Veranstaltungsreihe zum 50. Jahrestag des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eigentlich sind wir schon mittendrinnen in der Veranstaltungsreihe, werden aber auch die bisherigen Veranstaltungen, die Ausstellung und die Publikationen, die das Fritz-Bauer-Institut durchgeführt und herausgegeben hat, noch vorstellen. Mit diesem Tage, Dienstag, den 19. November hat die Stadt Frankfurt in ihren heiligen Hallen, dem Kaisersaal des Römer, die 50 Jahre Auschwitz Prozeß zu ihrer eigenen Sache gemacht.

 

Das war historisch nicht ohne, hatten doch die ersten Verhandlungen des Prozesses ab 20. Dezember 1963 tatsächlich im Frankfurter Römer stattgefunden. Nein, nicht im Kaisersaal, sondern im Saal der Stadtverordneten, denen der damalige SPD-Oberbürgermeister Werner Bockelmann die Zusage abgerungen hatte. Aber das war auf Dauer nicht durchführbar. Nicht nur, weil die Stadtverordneten angesichts der Länge des Prozesses bis 1965 auf ihren Sitzungssaal nicht verzichten konnten, sondern auch, weil zunehmend immer mehr Frankfurter den Prozeß besuchten, in vorderster Linie auch Schulklassen, die hier für ihr Leben lernten.

 

Wir wissen noch, wie unterschiedlich in der eigenen Schulklasse auf den Prozeß reagiert wurde, auch wenn niemand der Jugendlichen eine offensichtlich braune Gesinnung trug. Mit diesem Prozeß fühlten sich aber innerhalb deren Eltern und Großeltern alle die negativ angesprochen, die dafür gesorgt hatten, daß die Nationalsozialisten die politische Herrschaft ausüben konnten, ja, daß diese Diktatur sich durch anfängliche freie Wahlen noch ein Mäntelchen der Demokratie umhängen konnte. Den Prozeß verfolgten dann ab dem 3. April im Haus Gallus in der Frankenallee 111, einem der ersten Bürgerhäuser der Stadt, die für's Kulturkonzept der Sozialdemokraten standen, was später 'Kultur für alle' hieß, und als kulturelle Zentren gebaut worden waren – in dickem Beton im Stil der Zeit – all die Besucher, die ohne weitere Auflagen sich die Verhandlungen zu 4 Ks 2/63 anhören wollten, was sie bis zum Ende des Prozesses und dem Urteil am 20. August 1965 tun konnten.

 

Findet man sich nun zu dieser ernsten Feierstunde im Frankfurter Römer ein, herrscht schon deshalb eine einmütige Stimmung, weil die Einschätzung der Verbrechen der Nationalsozialisten, innerhalb derer die Ermordung von Juden und Anderen in den Konzentrationslagern die Spitze des Eisbergs darstellen, heute unter Stadtverordneten wie Bevölkerung unisono als schlimmstes Verbrechen gegen die Menschlichkeit gilt. Daß dies so ist und zumindest für die alte Bundesrepublik erst ab hier eine öffentlich wahrnehmbare Stufe der Erkenntnis, der Scham und des Willens der Wiedergutmachung eintrat, verdankt sich genau diesem Auschwitz Prozeß und seiner öffentlichen Wirkung.

 

Deshalb hörte man dem Oberbürgermeister Peter Feldmann gut zu, wenn er einerseits davon sprach, es stünde „uns Frankfurtern gut zu Gesicht, den 50. Jahrestag des Prozesses mit einer Feierstunde zu begehen“, wie auch die Ausnahme zu würdigen, da ansonsten im Kaisersaal des Römer nicht an Strafprozesse erinnert würde. Doch dieser Prozeß stehe für einen „Moment des Mutes, der Entschlossenheit, die Verbrechen der Nazizeit als solche zu benennen und die Verbrecher zu bestrafen.“

 

