Serie: „Die Rosenburg“. Vortrag von Christoph Safferling im Jüdischen Museum Frankfurt, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die wichtigste Frage stellte sich der Vortragende am 21. Mai in seinem Schlußwort selbst: „Warum gab es 1945, was die Justiz angeht, keine Stunde Null? Warum hatte man das Justizpersonal übernommen und sogar die Gesetzgebung der Nationalsozialisten?“ Die Frage ließ er unbeantwortet.

 

Allen war aber klar, daß man diese Frage heute kaum beantworten kann und, hätte man eine solche 1945 gestellt und für eine Stunde Null plädiert, für deren Umsetzung wohl keine ausreichende Mehrheit bekommen hätte. Was die Westdeutschen und ihre drei Besatzungsmächte angeht, von denen man aber durchaus eine andere Politik hätte erwarten können, wäre nicht der neue Hauptfeind die UdSSR geworden.

 

Christoph Safferling, für Mittwoch, 21.Mai, eingeladen ins Jüdische Museum, dessen Versammlungsraum im 2. Stock wieder aus allen Nähten platzte, ist als Jurist zusammen mit dem Historiker Manfred Görtemaker vom Bundesjustizministerium beauftragt mit der Untersuchung zur „Kontinuität des nationalsozialistischen Deutschlands in das Regierungshandeln des Bundesministeriums der Justiz in der Nachkriegszeit der fünfziger und sechziger Jahre“ in der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim Bundesministerium der Justiz (UWK-BMJ). Er selbst hat seit 2006 an der Philipps-Universität Marburg den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozeßrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht inne und ist dort seit November 2008 Direktor des Forschungs- und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse. Darüber hinaus ist er u.a. Berater des Oberlandesgerichts Nürnberg in Fragen der „Nürnberger Prozesse“, Mitglied des Beirats der Museen der Stadt Nürnberg für die Errichtung des Memoriums Nürnberger Prozesse und vieles mehr. Insbesondere beschäftigt sich Safferling mit dem Völkerstrafrecht und der juristischen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen.

 

Hätte es nämlich 1945 in Westdeutschland diese Stunde Null gegeben, hätte sich die Fragestellung des heutigen Abends nach der personellen, aber auch sachlichen Kontinuität von nationalsozialistischem Justizministerium und dem der Bundesrepublik Deutschland wahrscheinlich überhaupt nicht und wenn, nur in geringem Maße gestellt. Hätte, wäre, könnte, würde. War aber nicht. Und so schilderte Safferling doch recht formal den Ablauf der bisherigen Kommissionsarbeit, die durch bisher drei Rosenburg-Symposien inhaltlich Futter erhalten hatten.

 

Rosenburg heißt dieser im neoromanischen Stil im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts errichtete Bau in Bonn - mit einer Geschichte, die ein Priesterseminar einschließt, der Wehrmacht Unterschlupf bot und auch Universitätsklinikum war, bis im Januar 1950 das Bundesministerium der Justiz einzog und bis 1973 blieb. Das ist in etwa der Zeitraum, der für diese Unabhängige Wissenschaftliche Kommission (UWK) zur NS-Vergangenheit relevant ist. Raphael Gross, Direktor des Jüdischen Museums und des Fritz-Bauer-Instituts, machte den Referenten erst einmal sprachlos. Denn seine fein gestellte Frage nach der „Unabhängigkeit der Kommission“, mit der er wissen wollte, was eigentlich „eine abhängige Wissenschaftliche Kommission sei“, setzte zwar nach dem ersten Schweigen beim Referenten einer Flut von Erklärungen in Gang, aber das Schmunzeln oder kritische Stirnrunzeln ob der – auch ansonsten geübten - Wortwahl blieb bei den Zuhörern bestehen.

 

Safferling berichtete vom Zeitablauf zur Errichtung dieser UWK, den Vorgesprächen seit Sommer 2011, seiner Ernennung zum 11. Januar 2012, dem Auftakt zum 1. Rosenbergsymposium am 26. April 2012. Dieses galt der Bestandsaufnahme der bisherigen, sehr dünnen Forschung zur deutschen Justiz im Übergang vom Dritten Reich zur Bundesrepublik Deutschland. Der referierte zeitliche Ablauf mit Projektkonzeptionen und einer Vorstellung des Projekts im Rechtsausschuß hatte für das Publikum keinen Erkenntniswert. Bei der Fortsetzung im Zweiten Rosenburgsymposium am 5. Februar in Nürnberg ging es um die Verantwortung der Juristen für die Aufarbeitung des NS-Unrechts, wobei dies im Saal 600 stattfand, das ist der fast original erhaltene Schwurgerichtssaal des Landgerichts Nürnberg-Fürth, wo die Nürnberger Prozesse stattfanden, zuerst die Hauptkriegsverbrecher, später auch die Juristenprozesse. Heute ist der Saal einer der meistbesuchten Orte der Bundesrepublik – allerdings hauptsächlich von ausländischen Touristen, davon wiederum die allermeisten aus den Vereinigten Staaten und auch aus Israel kommen. In der Regel sehr junge Leute, die aber dann – enttäuscht - keinen Zugang haben, wenn das Gericht tagt. Ein Neubau für das Gericht ist geplant, um den historischen Ort zum Denkmal zu machen. Fortsetzung folgt.

 

 

 

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Einladungstext des Jüdischen Museums:

 

Ein besonderes Interesse Fritz Bauers galt der strafrechtlichen Verfolgung der NS-Justiz. Noch bis in die späten 1970er Jahre stellte der Verbleib ehemaliger NS-Juristen in der bundesrepublikanischen Justiz eines der größten Versäumnisse im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit dar. Wie aktuell das Thema noch heute ist, erörtert Christoph Safferling anhand der Frage, wie sich das Bundesjustizministerium zu seiner NS-Vergangenheit verhält.

Lesehinweise:

 

Ursula Krechel, Landgericht, Verlag Jung und Jung 2012

Ferdinand von Schirach, Der Fall Collini, Piper Verlag 2011

 

Fotos:

 

Plakat der Ausstellung Ungesühnte Nazijustiz in der Stendaler Straße, Berlin. Es handelt sich um eine kleine Ausstellung, direkt nach der kontroversen Ausstellung in der Galerie Springer auf dem Kurfürstendamm Februar/März 1960.