Gewalt gegen Frauen in der Europäischen Union

 

Claudia Schulmerich

 

Köln (Weltexpresso) – Die dpa veröffentlichte die neueste EU-Studie von Gewalt gegen Frauen, die nach Prozenten farblich abgestimmt, zeigt: Schweden, Finnland, Dänemark und Holland nehmen mit Dunkelblau die Spitze ein: mehr als 45 Prozent der Frauen sind seit ihrem 15. Lebensjahr schon mindestens einmal Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt geworden sind.

 

Und Norwegen? Keine Entwarnung. Die graue Farbe zeigt nur an, daß die Länder, die nicht in der EU sind - wie auch die Schweiz, verschiedene Balkanstaaten, die Ukraine und Rußland - von dieser Untersuchung der EU-Grundrechte-Agentur (FRA) nicht erfaßt sind. Die Ergebnisse sind erschreckend. Nimmt man den Durchschnitt, muß man sagen, daß jede dritte Frau in der Europäischen Union seit ihren Jugendjahren körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren hat. 22 Prozent aller Befragten gaben an, daß diese Gewalt im häuslichen Bereich passierte, also vom eigenen Partner verübt wurde, wobei zwischen körperlicher und sexueller Gewalt hier nicht unterschieden wurde.

 

Wann beginnt Gewalt? Für die Studie ist körperliche Gewalt, wenn Frauen geschlagen werden, wenn mit Gegenständen auf sie eingeprügelt wird, wenn sie an den Haaren gezogen werden oder geschubst werden.Sexuelle Gewalt bedeutet Vergewaltigung oder versuchte Vergewaltigung, wobei die Grauzone schwierig zu definieren ist, wenn Frauen ohne ihr Wollen angefaßt werden, von der flüchtigen Berührung bis zur massiven Umarmung oder einem Kuß. Dies Letztere fällt in die Kategorie der sexuellen Belästigung, die nicht Teil der Befragung und darum auch nicht Teil dieser Studie ist. Bei sexueller Belästigung wird zudem die Prozentzahl weitaus höher eingeschätzt. Sechs Prozent der Frauen geben an, eine versuchte Vergewaltigung hinter sich zu haben, aber ebenfalls sechs Prozent sagen, aus Angst vor Schlimmerem sich nicht gewehrt zu haben, mitgemacht zu haben. Fünf Prozent der insgesamt 62 Millionen Frauen, die Gewalt erlebt haben, sind vergewaltigt worden.

 

Bevor wir zu den weiteren Länderzahlen kommen, die allesamt zeigen: die Männer im Norden sind dramatisch gewalttätig, die doch sonst als unbeherrscht und heißblütig geschilderten Südländer, der herrische Spanier, der besitzergreifende Italiener, der heißblütige Grieche, und auch der als gefährlich eingestufte Rumäne, sie alle üben weit weniger Gewalt gegen Frauen aus als ihre Geschlechtsgenossen im Norden,wobei die Dänen mit 52 Prozent die Spitze der Gewalttätigkeit einnehmen. Der niedrigste Wert? Das sind mit 19 Prozent die Polen! Bevor wir also zu weiteren Zahlen kommen, eine kurze Überlegung.

 

Weil diese Zahlen im Nord-Süd wie auch West-Ost Verhältnis so überraschend sind und gegen jegliche Vorurteilsstruktur angehen, haben wir nur folgende Überlegung zur Befragung für uns angestellt. Ob nämlich die befragten Frauen in den EU-Ländern die volle Wahrheit gesagt haben, oder ob es beispielsweise für eine selbstbewußte Finnin selbstverständlicher ist, die gegen sie erhobene körperliche oder sexuelle Gewalt, zuzugeben, als dies für eine Spanierin etwa wäre. Viele Frauen schämen sich, so etwas zuzugeben, schämen sich sogar sich selbst gegenüber, ein Opfer geworden zu sein und verdrängen dies, als sei es nie geschehen. Andere wiederum haben Angst, daß ihre Aussage dem Täter bekannt wird.Wiederum andere fürchten, daß der Übergriff bekannt würde und gegen sie spräche. Aber, das sind nur Überlegungen, die zudem bedeuten, daß - trifft dies zu - insgesamt die Gewaltdaten gegen Frauen in der EU dann noch weitaus höher wäre. Den die Daten Erhebenden sind diese Probleme bekannt, weshalb sie zur Studie hinzufügen, daß man hinsichtlich der Offenheit bei der Beantwortung von kulturellen Unterschieden ausgehen müsse.

 

So lange wir darüber nicht mehr wissen, sind die erhobene Daten allemal so erschreckend, daß wir mit den Länderangaben weitermachen. Natürlich interessiert Deutsche, wie es bei uns aussieht.Erstaunlich, daß Deutschland mit 35 Prozent wie Frankreich mit 44 Prozent und auch Großbritannien mit 44 Prozent sowie Belgien mit 36 und Luxemburg mit 38 Prozent im zweitstärksten Blau vertreten ist. Da würden uns jetzt sofort Binnenzahlen interessieren, ob es ein Gefälle Nord-Süd gibt und wie es mit Ost-West aussieht. Ob der europäische Trend sich für Deutschland fortsetzt? Mehr Gewalt im Norden und Westen, weniger im Osten und Süden? Der europäische Schnitt liegt bei 33 Prozent.

 

Deutsche Männer befinden sich also – negativ - über dem EU-Schnitt. Sie stehen aber auch direkt an der Prozentschwelle, was sich auf die vier Einteilungen bezieht, deren höchste 45 Prozent und mehr heißen, denen 35-44, 25 bis 34 und bis 24 Prozent folgen. Hätten die Deutschen also einen Prozentpunkt an gewalttätigen Männern weniger, wären sie in den milderen blauen Bereich gelangt, den der gesamte Süden und Südosten einnimmt, während, man muß es noch einmal herausstellen, Polen mit 19 Prozent den niedrigsten Anteil von Gewalttätern hat, denen Österreich mit 20 Prozent und Spanien mit 22 Prozent sowie Portugal mit 24 Prozent folgen.

 

Im Bereich 25 bis 34 Prozent befinden sich Irland mit 26, Estland mit 33, Litauen mit 31 – Lettland dagegen gehört mit 39 Prozent in die gewalttätigere Kategorie! - die Slowakei mit 34, Tschechien mit 32, Rumänien mit 30, Bulgarien und Ungarn mit 28, Italien mit 27, Griechenland mit 25 Prozent. Auf der Farbkarte gehörten übrigens das mittelblaue Zypern und Malta mit je 22 Prozent in die hellblaue Farbe, wie Slowenien und die schon erwähnten Länder des Südens: Portugal und Spanien – und, wir sagen es auch ein drittes Mal: Polen mit 19 Prozent gewalttätiger Männer den geringsten Anteil hat, was ja doch auch noch heißt: jeder fünfte Pole übt gegenüber Frauen Gewalt aus. In Dänemark aber sogar mehr als jeder Zweite!