Die provozierend-satirische Wochendepesche vom 4. September 2022
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wenn der Gas-Mann ständig droht. Rundfunk für die Einfältigen - Die Hessenschau des hr. Die Unterschicht fährt E-Roller.
Wenn der Gas-Mann ständig droht
Das russische Erdgasunternehmen Gazprom, das seinen Sitz in St. Petersburg hat, ist der weltweit größte Erdgasförderer und -vertreiber. 50 Prozent der Anteile plus eine Aktie der Gesellschaft gehören dem russischen Staat. Der Aufsichtsrat ist sich mehrheitlich unter staatlicher Kontrolle. Gazprom handelt, wie die Regierung es vorgibt. Die gegenwärtige ist lediglich eine Claqueurin von Staatspräsident Wladimir Putin. Folglich ist das Gasgeschäft vollständig zu einem politischen Instrument geworden.
Obwohl Gazprom rechtsverbindliche Verträge mit deutschen und anderen europäischen Energieunternehmen abgeschlossen hat, kommt es seinen Lieferverpflichtungen nicht nach. An diesem Wochenende wird gar kein Gas durch die Pipeline „Nord Stream 1“ gepumpt. Putin setzt die Firma als politische Karte im Ukraine-Krieg ein. Im Klartext: Russland bedroht die Staaten, welche die Ukraine finanziell und materiell unterstützen und sie insbesondere mit Waffen beliefern. Völkerrechtlich handeln diese Länder in Übereinstimmung mit dem Budapester Memorandum von 1994, in dem sich Russland zur Anerkennung der Grenzen und der Souveränität der Ukraine verpflichtet hat. Zu den Garantiemächten des Abkommens zählen die NATO-Staaten USA und Großbritannien. Die Herrscherclique im Kreml spielt also mit dem Feuer, wenn sie dieses wichtige KSZE-Abkommen torpediert. Doch das hat ihr bislang keiner richtig klargemacht.
Die deutschen Unternehmen, die zur Energie-Infrastruktur ihres Landes erheblich beitragen und deren Geschäft durch den russischen Gasboykott bedroht ist, könnte Gazprom zivilrechtlich verklagen. Falls das zuständige Gericht in St. Petersburg überhaupt einen Prozess eröffnete, ist mit Verfahrenstricks der Beklagten und mit einer jahrelangen Dauer zu rechnen. Darum erscheint der Gerichtsweg als aussichtslos. Ebenso wenig erfolgversprechend dürften Verhandlungen mit Machthaber Putin sein. Es sei denn, man würde ihm die Ukraine als Bauernopfer auf dem Silbertablett übergeben.
Nein, in der augenblicklichen Lage erscheinen nur zwei Maßnahmen als zielführend. Eine noch umfangreichere Bewaffnung der Ukraine und parallel dazu eine Variante der alten Hallstein-Doktrin: Nämlich das Einfrieren diplomatischer Beziehungen und damit die Demontage von Regierungen, die sich in Verkennung ihrer eigenen Lage mit Putin verbündet haben. Beispielsweise die Indiens, Brasiliens und Südafrikas. Diese Staaten sind auf enge Wirtschaftsbeziehungen zum Westen angewiesen. Das wegen der Sanktionen wirtschaftlich angeschlagene Russland wird nicht in die Bresche springen können. Und China dürfte pragmatisch handeln und seine kommerziellen Erfolge, beispielsweise die neue Seidenstraße, nicht aufs Spiel setzen.
Der Westen müsste einheitlich, entschlossen und sehr schnell handeln. Aber genau das scheint das Problem zu sein.
Rundfunk für die Einfältigen? Die Hessenschau des hr
Zwar machen die Moderatoren fachlich einen hochprofessionellen Eindruck. Ja, man wundert sich, warum sie Themen in Szene setzen, deren Informationswert zwischen den Inhalten von Anzeigenblättern und dilettantisch gemachten Vereinszeitschriften rangiert.
Jüngst wurde in einer Reportagereihe beklagt, dass es so wenig Start up-Unternehmen gibt. Die richtige Antwort hätte keiner aufwändig gedrehten Filme bedurft. Da über 80 Prozent solcher Neugründungen innerhalb der ersten fünf Jahre vom Markt verschwinden und vielfach einen Rattenschwanz an Schulden hinterlassen, schrecken talentierte junge Leute davor zurück. Denn auf dem Markt dominieren die Regeln größerer und großer Unternehmen. Da muss nicht nur die Produktidee überzeugen, da geht es auch um Alleinstellungsmerkmale und um professionelle, sprich kostenintensive Vermarktung. Wer lediglich eine App programmiert hat, mit der man Bioläden finden kann, hat den Begriff Innovation falsch verstanden. Auch der geschätzt fünfhundertste Laden mit nachhaltig produzierten Waren ist chancenlos, wenn er nicht über einen Internetaufritt mit detailliertem Warenkorb verfügt. Und selbst dann, falls es gelungen ist, einen Marktplatz im Internet mit 24-stündiger Öffnungszeit plus schnellem und kostengünstigem Versand zu installieren, fehlt erfahrungsgemäß häufig das Geld, die Internetadresse bekannt zu machen.