Darauf ging der Festredner, der aus Frankfurt stammende und an der Universität Jena lehrende Historiker Norbert Frei ein. Dieser war recht kurzzeitig für den vorgesehenen Winfried Hassemer eingesprungen, was man inhaltlich nicht merkte, zumal er als Frankfurter in seinem Vortrag auch einen gewissen Stolz auf seine Heimatstadt zum Ausdruck brachte: darüber, daß es dem damaligen Hessischen Generalstaatsanwalt, den der SPD-Landesvater August Zinn aus gutem Grund nach Hessen geholt hatte, formalrechtlich überhaupt gelungen war, den Auschwitz Prozeß stattfinden zu lassen und ihn nach Frankfurt zu holen, aber auch daß es zum 50. Jahrestag dieses Prozesses ein so breites Veranstaltungsprogramm in der ganzen Stadt gebe.

 

Erst im Nachhinein lasen wir den Titel seines Vortrags: „Fritz Bauer, die Stadt und der Prozeß". Norbert Frei kam sofort zur Sache: "Mit der 'Strafsache gegen Mulka u.a.' schrieb sich Frankfurt in die Erinnerungsgeschichte des Holocaust“ ein, was sich im Gesagten wiederfand, weil Frei darauf einging, wie dieser Prozeß einen Sinneswandel in der öffentlichen Aufarbeitung der Nazizeit mit sich brachte. Übrigens genau das, was mehr als die Verurteilung von Verbrechen für Fritz Bauer wichtig war, nämlich bundesweit überhaupt erst einmal vom Mord in den Konzentrationslagern so zu hören, daß man sich dem nicht entziehen konnte und dieses Morden als geschichtliche Wirklichkeit, die in deutschem Namen stattfand, zu ertragen lernen mußte. Das heißt also, daß durch den Auschwitz Prozess auch ein Lernprozeß in Gang kam : „Über das Konzentrationslager Auschwitz nichts zu wissen, das war den Westdeutschen im Sommer 1965 praktisch unmöglich geworden“, so Frei, ein Lernprozeß, der immer noch nicht endet.

 

Norbert Frei ging auch auf den verdienstvollen Journalisten der Frankfurter Rundschau Thomas Gnielka ein, der die entscheidenden Beweisstücke an Fritz Bauer übergeben konnte, die diesen formalrechtlich in den Stand setzten, den Prozeß in Frankfurt stattfinden zu lassen: Erschießungslisten aus Auschwitz, zu denen später eine Bestellung des Giftes Zyklon B bei den Farbwerken Hoechst und einer weiteren Frankfurter Firma kam, mit denen in den KZs die Menschen vergast wurden.  Hermann Langbein, der als KZ-Häftling Schreibdienste ausführte und das KZ überlebt hat, konnte ebenfalls Wesentliches berichten.

 

Was das Urteil angeht, das übereinstimmend als zu milde angesehen wurde, weil Richter Hofreiter nur den konkreten Nachweis für die konkrete Tat als Beweis zuließ, was angesichts der millionenfachen und massenhaften, eben industriell organisierten Ermordung sich einzeln schwer nachweisen läßt, so bekamen von den 20 Angeklagten nur sechs lebenslänglich; drei wurden aus Mangel an Beweisen sogar sogar freigesprochen. Es trat aber das ein, was Fritz Bauer beabsichtigt hatte: Die Verbrechen von Auschwitz wurden seit damals Thema in der Stadt und in der gesamten Bundesrepublik. Das Interesse und das Grauen hören bis heute nicht auf, was die vielen Besucher von Jubiläumsveranstaltungen auch zeigen. Daß damals die in der Paulskirche parallel zum Prozeß gezeigte Ausstellung über das Warschauer Ghetto 60 000 Besucher anzog, sei auch eine der Wirkungen des Prozesses für die Bevölkerung der Stadt gewesen, schloß Norbert Frei.

 

Frei war zuvor übrigens auch auf die gerade erschienene zweibändige kommentierte Quellenedition aus dem Campus Verlag, herausgegeben von Raphael Gross und Werner Renz, eingegangen, die am 6. November im Hessischen Justizministerium vorgestellt wurde: „Wer die beiden Bände studiert, dem stockt der Atem“. Auch davon werden wir berichten. Fortsetzung folgt.

Foto: Professor Norbert Frei, Uni Jena