Serie: „Die Rosenburg“. Vortrag von Christoph Safferling im Jüdischen Museum Frankfurt, Teil 4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Letzteres machte Christoph Safferling inhaltlich sehr deutlich (der Fall Collini kommt von uns – zum Nachlesen). Allerdings stellte der Referent nach der Auflistung dessen, wen Dreher in Innsbruck als Ankläger präsentierte und welche Strafen er für diese gefordert hatte, dann wieder in Frage, ob es überhaupt Dreher gewesen sei, der diese unglaubliche Verjährungspassage, die auf eine Amnestie der Naziverbrechen hinausläuft, ins Gesetz geschrieben habe.
Letzteres spielte auch in der anschließenden Diskussion eine große Rolle, in der ebenfalls allgemein nachgefragt wurde und die Rolle der Kommission hinterfragt wurde. Wenn deren Aufgabengebiet die Akten der Stelleninhaber allein seien, fehlten doch diejenigen, die sich für Stellen beworben haben, aber nicht genommen wurden aus Gründen, wie sie Ursula Krechel in ihrem Roman LANDGERICHT nennt, wo ein aus dem Exil Zurückgekehrter nicht Richter am Landgericht werden darf, weil er durch seine Verfolgung durch die Nazis nicht objektiv Recht sprechen könne, da er unter Umständen solche damaligen Nazis heute abzuurteilen habe. Die alten Nazirichter aber durften auch weiterhin richten, nun sogar über die Zurückgekehrten, worin man keine Verletzung der Objektivität sah. In der Tat verschärft dies das Ausgangsproblem der Kontinuität von nationalsozialistischem Justizministerium und dem der Bundesrepublik noch, macht das Ganze noch absurder, ja makaber. Zu dieser Ungeheuerlichkeit stellte Safferling jedoch klar, daß der Kommission nur die Akten über die Beschäftigten vorliegen, jedoch keinerlei Bewerbungsunterlagen aus Stellenbesetzungen und entsprechende Entscheidungen des Dienstherrn etc..
Faßt man den intensiven Abend vom Mai 2014 zusammen, kommt man heftig ins Grübeln. Zwar ist sehr spät in der Frage der Aufarbeitung von Naziverbrechen immer noch besser, als nie, aber der Zeitablauf ist schon dramatisch: in einer prosperierenden Bundesrepublik zeigte sich kein Interesse daran, nach der Wende wurden die Stasi-Akten wichtiger. Man stelle sich nur den riesigen personellen und administrativen Aufwand vor mit dem Aufbau einer eigenen Behörde, um allen Betroffenen die Möglichkeit zu geben, zu erfahren, wer sie in der „Stasi-Zeit“ bespitzelt hat. Dabei ging dies nicht einmal um strafbare Handlungen, die im Fall der Nazijustiz untersuchungsrelevant waren.
Was aber passierte eigentlich mit all den Akten, die die DDR über die Obernazis zusammengestellt hatte und die Grundlage für das Braunbuch waren? Überhaupt das Braunbuch über Naziverbrecher in hohen Positionen in der Bundesrepublik und in West-Berlin, die Publikation der DDR. In welchem Maß wird dieses mitsamt der Dokumente in der Kommission zur Aufarbeitung be- und genutzt? Wo doch sogar der Historiker Götz Aly dessen Irrtumsquote als unter einem Prozent einschätzt. Das ist eine Frage, der viele folgen. Muß man nicht die sich aus dem Roman LANDGERICHT nun allen geläufigen Sachverhalte des Skandals der Weiterbeschäftigung der Nazijuristen und der mangelnden Beförderung von Exilierten ebenfalls nachgehen? Wieso war an diesem Abend nicht von Fritz Bauer die Rede, dessen Ausstellung im Jüdischen Museum zwei Stockwerke drunter aufzeigt, daß es auch in dieser frühen Bundesrepublik möglich war, Aufklärung über die Naziverbrechen 'durchzuziehen'. Müßten nicht bei der Kommissionsarbeit sofort solche Personen wie Fritz Bauer genannt werden, die den Dreck am Stecken der belasteten Juristen damals ansprachen? Gab es nur Fritz Bauer und keine weitere gesellschaftliche Diskussion?
Diese Fragen sollen nur andeuten, daß ein Unbehagen darüber blieb, daß die Kommission mit der Aktenaufarbeitung in einer engen Spur läuft, das gesamte gesellschaftspolitische Umfeld der Bundesrepublik Deutschland aber verloren geht, was ein Roman wie LANDGERICHT wiederum leistet, der aber selbst auf historischen Dokumenten beruht, also einen wahren Fall ablichtet. Einen Fall allerdings, den die Kommission nach ihrem Auftrag überhaupt nichts angeht, den sie nicht untersucht. Man wünschte sich mindestens einen Politikwissenschaftler hinzu, Juristen alleine, selbst im Verbund mit Historikern bleiben leicht formal und in ihren Grenzen stecken.
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Einladungstext des Jüdischen Museums:
Ein besonderes Interesse Fritz Bauers galt der strafrechtlichen Verfolgung der NS-Justiz. Noch bis in die späten 1970er Jahre stellte der Verbleib ehemaliger NS-Juristen in der bundesrepublikanischen Justiz eines der größten Versäumnisse im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit dar. Wie aktuell das Thema noch heute ist, erörtert Christoph Safferling anhand der Frage, wie sich das Bundesjustizministerium zu seiner NS-Vergangenheit verhält.
Lesehinweise:
Ursula Krechel, Landgericht, Verlag Jung und Jung 2012
Ferdinand von Schirach, Der Fall Collini, Piper Verlag 2011
Fotos:
Plakat der Ausstellung Ungesühnte Nazijustiz in der Stendaler Straße, Berlin. Es handelt sich um eine kleine Ausstellung, direkt nach der kontroversen Ausstellung in der Galerie Springer auf dem Kurfürstendamm Februar/März 1960.