Neuer Oberbürgermeister in Hessens Hauptstadt wird nach Stichwahl Sven Gerich (SPD), Teil 1

 

Klaus Hagert

 

Berlin (Weltexpresso) – Gibt es Gerechtigkeit? Man möchte fast an himmlische Ausgleich denken, wenn man das Ergebnis der OB-Wahl von Wiesbaden hört: 50,8 Prozent für den Sieger und 49,2 für den unterlegenen Helmut Müller (CDU), der so sagen die Leute, seine Sache nicht schlecht gemacht hat, aber durch Unrecht ins Amt kam.

 

Das ist auch der einzige Grund, warum man selbst hier in der Bundeshauptstadt das Wiesbadener Ergebnis vom Sonntag wahrnahm und ernstnahm. Zur Erinnerung: Wir titelten damals, also nach der letzten Wiesbadener OB-Wahl am 11. März 2007 DIE OBERBÜRGERMEISTER LACHNUMMER IN WIESBADEN HAT NUR EINEN VERLIERER: DEN WÄHLER. Das war nicht ganz richtig, denn auch der eigentlich avisierte Oberbürgermeisterkandidat der SPD, Ernst-Ewald Roth, war ein waschechter Verlierer und das gleich doppelt, ach, was dreifach, denn er wäre nach den Wahlvoraussagen mit großer Mehrheit gewählt worden, hätten nicht Schludrigkeit der SPD und Gemeinheit der CDU ihm den Antritt zur Wahl verwehrt.

 

Und das kam so. Erst gab's in der SPD eine parteiinterne Diskussion, denn so was passiert auch nicht alle Tage, daß ein Priester – Roth war katholische Stadtdekan – den Oberbürgermeisterposten besetzen soll. Das darf grundsätzlich jeder unbescholtene Deutsche, aber für einen Kirchenmann gibt es Einschränkungen. Also mußte Ernst-Ewald Roth erst einmal von seinen dienstlichen Verpflichtungen suspendiert werden, bevor er für die SPD als ihr Kandidat nominiert wurde. Und dann kam's. Jeder wußte das, jeden Tag stand es in der Zeitung, aber ob der öffentlichen Diskussion „vergaß“ die SPD-Geschäftsleitung, ihren propagierten Kandidaten auch formell dem Wahlausschuß als Parteivorschlag einzureichen.

 

Im Nachhinein stellte sich heraus, daß dieser Kandidat auch parteiintern so unumstritten war, was öffentlich ja gefeiert wurde, daß jeder vom nächsten glaubte, er habe die offizielle Einreichung des Wohlvorschlags erledigt, was aber unterblieb. Folge war, daß der gesamte SPD-Vorstand von seinem Amt zurücktrat. Das allerdings erst, als dieses Versehen bekannt wurde. Denn der Wahlausschuß hatte es versäumt, inoffiziell oder lautstark die SPD auf ihr Versäumnis hinzuweisen, was nämlich zur Folge hatte, daß zur Wahl des neuen Oberbürgermeisters zwar die CDU, die auch die letzten zehn Jahre den OB stellte, einen Wahlvorschlag hatte, aber der Wähler keine Auswahl mehr hatte, weil der SPD Kandidat fehlte und die übrigen Nominierten für eine Mehrheit nicht geeignet waren.

 

Wir haben den Namen Peter Grella in Erinnerung, der 2007 Wahlleiter war, der CDU angehörte und für sich öffentlich bekundete, ein Wahlleiter habe nicht die Pflicht, Parteien an ihr Versäumnis eines Wahlvorschlages zu erinnern. Das ist deshalb so infam, weil ein Wahlleiter natürlich neben seiner formalen Pflicht alles tun muß, damit dem Wählerwillen Genüge getan werden kann, und das heißt einfach in einer lebendigen Demokratie die Spielregeln des fair play zu befolgen. Ein Anruf hätte genügt oder sonst was, damit der Fauxpas der SPD ausgebügelt worden wäre. Noch einmal: nicht der SPD wegen, sondern des Wählers wegen, der deshalb bei der Wahl des Oberbürgermeisters 2007 eben keine Wahl hatte, anders als für den CDU-Kandidaten zu stimmen oder seine Stimme ungültig werden zu lassen,was auch dem CDU-Kandidaten nutzte.

 

Damals wurde also erstmalig Helmut Müller (CDU) gewählt, der 65,6 Prozent der Stimmer erhielt, während Rita Thiess, zuvor Kulturdezernentin für die Grünen 25,8 Prozent einfuhr, sicher einige SPD-Stimmen darunter. Aber mit nur 26,9 Prozent Wahlbeteiligung hatten die Wähler auf das, was sie „Verarschung“ nannten, reagiert. Das sind immerhin fast drei Viertel der potentiellen Wähler, die der Wahl fernblieben, sicher aus unterschiedlichen Gründen, da Kommunalwahlen niemals den Stellenwert für Wähler besitzen wie beispielsweise die Bundestagswahl. Hinzukam, daß fast 9 Prozent der abgegebenen Stimmen mit einem Protest zu den ungültigen zählten, immerhin 4 820 Stimmzettel, so daß die Basis für den gewählten OB Helmut Müller immer weniger wurde. Aber Mehrheit ist Mehrheit, dachte sich wohl dieser Peter Grella und mit ihm die Wiesbadener CDU, die nun fünf Jahre später die Quittung erhält und nach 15 Jahren Amtsverwaltung eines OB durch die CDU einen von der SPD erhält.

 

Sven Gerich dagegen ist einerseits ein unbeschriebenes Blatt, andererseits als sozialdemokratischer Fraktionschef mit der CDU in einer Großen Koalition verbandelt. Keine ideale Voraussetzung nach der Niederlage in der Wahl am 24. Februar in der Stichwahl zu siegen. Wir wollen uns deshalb die Details näher betrachten, sagen aber schon jetzt, daß man die damalige Provinzposse von 2007 nicht vergessen darf, weil der Wähler eben doch ein Gedächtnis hat. Das ist das eine. Das andere, daß wieder einmal der CDU ein Oberbürgermeisterposten einer Großstadt verloren ging. Das hat derzeit Konjunktur und sicher auch Gründe.