
Maximilian Scharffetter
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es gibt kaum etwas, was so sehr mit Frankfurt in Verbindung gebracht wird, wie der Apfelwein. Doch dass das „Stöffche“ in Frankfurt zum Volksgetränk wurde, liegt noch gar nicht allzu lange zurück. Viele Faktoren bedingten seinen Aufstieg am ehemals größten Umschlagsplatz des deutschen Traubenweins.
Frankfurt und Apfelwein – Zwei scheinbar untrennbar miteinander verbundene Begriffe. Zwar wird das flüssige Gold nicht nur in Frankfurt gekeltert und ausgeschenkt, doch kaum eine andere Region wird so stark mit Bembel und Geripptem in Verbindung gebracht wie die Mainmetropole. Das schlägt sich auch in harten Zahlen nieder. So liegt der bundesdeutsche Durchschnittskonsum des Apfelweins jährlich bei 0,6 Liter pro Person. Im Rhein-Main-Gebiet hingegen liegt er bei stolzen zwölf Litern pro Person. Kein Wunder. Der Ebbelwoi hat eine lange Tradition am Main. Doch was die wenigsten wissen, zum absoluten Frankfurter Traditionsgetränk wurde er erst vor knapp hundertfünfzig Jahren.
Die historischen Spuren des Apfelweins reichen weit zurück. Sie finden sich bereits im alten Griechenland. Der antike Geschichtsschreiber Herodot berichtet im fünften Jahrhundert vor Christus davon, dass Menschen im Gebiet des heute türkischen Städtchens Side Äpfel zur Saftgewinnung pressten. Der Ortsname der antiken Stadt ist noch heute Grundlage der französischen (Cidre), der italienischen (Cidro), der englischen (Cider) und der spanischen (Sidra) Bezeichnung für Apfelwein. Eine detaillierte Rezeptur zur Herstellung von Apfel- und Birnenwein ist erstmalig vom römischen Gelehrten Plinius dem Älteren überliefert. Einige Jahrhunderte später hatte Karl der Große großen Anteil an der Verbreitung des Fruchtweins im Frankenreich. Er erließ um 800 das „Capitulare de villis vel curtis imperii“, eine Landgüterverordnung, welche die Verwaltung der Krongüter im Reich regelte und bestimmte Vorschriften zur Nutzung einschloss. So wurde festgelegt, dass „jeder Ritter unter seinem Personal tüchtige Meister haben solle, namentlich Schmiede für Eisen, Silber und Gold und solche Leute, die berauschende Getränke bereiten können, sei es Bier, Birnen- oder Apfelwein“. Kein Wunder also, dass Kaiser Karl bei so viel Weisheit den ehrenvollen Beinamen „der Große“ bekam.

Ebbelwoi wird Volksgetränk – „Ohne Gnade“ gegen Panscher
Grund hierfür war eine ganze Kette von Ereignissen, die mit der Kleinen Eiszeit einsetzen. Der Traubenweinanbau wurde durch diese klimatische Veränderung hart getroffen. Die empfindlichen Reben vertrugen die Kälte nicht und es kam immer wieder zu Missernten, was wiederum einen massiven Preisanstieg des Weins nach sich zog. Die Apfelbäume auf den Frankfurter Streuobstwiesen waren hingegen resistenter. So wurde der preisgünstigere Apfelwein auch für das Bürgertum attraktiv. Der allgemeine Anstieg der Popularität führte sogar dazu, dass der Frankfurter Rat 1638 eine Verordnung erließ, die verpflichtende Standards bei der Herstellung des Ebbelwois festlegte. Auf die Missachtungen dieser Reinheitsbestimmung standen drakonische Strafen. Dies belegen Dokumente aus dem 18. Jahrhundert: „Wer Apfelwein mit Mineralien und Silberglatt verfälscht, soll ohne Gnade mit dem Strang zu Tode gebracht werden“, beschloss der Frankfurter Rat 1750 in einem offiziellen Dekret.

Der Anbau wurde so immer unwirtschaftlicher und Wein wurde verstärkt aus anderen Regionen oder dem Ausland importiert. Um 1900 gab es im Stadtgebiet praktisch keine Weinberge mehr. 1905 fand die letzte öffentliche Weinlese auf dem Berger Hang statt. Auf den nun kahlen Weinbergen wurden Apfelbäume gepflanzt. Einer der Gründe hierfür war auch, dass auf den Anbau von Äpfeln weniger Steuern entrichtet werden mussten als auf den von Weintrauben. So löste der Apfelwein den Traubenwein als populärstes Volksgetränk endgültig ab.
Apfelwein als Frankfurter Kulturgut

