Telegramm an eine Nachwelt, die sich auf die Suche nach der verlorenen Kultur begeben wird
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung will in der zweiten Jahreshälfte ein endgültiges Votum zur Zukunft des Theaters abgeben.
Soll die Theaterdoppelanlage saniert werden (eher nicht) oder stehen Neubauten auf dem Plan, einer für das Schauspiel, einer für die Oper? Oder angesichts leerer Kassen gar ein ersatzloser Verzicht? Denn sowohl das eine als auch das andere würde extrem teuer werden. Zudem fördert Kultur den Widerspruch, der im multifarbigen Magistrat stört. Derweil plädiert die Gewerkschaft ver.di für Neubauten. Die Stabsstelle der Dezernentin wird die Vorlagen liefern. Und eine Kostenkalkulation, die wie alle bisherigen aus einem Horoskop abgeschrieben sein dürfte
Die Stabsstelle Frankfurt.
Führungsgremium in Sachen Kultur.
Aufgabe: Schauspiel und Oper neu errichten.
Zugang nur für Hochqualifizierte.
Mit Stabsgefreitenprüfung:
24 Stunden aus dem Fenster starren und dabei nichts denken.
Alter Barras-Witz.
Trifft aber die Situation.
Eine architektonisch wegweisende Anlage verkommt seit 30 Jahren.
Weil man zugesehen, nichts begriffen und nicht eingegriffen hat.
Und sich wie Hamlet fragte:
Sein oder Nichtsein?
Für eine neue fehlt längst das Geld.
Und die schöpferische Phantasie.
Stattdessen Träume
an französischen Kaminen namhafter Oligarchen,
den Investoren des 21. Jahrhunderts.
Wo Kunst nunmehr Wollst oder Sollst heißt.
Weil nicht Können, sondern Wollen und Sollen angesagt sind.
Theater als Potemkin’scher Palast.
Laufsteg für alle, die sich sehen lassen wollen.
Reduziert auf Fassaden.
Bühnen sind nachrangig.
Eigentlich auch das Publikum.
Außer den Claqueuren, die nicht wissen, wem sie zujubeln.
Sogar die Gewerkschaft meldet sich zu Wort.
Und plädiert für Neubauten.
Schließlich verfügt sie über Kulturerfahrung.
Hat vor Jahren ihre Buchgemeinschaft liquidiert.
Und die Europäische Verlagsanstalt.
Ebenso ihre Wochenzeitung.
Das Schreiben und das Lesen
ist nie ihr Fall gewesen.
Das reicht nicht fürs Theater.
Aber für die Stabsstelle.
Die an eine vergitterte Zelle erinnert.
Wo der Geist draußen bleibt.
Und die Kunst, die Kultur allgemein.
Fotomontage:
Theaterdoppelanlage im Jahr 2048: Wandelgang um die Bühnenruinen
© mrg