Vorschusslorbeeren für die neue EZB-Chefin Christine Lagarde
Von Notker Blechner
Frankfurt/ Main (Weltexpresso) – Die Lokalpresse feiert die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde als Frankfurts neue Königin. Mit ihrer charmanten Auftritten wie zuletzt beim Neujahrsempfang der Stadt hat sie die Herzen der Frankfurter Bürgergesellschaft erobert. Aber was hat Lagarde wirklich gesagt? Sind ihre Sätze und Auftritte tatsächlich so beeindruckend?
Das hat es lange nicht mehr bei einem Neujahrsempfang im Römer gegeben: Nach der Gastrede wurde Europas neue Währungshüterin mit stehenden Ovationen gefeiert. Mit ihrem pathetischen Frankfurt- und Europa-Plädoyer begeisterte die Französin das Publikum.
Ganz anders als ihr Vorgänger, der scheue und bisweilen arrogant wirkende Mario Draghi, gibt sie sich volksnah. "Ich freue mich, hier zu sei mit meinen neuen Nachbarn in meiner neuen Heimat", sagte sie höflich. Ab und zu streute sie noch ein paar Brocken auf Deutsch ein. Frankfurt sei eine offene, dynamische, ja sogar inspirierende Stadt, lobte sie. Und gestand, dass sie gleich die Stadt in ihr Herz geschlossen habe. Von der offenen und dynamischen Einstellung könne ein Pioniergeist für ganz Europa ausgehen. Das ging den Frankfurtern runter wie Öl.
Feldmann: "Frankfurterischste EZB-Präsidentin!"
Der sichtlich vom Awo-Skandal angeschlagene Frankfurter OB Peter Feldmann würdigte Lagarde als die "Frankfurterischste EZB-Präsidentin seit langem". Dass eigentlich Bundesbank-Chef Jens Weidmann, ein Deutscher, lange als Kandidat für die EZB-Spitzenposition gegolten hatte, vergaß er dabei zu erwähnen. Lieber versandte er per Twitter ein Bild, das ihn im abgeschlossenen Raum mit einer skeptisch dreinblickenden Frau Lagarde zeigt, die gerade zum ersten Mal in ihrem Leben Frankfurter Grüne Soße mit Apfelwein probiert. Dazu twitterte Feldmann: Dieser Moment, wenn eine Neu-Frankfurterin das erste Mal Grüne Soße isst und sagt: "It's lovely!"
Egal - den Twitter-Eintrag dürften wohl die wenigsten Frankfurter mitbekommen. Da dürfte Lagarde eher mit einer kleinen Anekdote bei den Eintracht-Fans gepunktet haben. Auf dem Neujahrsempfang erzählte die EZB-Präsidentin über das Telefonat mit ihrem Lebenspartner. Als sie ihn fragte, was er vom Wechsel zur EZB halte, habe dieser spontan gemeint: "Sag zu!" Für Frankfurt sprächen drei Gründe: eine sehr gute Flugverbindung in seine Heimatstadt Marseille, die sehr nette Stadt und... ein sehr guter Fußballverein.
Mit solchen fast schon intimen Geschichten schafft es Lagarde, Sympathien bei der Frankfurter Bevölkerung zu erzeugen. Die Mischung aus Charme, Witz und lokaler Verbundenheit kommt gut an.
Plädoyer für ein starkes Europa
Auch ihre - bisweilen etwas zu pathetische - Europa-Rede gefiel der Frankfurter Bürgergesellschaft. Nur ein geeintes Europa könne mit China und den USA wettbewerbsfähig sein, meinte Lagarde im Römer. "In einer Zeit, in der der Multilateralismus bedroht ist, wird die Zusammenarbeit in der Union immer wichtiger", betonte sie. Die EU böte gemeinsame Regeln, die einen Unterbietungswettlauf bei Arbeitsstandards oder Währungsmanipulationen verhindere.
Und dann gab die EZB-Chefin noch das Versprechen, dass "meine Institution den Geist dieser Gemeinschaft widerspiegelt und sich aktiv in sie einbringt". Lagarde: "Wir werden offen, transparent und zugänglich sein."
Wie weit geht die Transparenzoffensive?
Schöne Worte, aber was heißt das konkret? Will die EZB jetzt die Bürger in ihre Trutzburg im Frankfurter Ostend reinlassen? Will sie Diskussionsveranstaltungen in der EZB-Lobby mit den Bürgern über die Sinnhaftigkeit des Euros führen? Wird Lagarde gar bei den "Fridays for Future"-Demos auftreten und über grüne Geldpolitik reden? Wohl eher nicht.
Beobachter gehen davon aus, dass das neue EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel den Deutschen die europäische Geldpolitik besser nahebringen soll. Die Bonner Ökonomin beriet als Wirtschaftsweise mehrere Jahre lang die Bundesregierung. Ob Schnabel die Deutschen versöhnen kann, ist freilich mehr als fraglich. Die 48-Jährige erweckte zuletzt nicht gerade den Eindruck einer geduldigen Zuhörerin und Vermittlerin. In Interviews wetterte sie, dass die EZB immer wieder zum Sündenbock gemacht wird. Auf der Bankenkonferenz in der Alten Oper wich sie Journalistenfragen aus und stand lieber mit FDP-Europaabgeordnete Nicola Beer herum.
Vorerst dürfte Lagarde warten
Als frühere Politikerin könnte Lagarde womöglich vor weiteren Negativzinsen zurückschrecken. Und erstmal abwarten, wie die lockere Geldpolitik der EZB wirkt. Aber sobald die Konjunktur im Euroraum wieder schwächelt, was schon 2021 der Fall sein könnte nach den US-Wahlen, dürfte die Französin unter Handlungsdruck stehen.
Spannend wird die Frage sein, ob die neue Währungshüterin auch nach innen für Ruhe sorgen kann. Der EZB-Rat ist wegen der neuerlichen Aufnahme der Anleihenkäufe zerstritten. Da muss sich Lagarde erstmal als Konflikt-Mediatorin bewähren. Nur Charmeoffensiven wie vor den Bankern in der Alten Oper oder beim Neujahrsempfang im Römer reichen nicht. Die neue starke Frau im EZB-Tower muss liefern - sobald wie möglich. Wie sagte Lagarde so schön bei ihrer Rede im Römerr unter Verweis auf den Schriftsteller Goethe: "Es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun!" Au travail, Madame!
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