Serie: Frankfurt liest ein Buch: Benjamin und seine Väter von Herbert Heckmann, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Da war ich wirklich überrascht. Als ich die 439 Seiten zu lesen anfing, kam ich in das Geschehen nicht so richtig rein. Zu fremd, zu gewollt, gekünstelt. Aber da ich immer wieder parallel zum Lesen, wenn vorhanden, mir das Hörbuch anhöre, habe ich mit Doppelung von Lesen und Hören sowieso gute Erfahrungen. Und hier liest sogar der Autor selbst!

Echt, hört man sich da erst einmal ein, hat man eigentlich keine Lust mehr, zu lesen, denn das Heckmannsche Idiom bohrt sich in die Gehörgänge und die Syntax des Textes ist wirklich in Übereinstimmung mit Sprachfärbung, Tempo, Rhythmus, ja und dem Frankfurterisch, das sich einem genauso einprägt wie die Gemütlichkeit, mit der gelesen wird und die gelegentlich aber auch mal nervt. Bei den humoristischen Stellen wirkt die Sprechweise des Autors deshalb so passend, weil er dem Witz nicht nachgibt, sondern gerade dann besonders nonchalant vorträgt. Richtig, er trägt den Text vor, müßte man sagen, ein bloßes Vorlesen wäre ein viel zu schlichter Ausdruck für dieses Hörbuch.

Herbert Heckmanns Stimme tönt seit letzter Woche mit BENJAMIN UND SEINE VÄTER ebenfalls im Hessischen Rundfunk in hr 2 , in der täglichen Sendung um 9.30 Uhr. Diese Aufnahme des Hessischen Rundfunks ist von 1996, wurde also drei Jahre vor Heckmanns Tod aufgenommen und damals auch gesendet. Und es stimmt schon, man kann gut zuhören, und beim Hören findet man sehr viel eher heraus, wem außer dem Knaben Benjamin des Autors wahre Sympathie gilt: dem Ersatzvater Jonas! Bei seinen Passagen gibt die Stimme immer eine besondere abgehobene und dadurch authentische Weltsicht wieder. Aber dann – manchmal, immerhin sind es 13 Stunden dieselbe Stimme - wird es zu viel und man ist froh, selbst weiterzulesen, auch weil es schneller geht.

Um was es überhaupt geht? Also gut, von vorne. Der Roman BENJAMIN UND SEINE VÄTER handelt von Benjamin Weis, 1919 in Frankfurt geboren. Seine Mutter Anna ist eine ledige Kanzleigehilfin. Der Roman schildert nicht nur, wie der Junge heranwächst, sondern als roter Faden entwickelt sich seine Suche nach seinem Vater. Was es damals gesellschaftlich bedeutet hat, unehelich zur Welt zu kommen, ist das eine, aber das andere eben, daß Benjamin noch nicht einmal weiß, wer sein Vater ist.

Von heute her, ist dies überhaupt nicht nachvollziehbar, daß die Mutter nicht von vorneherein vom Vater erzählt und eben auch, warum er nicht da ist – obwohl, auch heute gibt es vielfach das großes familiäres Schweigen. Eine der Schwächen des Buches ist, daß die Mutter zwar einige witzige und dann auch wieder sehr konventionelle Szenen hat, aber keine Figur aus Fleisch und Blut wird, sondern leider, wirklich leider zwar sympathisch, dennoch sehr diffus bleibt. Das gleicht Firtz Bernoulli, Anwalt, mehr als aus. Diese barocke Figur, der den beiden in seinem Haus in der Bergerstraße eine Wohnung zur Verfügung stellt und für sie nicht nur finanziell, sondern auch emotional aufkommt, trägt den Roman. Er hält nicht nur seine Hand über Benjamin, sondern bleibt spiritus rector des ganzen Unternehmens, von diesem Benjamin zu erzählen, ihn durch Anregungen und Unternehmungen durch die schwierige Zeit der Kindheit und dann der Jugend zu geleiten. Insbesondere die vom Mentor vorgeschlagene Literatur in Gestalt des Don Quijote und Robinson Crusoe dient Benjamin zur Identifikation und Stabilisierung seiner Existenz. Dabei gelingen Heckmann herrliche Passagen, die uns in eine kindliche Welt voller Poesie, Irrsinn und Surrealität führen.


Bei einer so ausführlichen und besonders liebevollen Geschichte vom Heranwachsen des Benjamin, einer echten Entwicklungsgeschichte, und der Suche nach seinem Vater, liegt es nahe, nach dem erkenntnisleitenden Interesse des Autors zu fragen. Schnell war man bei der Hand mit der Vermutung, daß Heckmann mit dieser Geschichte etwas Autobiographisches verarbeite, wobei man an den Jungen dachte. Aber immerhin ist Benjamin elf Jahre vor dem Autor geboren. Viel eher könnte man im dicken, genußsüchtigen Rechtsanwalt eine Anverwandlung des Autors vermuten.
Fortsetzung folgt


Foto: (c) Cover Hörbuch


Info:

Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter, Roman
Mit einem Nachwort von Peter Härtling
440 Seiten. Gebunden. Lesebändchen.
€ 22,00   €[A] 22,70   
ISBN: 978-3-89561-482-8

Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter, RomanAudio-CD
Ganzlesung von Herbert Heckmann. Eine Produktion des Hessischen Rundfunks 1996
2 mp3-CDs. Spieldauer ca. 13 Stunden
€ 20,00 (UVP)   €[A] 20,00   
ISBN: 978-3-89561-481-1