Serie: „Die Rosenburg“. Vortrag von Christoph Safferling im Jüdischen Museum Frankfurt, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Kommission zur „Kontinuität von nationalsozialistischem Justizministerium zu dem der BRD“ blieb nichts anderes übrig, als Einzelfallprüfungen zu betreiben, weil es keine aussagekräftige verallgemeinernde Kennzeichnung gegeben habe, führte Safferling aus, weil beispielsweise Parteizugehörigkeit nichts über strafbare Handlungen aussage.
Im Detail waren das hochinteressante Dokumente, die Safferling präsentierte, wobei es im Kern darum ging, daß beispielsweise Thomas Dehler, von 1949 bis 1953 Bundesjustizminister (FDP) einem eigentlich an Unrechtsurteilen beteiligten und überführten ehemaligen Nazijuristen im Ministerium bescheinigte, eine „hinter dem äußeren Schein vorbildliche Haltung' einzunehmen. Er als Minister „wisse das alles, aber schätze es anders ein“.
Das war nicht nur Dehlers Haltung, sondern durchgängig auch die der meisten Nachfolger sowie der Länderjustizministerien. Allein der Hessische Ministerpräsident Georg August Zinn habe Dehler mit anderen Forderungen konfrontiert. Die Bundesanwaltschaft solle den Staat schützen und sich hundertprozentig hinter den demokratischen Staat stellen (eigentlich ja vor ihn?). Wer das nicht konnte – wurde befördert, war eine sarkastische Aussage des Referenten, die auf jeden Fall auf Ernst Kanter zutrifft, um den es immer wieder ging. Der war 1938 am Reichkriegsgericht und ab 1943 Chefrichter im deutsch besetzten Dänemark und wirkte an über 100 Todesurteilen gegen Widerstandskämpfer mit, wobei nebenbei die Information einfloß, daß insgesamt 35 000 Todesurteile für Wehrmachtsangehörige von den Richtern ausgesprochen worden waren.
Kanter wurde 1958 als Bundesrichter an den Bundesgerichtshof versetzt, dort Bundesrichter und gab erst auf, als aus der DDR die Verhängung von Todesurteilen – „Nazi-Blutrichter Kanter“ - in Druckschriften verbreitet wurde. Das war im September 1959 und er stand pikanterweise zuvor als Präsident dem 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vor, der zuständig ist für Hoch- und Landesverrat, für Verfolgung von Kommunisten und Überprüfung von der DDR erhobener Vorwürde gegen NS-Juristen. Da hatte die junge Bundesrepublik den Bock wahrlich zum Gärtner gemacht.
Den Referatsleiter Eduard Dreher hob der Referent aus gutem Grund dann besonders hervor und ging auf dessen Tätigkeit „aus eigenem Wunsch“ als Erster Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck ein, wohin er gewechselt sei, „aus Liebe zu den Bergen“. Die Liebe war aber im Juli 1945 vorbei, als er sich nach Deutschland abmeldete. Mit im Gepäck ein Schreiben des Generalstaatsanwalts, bei Dreher gebe es „keine Beanstandungen, aber als Deutscher habe man keine Verwendung für ihn“ . 1947 wurde er in Garmisch-Partenkirchen als Mitläufer entnazifiziert, auch ein Persilschein. Das Problem beim Aufarbeiten seiner Vergangenheit in Innsbruck, was man schon damals versuchte, war, daß niemals alle Dreher-Akten nach Deutschland geschickt wurden, sondern nur die Akten derjenigen Personen, deren Fälle in Deutschland bekannt geworden waren, wozu es drei Vorfälle im Braunbuch der DDR gab, deren Akten dann ebenfalls angefordert wurden.Immerhin konnte man 17 Fälle mit Todesstrafe nachweisen, bei denen sicher war, daß niemals eine Todesstrafe hätte ausgesprochen werden dürfen. Doch Drehers neuer Chef sprach ihn frei, Richter konnte er allerdings nicht mehr werden und blieb im Ministerium.
Dreher wurde dann in der Bundesrepublik zu einem einflußreichen Strafrechtler und durch seinen Kommentar zum Strafgesetzbuch bekannt. Für Nichtjuristen hatte erhielt der Name DREHER erst eine Bedeutung im Zusammenhang mit dem Roman DER FALL COLLINI von Ferdinand von Schirach. Dort geht es um die Verjährung von Beihilfetaten zu Morden im Nationalsozialismus, was im Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (EGOWiG) 1968 untergebracht wurde. Artikel 1 Ziffer 6 in § 50 Abs.2 StGB legte fest, daß beim Fehlen besonderer persönlicher Merkmale ...beim Teilnehmer (an der Mordtat C.S.) dessen Strafe zu mildern sei nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs. Da nur solche Verbrecher wie Hitler, Himmler und Heydrich als Täter galten, waren damit alle anderen Mörder zu Beihilfetätern gestempelt, entlastet also, für die die Verjährung eingetreten war.
Dies reflektierten weder die Ausschüsse des Bundestages noch andere und schon gar nicht die Abgeordneten des Parlaments bei der einstimmigen Abstimmung, weil dieser Vorgang in einem Ordnungswidrigkeitengesetz schlicht nicht zur Kenntnis genommen worden war. Es bedeutete aber, daß die von Schreibtischtätern angeordneten Morde der Nazizeit schon nach 15 Jahren verjährt waren, weil sie als 'Beihilfe' eingeordnet wurden, die dann spätestens 1960 verjährt waren. Übrigens hatten Dreher und andere dieses trojanische Pferd schon in der Strafrechtsreform unterzubringen versucht. Dort aber wurde es konsequent abgelehnt. Dennoch hätte es bis zum Inkrafttreten am 1. Oktober 1968 Möglichkeiten der Änderung gegeben. Festgezurrt wurde es sodann am 20. Mai 1969. Der Begriff JUSTIZPANNE ist deutlich zu hinterfragen. Fortsetzung folgt.
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Einladungstext des Jüdischen Museums:
Ein besonderes Interesse Fritz Bauers galt der strafrechtlichen Verfolgung der NS-Justiz. Noch bis in die späten 1970er Jahre stellte der Verbleib ehemaliger NS-Juristen in der bundesrepublikanischen Justiz eines der größten Versäumnisse im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit dar. Wie aktuell das Thema noch heute ist, erörtert Christoph Safferling anhand der Frage, wie sich das Bundesjustizministerium zu seiner NS-Vergangenheit verhält.
Lesehinweise:
Ursula Krechel, Landgericht, Verlag Jung und Jung 2012
Ferdinand von Schirach, Der Fall Collini, Piper Verlag 2011
Fotos:
Plakat der Ausstellung Ungesühnte Nazijustiz in der Stendaler Straße, Berlin. Es handelt sich um eine kleine Ausstellung, direkt nach der kontroversen Ausstellung in der Galerie Springer auf dem Kurfürstendamm Februar/März 1960.