Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ich kann mich noch gut erinnern, als der ehemalige CDU-Stadtkämmerer Ernst Gerhardt mein Feind war, weil er alle, zumindest fast alle Vorhaben der Frankfurter SPD, die die soziale Situation von Frankfurtern verbessern wollte, ablehnte. Habe ich da eine falsche Erinnerung? Oder ist Ernst Gerhardt einfach ein anderer geworden, durch ein langes Leben abgeschliffen, versöhnlicher und weiser geworden? Auf jeden Fall kann ich den Moment, wo ich diesen Mann als einen anderen wahrnahm, gut beschreiben.
Wann es war, in welchem Jahr, weiß ich nicht mehr genau. Aber zu welcher Gelegenheit und wo, das weiß ich noch ganz genau. Die Alte Oper Frankfurt hatte sehr schnell nach dem Wiederaufbau und der Neueröffnung eine hinreißende Tradition entwickelt, im Spätaugust/Frühsemptember die Saison zu eröffnen. Ach so, Sie wissen nicht genau, was in Frankfurt los war? Auf jeden Fall ist es anders, als gemeinhin kolportiert wird, daß der spätere Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt, Rudi Arndt sie, die Alte Oper, in die Luft hätte sprengen wollen. Damals galt das durch den Krieg zerstörte Opernhaus als die schönste Ruine Deutschlands. Das war sie auch."A schöne Leich", wie man in Wien sagt. Nur in Steinen. Und weil wir gerade dabei sind, denn gleich wird es zu dem Zusammentreffen einiger Personen, darunter Ernst Gehardt, kommen, kurz zur Geschichte. Seit 1953 gab es die Bestrebungen zum Wiederaufbau der Oper und einem Sammeln von Geld dafür in Privatinitiative. Dann kam 1970 in der ununterbrochenen Folge von SPD-Oberbürgermeistern Walter Möller ans Ruder. Er war ein linker Sozialdemokrat und hatte schon zuvor einem Wiederaufbau der kriegszerstörten Oper zugestimmt, was er unmittelbar nach seiner Wahl in Gang setzte. Er ist auch derjenige, der Hilmar Hoffmann zum Frankfurter Kulturdezernenten machte.
Sicher ist es seinem frühen Tod, ein Jahr später 1971, geschuldet, daß heute der Wiederaufbau der Oper und auch die Bestellung des Kulturamtsdezernenten Hoffmann immer mit dem Namen Walter Wallmann verbunden wird. Dabei hat die konkrete politische Aufbauarbeit der immer so gescholtene Rudi Arndt ausgeübt, der als Nachfolger auf Möller folgte und 1976 alles in Gang setzte, was dann als ALTE OPER am 28. August 1981 (in Frankfurt wird gerne am 28.8., Goethes Geburtstag gefeiert oder eröffnet) mit der 8. Sinfonie von Gustav Mahler unter dem Dirigat vom verehrten Michael Gielen feierlich eröffnet wurde. Zurück zu den Saisoneröffnungen der Alten Oper, die sich zum regelrechten Stadtfest in Frankfurt mauserten und FRANKFURT FESTE genannt wurden. Und jetzt geht es um genau eine Feier, auf der am Schluß um 5 Uhr früh noch vier Personen in der Alten Oper anzutreffen waren: Der Kulturdezernent Hilmar Hoffmann, der Stadtkämmerer Ernst Gerhardt, die Kulturjournalistin Claudia Schulmerich, die damals fast täglich in der Alten Oper war und von Besuchern daraufhin angesprochen wurde, ob sie dort arbeite, weil sie immer da sei, und eine vierte Person, die ich zwar nicht vergessen habe, es war eine vierte, ein Mann, nur weiß ich nimmer, welcher. War es der Intendant Rudolf Sailer oder doch eher Dieter Rexroth, der eigentliche Chef, nämlich derjenige, der der Alten Oper ein sagenhaftes Programm verschaffte, von dem ich heute noch träume und der auch die Frankfurt Feste erfunden und gestaltet hatte. Der richtige Mann zur rechten Zeit am rechten Ort. Auf jeden Fall waren mit Hilmar Hoffmann der SPD-Mann, der KULTUR FÜR ALLE als Programm nicht nur auf dem Papier stehen hatte, und mit Ernst Gerhardt derjenige CDU-Stadtkämmerer da, den Hilmar Hoffmann von der Finanzierung der Kulturaufgaben überzeugt hatte.
