Thomas Scheben
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Frankfurt wächst in atemberaubendem Tempo. Für die Stadt erwächst daraus die Herausforderung, ausreichend und vor allem auch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Doch in welchen Intervallen ist Frankfurt in der Vergangenheit gewachsen und was sagen Experten zum aktuellen Boom der Mainmetropole? Diese und viele weitere Fragen hat das Presseamt der Stadt Frankfurt zum Anlaß genommen, Antworten zu formulieren und sie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Die dreiteilige Serie beginnt mit dem Werden zur Großstadt, was eine Fortsetzung findet.
Die Redaktion
Die Redaktion
Es folgt der Beitrag „Wie ein neuer Stadtteil entsteht“ zu den aktuellen stadtplanerischen Herausforderungen. Zum Abschluss kommt Planungsdezernent Mike Josef im Interview zu Wort und erklärt, ob Frankfurt das Potenzial zur Millionenmetropole hat und an welchen Orten die Stadt noch wachsen kann und soll.
Mit wenigen kurzen Unterbrechungen wächst die Bevölkerung Frankfurts seit 150 Jahren kontinuierlich an. Immer wieder stand die Stadtregierung vor der Notwendigkeit, schnell und in großer Zahl Wohnungen bereit zu stellen. Zur Beseitigung der Wohnungsnot wurden auch Siedlungen und neue Stadtteile geplant und errichtet.
Für viele war die Eingliederung der bislang Freien Reichsstadt Frankfurt in die preußische Provinzialverwaltung im Jahr 1866 ein Schock, der das Wirtschaftsleben und damit auch die private Bautätigkeit zeitweilig zum Erliegen brachte. Die Oberbürgermeister Heinrich Mumm von Schwarzenstein und Johannes Miquel trieben zunächst den Ausbau der städtischen Infrastruktur voran. Die Erschließung neuer Wasserquellen in Spessart und Vogelsberg und der Ausbau der Kanalisation, die Eröffnung des Schlachthofes, der Ausbau des Verkehrsnetzes durch neue Schienenstränge in die Umgebung, die Kanalisierung des Mains bis zum Rhein und der Hafenausbau zur Kohleanlieferung, dazu innerstädtische Brückenbauten, neue Markthallen, Errichtung der Oper sowie der Ausbau des Zoos schufen in dieser Gründerzeit die Voraussetzungen, unter denen Frankfurt immer mehr die Züge einer aufstrebenden Handels- und Industriemetropole annahm. Die Einwohnerzahl war von 78.000 am Ende der reichsstädtischen Zeit bis 1880 auf 140.000 angewachsen.
Frankfurt wird Großstadt
Die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg waren eine Zeit raschen wirtschaftlichen und sozialen Wandels. In den über zwei Jahrzehnten seiner Amtszeit strebte Oberbürgermeister Franz Adickes danach, dem städtischen Gemeinwesen im Bündnis mit den treibenden Kräften in Handel und Gewerbe unter Vermittlung zwischen den verschiedenen Meinungen und Interessen einen Weg in die Zukunft zu bahnen. Er erkannte, dass in der Stadtplanung der Schlüssel zur künftigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung lag, und man daher diese Entwicklung nicht den egoistischen ökonomischen Interessen einzelner gesellschaftlicher Gruppen überlassen dürfe. Der Magistrat trat daher der Grundstücks- und Bauspekulation entgegen, ließ die Stadt in Zonen für Wohnbau, Erholungsflächen, Gewerbe und Mischgebiete sowie Verkehrswege einteilen und die Gestaltung der Bauten durch eine Bauordnung regeln; diese „Zonenbauordnung“ von 1891 markiert den Beginn städtischer Gesamtplanungen in Frankfurt am Main.
So siedelten sich entlang der heutigen Kleyerstraße die ersten Industriebetriebe an, darunter die Adlerwerke, Braun und Teves. Aus den parallel dazu gebauten Arbeiterwohnungen entstand das damals noch offiziell „südwestliche Außenstadt“ genannte spätere Gallus. Städtische Wohnungsbaugesellschaften betrieben dort – wie den Namen Hellerhof AG und Frankenallee AG zu entnehmen ist – den Bau familiengerechter Wohnanlagen mit Kleinwohnungen auch für die weniger betuchten Arbeiterfamilien in der Nähe ihrer Arbeitsplätze. Durch die städtischen Bauprojekte und die strengen Auflagen für private Bauherren konnte die andernorts zur Verelendung ganzer Stadtviertel führende Zusammenpferchung der Einwohner in ungesunden Massenquartieren in Frankfurt vermieden werden. Das wohlhabendere Bürgertum und der Mittelstand siedelten sich im Nord-, Ost- und Westend sowie in Sachsenhausen an, wo die Stadt Baugrund günstig an Privatinvestoren abgab, die dafür aber sehr rigide Bauvorschriften zu befolgen hatten.
