Kommt es zu einem Bürgerbegehren?
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Ausgrenzung einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen zählt zu den durchaus erwünschten Kollateralschäden, die der Neoliberalismus auslöst. Wer sich am Milliarden-Monopoly nicht beteiligen kann, soll aus den Zentren verschwinden.
Randständige gehören eben in Randlagen, so ein inoffizieller Slogan in der Spekulantenszene. Gewerbetreibende in den 1A-Lagen der Frankfurter Innenstadt, beispielsweise auf der Zeil und in der Goethestraße, wünschten sich während des Kommunalwahlkampfs 2017 eine Konsumwelt, die frei sein sollte von den Schatten der Armut. Beispielsweise frei von Bettlern. Bernadette Weyland, die Oberbürgermeister-Kandidatin der CDU, machte sich diese Forderung zu eigen. Seit ihrer Niederlage steht das Thema zwar nicht mehr auf der offiziellen Prioritätenliste der schwarz-rot-grünen Stadtregierung. Doch umso heftiger tobt ein anderer Kampf, in dem es ebenfalls um Duldung oder Nichtduldung, sogar um Existenz oder Nichtexistenz, geht.
Nämlich der um bezahlbare Wohnungen. Bezahlbar für jene normalen Einkommensbezieher, die das Rückgrat der Gesellschaft bilden. Weil sie durch ihre Abgaben die Funktion des Sozialsystems garantieren, keine Möglichkeit zum Steuerbetrug haben und bereits seit zehn Jahren die Folgen der von Immobilienspekulanten verursachten Finanzkrise mit null Zinsen auf ihre Sparguthaben finanzieren. Ja, sie stellen de facto ihre Einlagen Investoren günstig zur Verfügung, die damit Häuser errichten, in denen sie sich weder eine Miet- noch eine Eigentumswohnung leisten können.
Diese Form von zunehmender Enteignung sollte eigentlich soziale Unruhen auslösen. Doch der Deutsche lechzt bekanntlich nicht nach dem Blut seiner Herrscher und Ausbeuter, wie bereits Heinrich Heine feststellte. Zudem verfügen die um viele Lebensperspektiven Betrogenen über keine einflussreiche Lobby. Und selbst bei jenen, die von Amts wegen dem Allgemeinwohl verpflichtet sind, in Frankfurt u.a. die Verantwortlichen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding, sinkt der Stellenwert der kleinen Leute. Denn die ABG baut lieber teure Eigentumswohnungen, angeblich, um durch deren Erlös die Finanzierung des öffentlich geförderten Wohnraums sicherzustellen. Doch damit werden die Strukturen eines verfügbaren Wohnungsangebots, das sozialen Regeln unterliegt, nachhaltig zerstört.
Und der Frankfurter Planungsdezernent Mike Josef (SPD) lässt sich vom Bau einer neuen Siedlung am nordwestlichen Stadtrand nicht abbringen. Zu sehr hat er offenbar die Randständigen-Philosophie des Kapitals verinnerlicht. Abgesehen von der Verkehrsanbindung würde mutmaßlich auch dort ein ungesundes Verhältnis von gefördertem Wohnungsbau zu privaten Investitionen entstehen. Und dadurch die Gentrifizierung im Stadtkern und in den gewachsenen Stadtteilen noch beschleunigen.
Jetzt könnte es jedoch eine Wende geben. Eine von mehreren Gruppen getragene Initiative, welcher beispielsweise der Arbeitskreis „Kritische Geographie Frankfurt“, der AStA der Goethe-Universität Frankfurt, das globalisierungskritische Netzwerk Attac, die LINKE Frankfurt, die Grüne Hochschulgruppe Frankfurt, der Verein „Mieter helfen Mietern“, die Nachbarschaftsinitiative Nordend-Bornheim-Ostend oder der Paritätische Wohlfahrtsverband Frankfurt angehören, planen ein Bürgerbegehren, nämlich den „Mietentscheid Frankfurt“, um die Politik und die gemeinnützige ABG zum Handeln zu bewegen.
Das Bündnis startet am 25. August eine Kampagne, um die notwendigen 20.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren zu sammeln. Die Bürger werden dabei Folgendes gefragt und sollen Ihr Ja mit ihrer Unterschrift bestätigen:
„Sind Sie dafür, dass die Stadt Frankfurt am Main
beschließt, dass die ABG Frankfurt Holding ab dem 01.06.2020 im Wohnungsneubau 100% geförderten Wohnraum für geringe und mittlere Einkommensschichten schafft;
beschließt, dass die Mieten bei der ABG Frankfurt Holding ab dem 01.01.2020 für alle Bestandsmieter, die vom Einkommen her Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, jedoch eine höhere Miete zahlen, auf maximal 6,50 Euro pro qm abgesenkt werden;
beschließt, dass die ABG Frankfurt Holding ihre durch Mieterinnenfluktuation frei werdenden freifinanzierten Wohnungen künftig zu den entsprechenden Preisniveaus und Belegungsbindungen des geförderten Wohnungsbaus vermietet, davon zwei Drittel analog zum derzeitigen Preisniveau des sozialen Wohnungsbaus von maximal 6,50 Euro pro qm und ein Drittel auf dem derzeitigen Preisniveau des »Frankfurter Programms für den Neubau von bezahlbaren Mietwohnungen: Förderweg 2« (8,50 bis 10,50 Euro pro qm)?“
Das „Bündnis Mietentscheid Frankfurt“ hat errechnet, dass die Hälfte der Frankfurter Anrecht auf eine Sozialwohnung und 19% auf Wohnungen des Frankfurter Mittelschichtsprogramms hätten. Es befänden sich aktuell aber nur 7% aller Wohnungen in Frankfurt in solchen Preisbindungen. Um die Verdrängung der Frankfurterinnen mit kleinem und mittlerem Einkommen zu verhindern, sei es nötig, deutlich mehr Sozialwohnungen und geförderte Wohnungen zu schaffen und diese Bindungen langfristig zu sichern.
Der „Mietentscheid“ könnte das notwendige Signal sein, damit Frankfurt am Main endlich zu einer No-go-Area für Finanz- und Immobilienspekulanten wird. Denn diese Stadt und viele andere Großstädte auch können sich Reiche wegen deren fortgesetzter Destruktivität und Ressourcenverschwendung nicht länger leisten.
Fotomontage:
„Eigentum verpflichtet (GG Artikel 14, Absatz 2)“
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Info:
Unter www.mietentscheid-frankfurt.de erstellt die Initiative eine Homepage, auf der über die diversen Aktionen berichtet wird.