden Koalitionen, die Freundschaften und Feindschaften von Rotzbuben, das alles kommt gut und auch liebevoll-ironisch rüber.

Aber, was Herbert Heckmann wirklich mit seinem Roman sagen will, bleibt unklar. Denn Benjamin wächst ja nicht im luftleeren Raum auf, sondern in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, den Zwanziger Jahren, die insbesondere in Frankfurt schon durch die Nazis geprägt war, die schon vor 1933 brutal durchgegriffen hatten. Benjamin erlebt ja, wie auf einmal Jude Sein etwas Schlimmes, bzw. etwas mit schlimmen Folgen ist, aber die Hinweise sind doch angesichts dessen, was 1933 für Deutschland bedeutet hat, für einen Roman, der 1963 geschrieben wurde, doch zu harmlos.

Schauen wir uns die Symbol- und Lieblingsfigur des älteren Rechtsanwalts und Ersatzvaters Jonas an. Aufgeregt und erbittert hatte ihm Benjamin erzählt, wie auf der Straße ein Mann geschlagen und festgenommen wurde: ‚„Er hat keine Bombe gehabt. Ich habe es genau gesehen.“

„Ich stelle fest“, sagte Jonas, „daß du dich auf einmal sehr um die Wirklichkeit kümmerst. Ob er eine Bombe besessen oder geworfen hat, ist doch einerlei. Wenn die Zeitung schreibt, daß er eine Bombe gehabt hat, so hat sie ihre Gründe. Zeitungen bestimmen das, was geschehen ist. Was willst du da mit deinen eigenen Augen schon gesehen haben? Das Falsche natürlich. Du mußt das Richtige sehen, das jedoch, mein lieber Sohn, steht später erst in der Zeitung. Also mußt Du warten, bis die Zeitung erschienen ist, bis du sagen kannst, was geschehen ist.“ (301)

Hier zeigt sich zudem, wie aktuell diese Haltung heute auf einmal ist. „Postfaktisch“ würde man dazu sagen.

Was im Zitat so ironisch klingt, wird - zu einem Kind gesagt -mehr als bittere Ironie, nämlich Einüben in das Wegsehen und Wegducken des einzelnen, wie es genau für den zunehmenden Faschismus Deutschlands zutrifft. Aber dieser Ersatzvater Jonas ist doch die ganze Zeit über durchaus eine Identifikationsfigur für den Leser, da sich dieser Mann als Philanthrop erweist, auch wenn wir mitbekommen, welchen Spaß ihm das Aufwachsen des pfiffigen Jungen macht.


Und was derart harmlos geschildert wird, eine Szene nach der anderen, das ist angesichts des realen Schreckens, der Verbrechen der Nazis, dann wiederum für eine Schilderung von 1933, davor und danach, einfach nicht erlaubt, erst recht nicht, wenn es in der Nachkriegszeit geschrieben wurde, die 1962 noch längst nicht zu Ende war und die sowieso systematisch das Dritte Reich und seine notwendige gesellschaftliche Aufarbeitung im Leben und in der Literatur ignoriert hatte. Es ist nicht zu glauben, im Jahr 1963 begannen im gleichen Frankfurt die Auschwitzprozesse, die der Hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gegen heftigste politische Widerstände in Gang setzte.


Da reicht es auch nicht, die Väter für Benjamin als Leerstellen vorzuführen, jeder der von ihm erwählten Aspiranten erweist sich als Niete. Die Suche nach Vätern erweist sich als Fehlschlag. Was will uns der Autor damit sagen? Daß Väter bald auch nicht mehr nötig waren, weil ja ein gewisser FÜHRER sowieso das Regiment übernahm und zusätzlich ein Jugendkult "in der Obhut" der NSDAP inszeniert wurde? Oder soll das sympathisch und anspruchsvoll modern, ja antiautoritär dazu sein, wenn Benjamin am Schluß, als er dann seinen richtigen Vater kennenlernt, zur Erkenntnis kommt: „Ich scheiße auf alle Väter, die uns ein solches Leben eingebrockt haben.“
Fortsetzung folgt.


Foto: (c) Cover Buch


Info:

Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter, Roman
Mit einem Nachwort von Peter Härtling
440 Seiten. Gebunden. Lesebändchen.
€ 22,00 €[A] 22,70
ISBN: 978-3-89561-482-8

Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter, RomanAudio-CD
Ganzlesung von Herbert Heckmann. Eine Produktion des Hessischen Rundfunks 1996
2 mp3-CDs. Spieldauer ca. 13 Stunden
€ 20,00 (UVP) €[A] 20,00
ISBN: 978-3-89561-481-1