Verträge sicherten das Wachstum
Am Ende von Adickes‘ Amtszeit im Jahr 1912 war die Einwohnerzahl bereits auf 425.000 angestiegen. Hier zeigte sich jedoch schnell, dass die Eingliederung in das preußische Staatsgebiet der Stadt keineswegs nur Nachteile bescherte: Frankfurt konnte wachsen. Als souveräner Staat hätte es sein Territorium nur durch eine – völlig undenkbare – Aggression gegen seine Nachbarstaaten erweitern können; jetzt taten es ein paar Verträge und Verwaltungsakte. Die engen Stadtgrenzen und die naserümpfende Abneigung beträchtlicher Teile des Handels- und Finanzbürgertums gegen eine Industrialisierung hatten dazu geführt, dass Industriebetriebe sich zunächst vorwiegend im Umland niedergelassen hatten; das „Eschborn“ der Gründerzeit war Bockenheim, das 1895 zu Frankfurt kam. Insgesamt wurden in wilhelminischer Zeit 16 Vororte eingemeindet. Da nur ein Fünftel des Einwohnerzuwachses auf die Eingemeindungen, der Rest auf Zuzug und den nicht zuletzt auf die verbesserte Gesundheitslage zurückzuführenden Geburtenüberschuss entfiel, bestand die Wohnungsknappheit fort. Adickes dehnte seine Baupolitik und die Bauverordnungen auch auf die neuen Vororte aus und konnte nun – als eigentlichem Ziel der Expansionspolitik – mit einer um ein Drittel vergrößerten Stadtfläche für Industrieansiedlung und Siedlungsbau sehr viel großflächiger planen. Dazu, vor allem aber um den Anstieg der Immobilienpreise und der Bodenspekulation entgegenzuwirken, erwarb der Magistrat in großem Umfang Land vor allem in den Außenbereichen und gelangte so den Besitz von rund 20 Prozent des früheren Landkreises Frankfurt.
Citybildung und Altstadtverfall
Zusätzlichen Druck auf den Wohnungsmarkt übte die einsetzende Citybildung aus, wodurch in der Innenstadt immer mehr Wohnraum durch Geschäftsbauten wie Banken, Handels- und Kaufhäuser verdrängt wurde. Auch mussten kommunalen Bauprojekten und dem Straßenbau, wie der 1905 angelegten Braubachstraße, Wohngebäude weichen. Die eigentliche Altstadt zwischen Dom und Römer indes wurde zunehmend zum Sanierungsfall. Die engen Gassen waren dunkel und feucht, die Fachwerkhäuser so heruntergekommen und sanierungsbedürftig, dass sie nur noch an Geringverdiener zu vermieten waren. Die zahlreichen Sanierungsbemühungen vor allem in den 20er Jahren vermochten das Problem bis zur Zerstörung der Altstadt 1944 indes nicht grundlegend zu lösen.
Ernst May und das Neue Frankfurt
Nach der Zäsur des Ersten Weltkrieges setzte Oberbürgermeister Ludwig Landmann die Baupolitik seiner Vorgänger fort. Wie sie war der vormalige Wirtschaftsdezernent überzeugt, dass Wohnungsbau und Siedlungswesen zu den zentralen Aufgaben der Stadt gehören, die diese auch eigenverantwortlich zu lösen hatte. Bereits vor dem Krieg begonnene oder geplante Projekte wie die Kuhwaldsiedlung, der Riederwald oder die Ferdinand-Hoffmann-Siedlung in Sindlingen wurden fortgeführt oder neu in Angriff genommen. Daneben erfüllten die öffentlichen Investitionen der 20er Jahre den Zweck, die durch Wirtschaftskrise und Inflation gebeutelte Wirtschaft wieder anzukurbeln. Zu diesen Projekten gehörte neben der Großmarkthalle, der Vollendung des Waldstadions und dem weiteren Hafenausbau auch der soziale Kleinwohnungsbau.