Worum es jetzt nur geht, das ist, daß als Letzte nach der Feier der Frankfurt Feste morgens um fünf beim Hellwerden noch vier Personen auf den Balkon der Alten Oper traten und sich gegenseitig gratulierten. Denn es waren an diesem 28. August, wie gesagt, Goethes Geburtstag, auch hier lauter Jungfrauen versammelt. Hilmar Hoffmann am 25. August, Ernst Gerhardt am 9. September, ich auch im September und eben der vierte. Wir sprachen damals über diese Jungfraueneigenschaften, stets die Pflichterfüllung hoch zu halten und die Probleme, die das mit sich bringt, wenn man immer die Geschicke der Welt wichtiger nimmt als sich selbst, bwz. die eigene Familie etc. Dieses Jungfrauengespräch lebt in mir weiter. Hilmar Hoffmann ist am 1. Juni 2018 gestorben, schon wieder drei Jahre her, und Ernst Gerhardt ist am letzten Freitag, dem 9.9. hundert Jahre alt geworden. Den vierten weiß ich nicht mehr und ich selbst habe eigentlich vor, auch noch einige Jahre zu leben, zu arbeiten auch. Denn das tun Jungfrauen! Und so konnte ich am Freitag in der Paulskirche zur öffentlichen Feier des Hundersten von Ernst Gerhardt auch viel über Jungfrauen hören, ohne daß die jeweiligen Redner immer wußten, daß sie davon sprachen. Aber bei all den Lobpreisungen des Jubilars ging es immer um Disziplin, Arbeitsethos ( OB Feldmann sprach vom 'evangelischen Arbeitsethos' für den überzeugten Katholiken Ernst Gerhardt), Dienst an der Allgemeinheit, ja Altruismus, aber auch den pingeligen Eigenschaften von Genauigkeit und die anderen auf die eigene Arbeitswut hin zu orientieren, bzw. zu verpflichten.
Bei all den Reden, die zu Ehren des langjährigen Stadtkämmerers Ernst Gerhardt zum 100sten Geburtstag in der Paulskirche gehalten wurden, vor all denjenigen, die zu Ehren von Gerhardt in die Paulskirche gekommen waren, sehr viele übrigens, parteiübergreifend, stand immer die unglaubliche Disziplin und Kontinuität des Jubilars im Mittelpunkt. Übrigens waren zu seinen Ehrung auch - nach Peter Feldmann eine Premiere - gleich drei frühere Stadtoberhäupter erschienen: Feldmanns Vorgängerin Petra Roth (CDU), aber auch Volker Hauff (SPD), nur sehr kurz im Amt, und Andreas von Schoeler (SPD), durch 'vier Schweine' einst um das Amt gebracht. Übrigens war Ernst Gerhardt 30 Jahre in der Kommunalpolitik tätig. Und sicher sind solche Nachkriegskarrieren wie seine heute gar nicht mehr möglich. Er wurde mit 15 Jahren Lehrling und arbeitete sich bei der Firma Braun zum Prokuristen hoch.
Alle Redner betonten, daß nicht der 100ste Geburtstag per se diese Ehrung zelebriere, sondern die Art und Weise, wie Gerhardt diese hundert Jahre zugebracht habe, was er gemacht habe. Daß er dazu im Ruhestand die ganzen Jahre täglich - ohne Pflicht - in sein Büro in der Stadt gekommen sei, perfekt angezogen im Anzug mit Hemd und Krawatte, ja, Hut auch, das wurde wiederholt angesprochen. Aber keiner, kein einziger ging darauf ein, was wir sehr gut beurteilen können, daß nämlich all die Jahre Ernst Gerhardt zu den Veranstaltungen in der Paulskirche gekommen war, die von der Stadt dort ausgerichtet wurden, seien es Ehrungen, also Preisverleihungen oder Gedenktage oder Stadtgespräche etc. Er war wirklich immer da, zumindest immer dann, wenn ich als Berichterstatterin ebenfalls dort - rechts außen auf den Presseplätzen saß. Und damit hat Ernst Gerhardt der Stadt wirklich viel zurückgegeben. Da zu sein, wenn es um andere geht.