Ein Account in Facebook und Instagram reicht nicht aus, denn dort verkehren mehrheitlich jene, die sich Bezahlseiten im Internet entweder nicht leisten können oder nicht leisten wollen, was auf eine geringe Nachfrage nach ökologischen Produkten schließen lässt. Die sogenannten sozialen Medien ersetzen nicht die Anzeigen auf den redaktionellen Seiten der Regionalpresse, seien es Print- oder Online-Periodika. Eine solche Werbung kann monatlich zwischen 5.000 und 8.000 Euro kosten. Und müsste zunächst ein halbes Jahr engmaschig veröffentlicht werden, damit sie den kaufinteressierten und kaufkräftigen Kunden auffällt.
Geniale Ideen sind Silber, ausreichende Finanzmittel aber sind das unverzichtbare Gold. Die Hessenschau hat das in ihrer Berichterstattung nicht deutlich gemacht. Obwohl Recherchen eigentlich zum journalistischen Tagesgeschäft gehören. Da kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass es den Verantwortlichen im Sender nicht um Aufklärung, sondern um Belangloses, im Extremfall sogar um Desinformation geht.
Ich selbst schaue im HR fast nur noch „Alle Wetter“. Hier sorgt eine Hintergrundredaktion für höchste fachliche Qualität und die vortragenden Redakteure für eine sowohl präzise als auch gut verständliche Informationsvermittlung. Ein gleiches Lob gilt der Sendereihe „Alles Wissen“, an der auch „Alle Wetter“-Moderator Thomas Ranft beteiligt ist. Und auch das Marktmagazin „MEX“ von Claudia Schick verdient Beifall. Ebenso ist die eine und andere Reisereportage sehenswert; allerdings werden diese so häufig wiederholt, dass sie irgendwann Verdruss auslösen. Vor allem dann, wenn sich die Verhältnisse in den vorgestellten Landschaften und Orten mittlerweile verändert haben.
Wie bereits angedeutet, fällt mir beim HR regelmäßig die unkritische Berücksichtigung der kommerziellen Netze auf, deren Kernaufgabe bekanntlich das Sammeln persönlicher Daten ist. Eine Redakteurin des Hessenschau-Newsletters, Anna Lisa Lüft, verweist so regelmäßig auf Instagram, als ob es sich um eine gute Referenz handeln würde. Hinweise darauf, dass dieses Netz immer wieder Kontaktbörse für sexuellen Missbrauch ist und dass sich dort überproportional viele Rechtsradikale tummeln, sucht man als kritischer Hörer, Zuschauer und Leser vergeblich.
Vor 30 Jahren galt der HR bei CDU und FDP als „Rotfunk“, weil er den Konservativen auf die Finger sah. Doch dann wurde Roland Koch hessischer Ministerpräsident und leitete eine Zeitenwende bei dem öffentlich-rechtlichen Sender ein. Fortan wurde kritischer Journalismus kleingeschrieben bzw. in Randgebiete verbannt. Selbst Unterhaltungssendungen wie die vom HR produzierten TATORT-Folgen gelten als handwerklich schlecht gemacht. Hörfunkprogramme wie hr2-kultur und hr-info haben lediglich noch Alibicharakter innerhalb eines Angebots, das auf Bildungsferne setzt.
Die Unterschicht fährt E-Roller
Auf meinem täglichen Fußweg zum Frankfurter Südbahnhof im Stadtteil Sachsenhausen versperren ständig vorschriftswidrig abgestellte E-Roller den Gehsteig. Ihre Nutzer haben sie dort rücksichtslos dort geparkt. Und offensichtlich ist keinem der Gedanke gekommen, dass dadurch andere gefährdet werden. Wer einmal über diese Hinterlassenschaften von Dummheit und grober Fahrlässigkeit gestolpert ist und sich verletzt hat, weiß, dass es kaum möglich ist, die Verursacher bzw. die Verleiher auf Schadensersatz zu verklagen. Die rechtliche Konstruktion, in welche diese hedonistischen Zerstörwerkzeuge eingepasst wurden (u.a. von Bundesverkehrsminister Steuber, CSU), müsste dringend geändert werden. Die Roller müssten den Status erhalten, wie ihn Mofas, Motorräder und PKWs haftungsrechtlich längst besitzen.
E-Roller, auf denen zwei Personen stehen und E-Roller, die auf Gehwegen fahren, gehören zum Alltag. Und keiner in dieser vor Inkompetenz strotzenden Frankfurter Stadtregierung unternimmt etwas dagegen. Möglicherweise wollen Politiker mit dieser Brot-und-Spiele-Strategie von noch größeren Problemen ablenken. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass in der Radfahrerideologie der einflussreichen Grünen bewusst viel Verständnis für die Unterschicht-Helden gezeigt wird. Denn die Anzahl der Radfahrer, die sich nicht um das Fahrverbot auf Gehwegen oder um rote Ampeln kümmern, wächst ständig – und ganz offensichtlich mit grünem Segen. Frankfurt, das einmal zur Hauptstadt des Verbrechens hochgeschrieben wurde, entwickelt sich zur Hauptstadt der Rücksichtslosen.
Foto:
Logo der Informationsreihe „Fakten & Fakes aus Mainhattan“
© MRG
Info:
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von www.bruecke-unter-dem-main.de ©