Dazu stattete der Magistrat den 1925 ernannten Baudezernenten Ernst May mit weitreichenden Vollmachten aus. Für ihn ging es nicht nur um die Vermehrung der Wohnungen, sondern auch um eine Verbesserung der Wohnstandards. Insofern war das mit seinem Namen untrennbar verbundene „Neue Frankfurt“ ein umfassendes Stadtplanungsprogramm. Im Vordergrund standen zwar die Wohnungsbauaktivitäten, die zwischen 1925 und 1930 die ärgste Wohnungsnot und den drängenden Modernisierungsstau beseitigten. Zusätzlich setzte des „Neue Bauen“ ästhetische Maßstäbe weit über das rein bauliche Design hinaus und erhob als gesellschaftliche Reformbewegung einen weitreichenden Gestaltungsanspruch.
May setzte Standards
Unter Mays Regie entstanden 12.000 Wohnungen in öffentlich-privater Partnerschaft, 2000 mehr als geplant. Die Wohnungen erfüllten nicht nur das Grundbedürfnis des Wohnens, sie setzten auch Standards im Wohnungs- und Siedlungsbau, beispielsweise mit der Frankfurter Küche. Zusätzlichen Raum für diese Vorhaben gewannen die Planer durch eine weitere Welle von Eingemeindungen namentlich nach Westen, die Frankfurt bis zur Gründung Groß-Berlins zeitweilig zur größten Flächenstadt Deutschlands machten.
Es entstand – so May – „ein Kranz ideal gelegener Siedlungen“. Sie sollten, so formulierte es May im Generalplan von 1930, „als losgelöste Siedlungskomplexe in das Freiland der Umgebung eingebettet“ werden. Entlang des Stadtrandes markierten sie nicht nur den Beginn des städtischen Raums, sondern bildeten auch jede für sich einen deutlichen Abschluss gegen die anschließenden Freiflächen. Diese „Trabanten“ stellten jedoch keine autarken neuen Stadtbezirke dar, sondern waren weiterhin auf das Stadtzentrum bezogen. Sie erhielten, wie die Römerstadt oder die Goldsteinsiedlung zeigen, eine Mischung aus mehrgeschossigen Großbauten, intimeren Kleinformen, breiten Straßen und schmalen Wegen, die unter dem Schlagwort „Licht, Luft und Sonne“ den Bewohnern großzügige, aber dennoch überschaubare Räume boten.
So viele Neubauwohnungen wie nirgendwo sonst
Zwar hatten die Siedlungen Wohnraum in Frankfurt erschwinglich gemacht, durch hohe Mieten zur Deckung der Baukosten jedoch nicht unbedingt für Arbeiter. Vielfach war es die Mittelschicht, die selbst die gutbürgerlichen Quartiere verließ, um eines der modernen Häuser oder eine der Wohnungen mit Warmwasser, moderner Küche, Selbstversorgergärten und lichtdurchfluteten Zimmern zu beziehen. Damit auch Geringverdiener am „Neuen Frankfurt“ partizipieren konnten, wurden raumsparende Klein- und Kleinstwohnungen von 45 bis 65 Quadratmeter in Zwei- und Vierfamilienreihenhäusern oder mehrgeschossigen Serienbauten entwickelt, wie in den späteren Bauabschnitten in Praunheim, Westhausen oder der Hellerhofsiedlung. Die Sparzwänge der Wirtschaftskrise, veränderte Prioritäten der NS-Zeit und letztlich die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges setzten dieser Phase intensiven Planens und Bauens ein Ende. Tatsächlich aber war Frankfurt zu Beginn der 30er Jahre die Stadt, die die umfangreichste Bautätigkeit im Rahmen des „Neuen Bauens“ vorzuweisen hatte und galt mit ihrer Symbiose aus historischem Stadtbild und zeitgenössischen Bauensembles als eine der attraktivsten Städte überhaupt; keine deutsche Stadt hatte einen vergleichbaren Bestand an Neubauwohnungen aufzuweisen. Einige laufende Projekte wie die Siedlung Dornbusch-Ost wurden in den 30er Jahren noch beendet, neue Siedlungen wie am Frankfurter Berg und in Unterliederbach blieben jedoch die Ausnahme.
Fotos:
Titel © geopfad-frankfurt.de
Römerstadt und Gartenhütten © ernst-may-gesellschaft.de