KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Oktober 2012



Elisabeth Römer



Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir freuen uns einfach, daß auch kleinere Verlage im Geschäft der Krimis wahrgenommen werden, denn es ist ein Geschäft, wie die in eigener Person nicht mehr bewältigbare Flut von Kriminalromanen die Buchhandlungen füllt. Eigentlich kommt es einem vor, als ob nur noch Kriminalromane geschrieben würden, was ja stimmt, wenn man darunter nicht Polizeiarbeit, sondern das Abhandeln von Seelenabgründen versteht.

 

Unsere Freude gilt Platz 1 für Helon Habila ÖL AUF WASSER aus dem Heidelberger Verlag Das Wunderhorn, das ob des Erfolges schon in der zweiten Auflage erscheint. Was beim Lesen auffällt, sind die Bilder, die im Kopf entstehen, denn Habila bringt unaufdringlich, aber unterschwellig deutlich Afrika vor unsere Augen, auch wenn das Opfer eine Europäerin ist, die britische Ehefrau eines hochrangigen Angestellten, die entführt wurde. Das eigentliche Opfer aber ist das Nildelta, was die Ölfirmen dort mit Natur und Mensch machen, um Gewinne zu erzielen. Habila schreibt aber keinen Politkrimi, sondern verwebt uns in mythische Gefilde und reale Gewalt.

 

Toll auch, wie die beiden Reporter – Habila war einst auch einer – mit unterschiedlichem Alter, unterschiedlichen Erfahrungen und unterschiedlichem Engagement – Teil des Ganzen werden, denn je doller und blutrünstiger sich die Sache entwickelt, desto besser ist es für das Geschäft, Artikel zu verkaufen. Verdammt gut geschrieben und nie vordergründig eine ökologische Schauergeschichte, sondern wahre Sorge um unsere Welt und unser Leben. Und wir hier im saturierten Mitteleuropa ahnen von dortigen Katastrophen nichts!

 

Auf Platz 2 weiterhin DIE EHRENWERTE GESELLSCHAFT, erschienen bei Assoziation A, von Dominique Manotti/DOA, ein Duo also, was rätselhaft klingt und uns keiner erklären konnte. Jim Thompson bleibt mit IN DIE FINSTERE NACHT, verlegt von Heyne, auf Platz 3. Und nun erst einmal die Neuen auf den Plätzen 4, 6, 7 und 8. Schon oft den Nachnamen Nixon gehört, aber noch nie von einem Carl Nixon erfahren, dessen erster Roman ROCKING HORSE ROAD IM Verlag Weidle erschienen ist, dessen Inhaber Stefan Weidle diesen Roman auch selbst übersetzt hat. Wenn es da heißt, aus dem Englischen, wäre sinnvoller aus dem neuseeländischen Englisch zu sagen. Sicher hat das mit dem Gastlandauftritt Neuseelands auf der Frankfurter Buchmesse vom 9. bis 14. Oktober zu tun. Auf jeden Fall soll dieser Krimi der beste von der Riege der neuseeländischen sein und wir staunen, daß der als Verfasser von Kurzgeschichten und Theaterstücken bekannte Autor, auf Anhieb so etwas schafft, wo er einerseits das Krimi-Genre bedient und andererseits Sozialstudien betreibt und vom Erwachsenwerden erzählt. Das nächste Mal mehr.

 

Auf dem fünften Platz verweilt ein zweites Mal Dominique Manotti mit DAS SCHWARZ KORPS, eine ariadne kriminalroman aus dem Argument Verlag. Die Französin schont keinen, was bei der Aufarbeitung der Historie im Juni 1944 in Paris auch nötig ist. Wir haben das Buch verschlungen, weil sie wichtige Dinge auf einprägsame Art nahebringt. Neu also auf dem Rang 6 Jussi Adler-Olsen mit VERACHTUNG aus dem Deutschen Taschenbuch Verlag. Da muß man der Jury erst einmal gratulieren, daß sie endlich auch die nordischen Krimis berücksichtigt. Es klaffen nämlich zwischen dem großen Publikumserfolgen der Kriminalromane aus Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland und der KrimiBestenListe ansonsten Welten. Die dortigen Krimis entsprechen mit ihren oft psychologisch motivierten Geschichten nicht dem „Detective-Gehabe“ der angloamerikanischen Welt, die für deutsche Krimi-Experten meist das Non plus ultra sind.

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste Oktober 2012

 

 

 

 





Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(1)

Helon Habila: Öl auf Wasser

Aus dem Englischen von Thomas Brückner

Das Wunderhorn, 240 S., 24,80 €

Port Harcourt/Nigerdelta. Alltag im Delta: Ingenieursfrau entführt, Lösegeld gezahlt, „Rebellen“ erschossen, Öl fließt weiter. Die Journalisten Rufus und Zaq hilflos, ahnungslos, am Sterben teilnehmende Betrachter. Reise – nicht ins Herz der Finsternis, zu Shells Gewinnquellen. Ohnmacht, Wut. Unerbittlich traurig.