Für Eingeplackte und Touristen kann die Kultur des Ebbelwois zu Beginn genauso trüb und undurchsichtig sein, wie das Stöffche selbst. Bei den verschiedenen Begrifflichkeiten, die teilweise dennoch dasselbe beschreiben, kann man schon

Serviert wird der Apfelwein traditionell im graublauen Bembel aus Ton, der wahlweise im Faulenzer präsentiert wird, einer Einschenkhilfe aus Eisen. Getrunken wird aus dem Gerippten, dem markanten, geriffelten Glas, welches wahlweise noch mit dem hölzernen, teilweise verzierten, Deckelsche, geschützt wird. Die charakteristische Oberflächenstruktur sorgt nicht nur für spezielle Lichteffekte, die das Stöffche heller scheinen lassen. Sie dient auch der besseren Haptik, da die fettigen Speisen, die traditionell gereicht werden, oft nur mit Messer und den Händen gegessen wurden: Klassisch etwa Handkäs mit Musik oder die Frankfurter Grie Soß mit Kartoffeln und gekochten Eiern.
Für viele Frankfurter ist ihr Ebbelwoi weitaus mehr als bloßes Erfrischungsgetränk. Das Stöffche ist auch heute noch stark mit der Region verwurzelt, vom Anbau über die Produktion bis hin zum Konsum in der Gaststätte um die Ecke – und gilt über die Grenzen Frankfurts und Hessens hinaus als flüssiges Kulturgut. Die malerischen Streubostwiesen in und um Frankfurt prägen auch heute noch das Bild der Region, ebenso wie die charaktervollen Gaststätten in der Stadt mit ihren großen Tischen, an denen man mit Fremden schnell ins Gespräch kommt, und den markanten Fichtekränzen über dem Eingang, die seit mehr als hundert Jahren Wahrzeichen der Apfelweinkultur sind.
Apfelweinernte 2020

Andreas Schneider ist Bio-Landwirt und Betreiber des Obsthofs am Steinberg in Frankfurts nördlichstem Stadtteil. Bereits in zweiter Generation werden auf dem Hof in Nieder-Erlenbach Äpfel angebaut und gekeltert. Nachdem er den Hof vor knapp 30 Jahren von seinem Vater übernahm, baute Schneider diesen sukzessiv zum Bio-Hof um. Zwar sei es aktuell noch zu früh, um vorherzusagen, wie der Ebbelwoi dieses Jahr schmecken wird, doch Schneider zeigt sich grundsätzlich zuversichtlich. „Dieses Jahr wird sehr wahrscheinlich ertragreicher als die letzten“, prognostiziert der Bio-Landwirt. „Durch die heißen und trockenen Sommer hatten wir 2018 nur einen Ertrag von maximal 50 Prozent, 2017 sogar nur von 10 Prozent. Dieses Jahr sieht es mengenmäßig wieder besser aus. Wenn alles gut wird, können wir um die 70.000 Liter Stöffche keltern.“ Auf Schneiders Streuobstwiesen wachsen 135 verschiedene Apfel-, 40 Birnen- und 35 Kirschsorten. Die große Diversität von Pflanzen ist nur ein Merkmal der Streuobstwiese und lockt viele heimische Tier- und Insektenarten an.
Schneiders Hof ist der letzte familiengeführte Betrieb auf Frankfurter Boden, der noch biologisch anbaut und auch selbst keltert. Für den Landwirt gehört es auch dazu, heimische und regionale Sorten zu erhalten und zu verbreiten. So etwa den Berkersheimer Rote, die Bischofsmütze, den Mollebusch und auch Speierlingssorten wie den Sossenheimer Riesen oder die Frankfurter Sonne.
Grundsätzliche Sorgen, dass der Klimawandel auch dem Apfelwein den Garaus macht, hat Schneider nicht. „Wir haben viele alte Bäume, deren Wurzeln tief reichen. Auch wenn wir viel nachpflanzen müssen, achten wir darauf, den Faktor Klimawandel bei Sortenwahl und Baumpflege miteinzubeziehen“, berichtet der Bio-Landwirt. Dass das Stöffche somit auch weiter eine Zukunft in den Gärten und Gaststätten Frankfurts hat, ist also erst einmal gesichert.
Fotos:
Titel: Bembel mit Apfelweingläsern © Stadt Frankfurt ,Moritz Baeuml
Text: Weinreben auf dem Lohrberg, Stadt Frankfurt, Maximilian Scharffetter
Apfelbaum auf Streuobstwiese, © Stadt Frankfurt, Stefan Mauerer
Apfelweinlokal, 1848, ISG FFM Urheber J F Dielmann
Der „Süsse“ frisch aus der Kelter, 1959 © ISG FFM Foto Klaus Meier-Ude
Apfelwein Handkaes mit Musik 1969 © ISG FFM Foto Meier Ude