Jetzt noch kurz zu den Reden:
Oberbürgermeister Peter Feldmann sagte in seiner Begrüßung: „Herr Gerhardt, ohne Sie sähe unsere Stadt anders aus — insbesondere das Museumsufer ist zu nennen, ein politisches Glanzstück über Parteigrenzen hinweg. Dabei haben Sie, einem christlichen Menschenbild folgend, die Stadt in vielerlei Hinsicht vorangebracht.“ Er verwies auch auf die Anwesenheit der drei Kinder von Gerhardt und seinen Urenkeln.
Ministerpräsident Volker Bouffier folgte und führte in seiner Rede aus: „Wenn man sich einfach mal vorstellt, welche Brüche es in dieser Stadt, in dieser Welt, in den vergangenen 100 Jahren gegeben hat, dann wird klar, wie besonders es ist, diese Zeit, vom Krieg geprägt, nicht nur überlebt, sondern im großen Sinne gestaltet zu haben.“ Allerdings versetzte er den geborenen Bockenheimer Gerhard nach Bornheim! Peinlich. Aber wie gut, die meisten hatten das gar nicht mitbekommen und der Jubilar schweigt höflich. Er ist in Bockenheim als Sohn von Schneidern geboren worden. Auf die Schneiderei gingen alle ein, denn das stimmt, daß Ernst Gerhardt schon immer relativ klein war, nicht erst jetzt vom Alter gebeugt, daß er aber immer perfekt im Anzug gekleidet, meist mit Hut den Gentleman gab. Auch an diesem Tag, wo er einen leuchtend blauen Anzug trug.
Der gerade abgewählte ehemalige Baudezernent und Vorsitzende der CDU-Frankfurt, Jan Schneider, bedankte sich beim CDU-Mitglied Ernst Gerhardt und gab die Stiftung eines Ernst-Gerhardts-Preises bekannt, was ein Plakat für Max Mustermann schon mal aussprach. (Foto rechts)
Ernst Gerhardt (links) bedankte sich für die Glückwünsche. Er sprach nicht von oben vom Rednerpult, sondern man hatte ihm im Rund der Paulskirche ein Pult hingestellt, wo er gut stehen und sich gut halten konnte: „ Es ist kaum zu glauben, ich glaub's fast selbst nicht, aber nach den vielen Reden ist es Tatsache. Ich bin Hundert. Ich bin froh und dankbar für den heutigen Tag. 100 Jahre zurück, Geburtsjahr 1921, der erste Weltkrieg war grade zu Ende — der heutigen Generation ist der Auftrag, der daraus entsteht, oft schon gar nicht mehr im Bewusstsein". Zum Schluss sagte er: „Behalten Sie mich in guter Erinnerung. Die wenige Zeit, die mir noch geschenkt wird, die will ich mit Ihnen zusammen verbringen und in meiner Heimatstadt Frankfurt am Main. Wir bleiben gute Freunde!“
Bei all dem Tagesgeschäft, das wir alle dauernd bewältigen, sind es doch solche Momente, wie diese Geburtstagsfeier, wo man innehält und dankbar ist für das, was einem zu tun möglich ist.
Leider geht immer unter, daß Feierstunden in der Paulskirche fast immer eine musikalische Einleitung und auch einen derartigen Ausklang haben. Das war das Malion Quartett, das die musikalische Umrahmung bot, mit Joseph Haydn, aus op. 54/1, 4. Satz, Finale, Presto begann und mit Ludwig van Beethoven, aus op.59/3, 4. Satz: Allegro molto endete, was das Rund mit Dankbarkeit und Klatschen beantwortete.
Fotos:
Der Jubilar
Gerhardt zwischen OB Feldmann rechts und MP Bouffier links
hier deutlicher zwischen beiden zu sehen
Gerhardt und Ministerpräsident Bouffier
OB Peter Feldmann bei der Ansprache
Ernst-Gerhardt-Preis der CDU
Der Jubilar bei der Dankesrede im Plenum
©Redaktion
Der Jubilar
Gerhardt zwischen OB Feldmann rechts und MP Bouffier links
hier deutlicher zwischen beiden zu sehen
Gerhardt und Ministerpräsident Bouffier
OB Peter Feldmann bei der Ansprache
Ernst-Gerhardt-Preis der CDU
Der Jubilar bei der Dankesrede im Plenum
©Redaktion