2

2

(2)

Dominique Manotti/DOA: Die ehrenwerte Gesellschaft

Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer

Assoziation A, 280 S., 14,00 €

Paris. Drei „Ökokrieger“ gelangen an die Aufzeichnung eines Totschlags, begangen von Geheimdienstlern an einem Sicherheitsoffizier der Atomenergiebehörde. Ihr Daten-Stick gefährdet den Präsidentschaftskandidaten und riesige Geschäfte. Rasant, analytisch, ein Hieb gegen die herrschenden Gierschlünde.

3

3

(5)

Jim Thompson: In die finstere Nacht

Aus dem Englischen von Simone Salitter und Gunter Blank

Heyne, 272 S., 9,99 €

Peardale. Mit Gebiss und Kontaktlinsen entert der winzige Auftragskiller Charlie Bigger das College-Städtchen, um einen Kronzeugen zu liquidieren. Zwischen Frauen, Bäckern und dem Boss, keuchend vor TB, panisch vor Paranoia, tut Bigger, was er noch kann. 1953 veröffentlicht, erst jetzt auf Deutsch: Experiment und Pulp in Einem.

4

4

(-)

Carl Nixon: Rocking Horse Road

Aus dem Englischen von Stefan Weidle

Weidle, 240 S., 19,90 €

Christchurch, Neuseeland. Weihnachten 1980 wird Lucy Ashers Leiche an den Strand gespült. Und alles wird anders. Durch die Gewalt, den Mord. Eine Gruppe von Jungen verfällt der großen Suche nach dem Täter. Und der romantischen Liebe. Der stärkste Kriminalroman aus dem Gastland der Buchmesse.

5

5

(9)

Dominique Manotti: Das schwarze Korps

Aus dem Französischen von Andrea Stephani

Ariadne im Argumentverlag, 288 S., 17,90 €

Paris 1944. Während die Alliierten heranrücken, schaffen SS, Gestapo und ihre Lümmel die Beute in Sicherheit. Kollaborateure basteln Plattformen für Nachkriegskarrieren. Dazwischen versucht ein einsamer Agent, Leben, Verstand und Reputation zu retten. Frankreichs „Stunde null“ als Schwarzlicht-Panorama.

6

6

(-)

Jussi Adler-Olsen: Verachtung

Aus dem Dänischen von Hannes Thiess

Deutscher Taschenbuch Verlag, 546 S., 19,90 €

Dänemark 1955-2010. 1987 sind 5 Personen verschwunden, alle zugleich. Adler-Olsen-typisch sind sie Opfer eines Racheakts. Sie trugen bei zu Vergewaltigung, Demütigung und Sterilisierung von Nete H. Verthrillerung der Geschichte Sprogøs, wo 1922-1961 an eingesperrten Frauen Eugenik praktiziert wurde.

7

7

(-)

Robert Littell: Philby. Porträt des Spions als junger Mann

Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence

Arche, 288 S., 19,95

Europa 1938-1963. Voll Hintersinn ruft Littell die Zeugen des größten Spionagefalls im 20. Jahrhundert auf: Kim Philby und vier andere Cambridge-Boys waren Sowjet-Agenten. Und verwandelt, als Autor, der alle Spionagewitze kennt, die alte Geschichte mit leichter Hand in eine neue. Bravourös.

8

8

(-)

James Sallis: Driver 2

Aus dem Englischen von Jürgen Bürger und Kathrin Bielfeldt

Liebeskind, 160 S., 16,90 €

Phoenix. Die Angreifer kann Driver töten. Aber Elsa verblutet, angeschossen. Driver wird gehetzt, wehrt sich, tötet, will nur fahren, mit Spaß an 180-Grad-Wenden. Irgendwer aus der Vergangenheit des Fluchtfahrers gibt keine Ruhe. Das Leben: Fahren, Irren, Kämpfen. Sallis: einzigartig, erneut in Driver 2.

9

9

(4)

Sara Gran: Die Stadt der Toten

Aus dem Englischen von Eva Bonné

Droemer, 368 S., 14,99 €

New Orleans, 2007. Staatsanwalt Vic Willing ist im Katrina-Chaos verschwunden. Claire de Witt, beste Privatdetektivin der Welt, klärt auf: mit Scharfblick, Drugs, Träumen und Jacques Silettes mythischer Detektiv-Bibel. Happy End gibt’s nicht, nicht in New Orleans. Rausch + Klarheit = Gran. Unglaublich gut.

10

10

(10*)

*im August 2012

 

Anne Goldmann: Triangel

Ariadne im Argumentverlag, 272 S., 11,00 €

Kleinstadt in Österreich. Kleine Verschwiegenheiten, kleine Erpressungen. Der entlassene Strafgefangene, die Justizbeamtin, der Liebhaber – gefangen in Verdeckungswünschen, Vertuschungsaktionen, Rehabilitationsmanövern. Ein Reigen der Unehrlichen, unfrei, unbefristet auf Bewährung. Enorm.

 



Info:

Rund 1200 neue Kriminalromane erscheinen pro Jahr in Deutschland. Selbst ausgefuchste Leser verlieren angesichts dieser Masse den Überblick. Orientierung bietet aktuell die Oktober-Ausgabe der KrimiZeit-Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio. 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

Vorgestellt wird die KrimiZeit-Bestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 27.9.2012 mit Tobias Gohlis gegen 8.50 Uhr im Nordwestradio Journal und in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

  • in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 27.9.2012 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

  •  

Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DRadioKultur