Frankfurt zeigt, wie man es nicht machen darf
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Im Kettenhofweg 27 in Frankfurt am Main, da steht ein Haus, nein, eine Villa, die heißt Villa Kunterbunt. Sie ist seit 1992 Heimstatt ganz für Kinder. Ihr gebührt, ohne verklärend daherzureden, die Bezeichnung Idyll. Von dieser Art Lebensraum gibt es in Frankfurt stets weniger.
Vor einem Jahrzehnt wurde „das Paradies“ auf dem Geviert Eschersheimer Landstraße 50 niedergemacht, ein architektonisch einzigartig scheußlicher, architektonisch misslungener „Zweckbau“ mit plumpem Schriftzug „Verlagsgruppe Handelsblatt“ rückte anstelle obenan. An die Stelle des Paradieses war erbarmungslos eine Fläche von reglementierter Natur getreten, auf der Kinder der Umgebung nur verwahrt werden könnten, wenn sie sich überhaupt darauf aufhalten dürften.
Wie der Kolonialherr, der auf ein indigenes Idyll trifft, das ihm ob seiner entspannten Gelassenheit schon immer ein Dorn im Auge war - Fäuste in die Hüften gestemmt - das Projekt verkündet: „hier muss jetzt endlich mal was geschehen“, so muss am Kettenhofweg 27 der Herr Karl, Vorstand der „Mecator Verwaltung“, mit gestanden haben, um - ganz in Herrenmenschenpose - den Plan zu konkretisieren: „den Kinderkram da können wir ohne weiteres beenden“. Um auf diese Art mit Nachdruck zur Umsetzung der weltweiten Pläne des globalisierten Renditewahns auf dem Immobiliensektor angemessen beizutragen. „Kolonialisierung der Lebenswelt“ lautet es bei Habermas. Dem Mann wird seit Jahrzehnten Theorielastigkeit vorgeworfen, aber die furchtbare Praxis weiß der Theorie immer noch eine furchtbarere Steigerung draufzusetzen.
Hinter der Verwaltung durch Mercator, GbR Kettenhofweg 27, Custodia Holding und womöglich weiteren Verdunkelungsgesellschaften und Gesellschaften der Vertretung an Stelle steht die „Degussa Gold und Silber“. Das klingt wie im Märchen, ist aber keins. Sie lässt sich in eine begrifflich schönfärberische Bezeichnungen fassen; das kommt an. Sie plane in der Villa des Spätklassizismus „ein Firmen-Museum“, schrieb die FR am 12.6.2014.
Die Kinder haben noch eine Gnadenfrist bis Ende August 2014, dann müssen sie sich von der Bildfläche gemacht haben. Kinder, die gegenüber Erwachsenen einen Vorzug in menschlicher Würde, im Widerstandsrecht qua Natur und damit schlicht auch im Wohnrecht haben, werden der grabeskalten Profitorientierung, dem dümmlichen Statusdenken sowie dem Firmenprestige in Gestalt der übernommenen, aufgeprotzten spät-klassizistischen Fassade geopfert.
Wie es in der Stadtpolitik schon hieß: „Das Freibad können wir schließen“ (Sprachduktus Kienbaum, Dreieich, OP vom 24. 10 2011), „Leseförderung muss sehen, wo sie bleibt“ (anlässlich der Schließung der Riederwälder Stadtteilbibliothek, FR 19.2.2012) und neuerlich: „Musikschulen vor dem Aus“, gemeint: Außenstellen in nicht so gelderotisch und renditeträchtig gelisteten Stadtteilen (FR 30.5.2014), so begibt es sich auch im eiskalt Wirtschaftlichen; wobei Vulgär-Ökonomie den Anstoß gab mit jenem von Think-Tanks aus dem Umfeld der Hayeks und Friedmans ausgegebenen Paradigma: Betriebswirtschaft hat Vorrang. Volkswirtschaft - das Substrat aller Betriebe, aller Betriebsamkeit, wenn nicht gar Gesellschaft im eigentlichen Sinn - ist nachrangig, is number two. Kinder fallen schon ganz durchs Raster betriebswirtschaftlichen Kalküls und Streichungswahns, obwohl ihnen ein privilegiertes Recht als Kinder eigen ist.
Frage: was macht den Menschen eigentlich zum Menschen, statt zum Zombie, zum Schrecklichen, zum Erbärmlichen, mit dem wir weder verwandt noch verschwägert sein möchten?
Diejenigen, die anrücken, um eine Kindereinrichtung platt zu machen, entsprechen präzis jenen, die wir als Dreizehnjährige als unsere speziellen Antipoden ausmachten, gegen die wir uns entschieden sozialisierten, als wir begannen, uns von den Helden der Fairness und des Bundes aller geschaffenen Wesen, Tiere wie Menschen (das Menschenrecht gilt auch für das Tier), herzuleiten. Wie verschieden und gegensätzlich Erziehung und Selbstentwicklung doch ausfallen kann. Liegt es nur daran, dass es nicht allen vergönnt ist, sich in einer zum Canyon erklärten verlassenen und für jugendliche Selbstentwürfe bestens geeigneten Sandgrube widerstandsrechtlich zu sozialisieren?
Gegenwärtig wird aus altem, historisch und kulturell für wertvoll erachtetem Bestand – analog Firmen auch, die zu bloßen Spielmarken gerieten – so viel als möglich gierig aufgekauft, umgekrempelt, saniert, sodann verwertet, neu vermarktet, was das Zeug hält; wobei viele der im höheren Preissegment errichteten renommistischen kasernenartigen Neubauten fast jeglichem Altbestand gegenüber selten das Wasser reichen können. Es ist nicht nur wie beim Ausverkauf der Humanität, es ist der Ausverkauf einer Humanität, die jederzeit, quasi kurzfristig, noch möglich wäre. Ein jegliches Besondere, Individuelle, Lauschige und Verwunschene muss dran glauben, es muss weichen; glatte Fassade, trostlose Fläche, babylonische Höhe, nur das zählt. Motto lautet: Das Menschenfreundliche, Menschen Begünstigende, „des brauche merr´net“ (Ttschuldigung Frankfurter).
Die Politik zeigt sich zerstörerischen Prozessen hilflos ausgeliefert, übernimmt gar die Standards und Vorlieben der Menschen- und Lebensverächter. Sie stellt sich wie eine Naiv-Klientel im Menschenpark auf. Für den Brutalo-Klotz-Neubau der Investorenarchitektur „K58“ (Kaiserstraße/Elbestraße) gab sie Zuschüsse aus öffentlichen Fördermitteln (FR 21.12.2012). Es handelt sich um lebensfeindliche Prestigearchitektur reinsten Wassers. In der Frankfurter Kinderbetreuung brennt es („Platz-Sharing im Hort“, FR 18.6.2014), da kommt eine Investitionsraupe und plündert, verwertet und verstößt noch eins der letzten Refugien, in denen Kinder sich zu individuellen und sozialen Wesen entwickeln können. Muss einem da nicht das Messer in der Tasche aufgehen?
Billiges, überreichliches Geld wird auf den Kopf gehauen, auch fürs Kinderlegen (und was alles noch so an- und bevorsteht), obgleich Casinogeld in den gesellschaftsfeindlichen Kreisen im Augenblick praktisch grenzenlos für ein Irgendetwas – Hauptsache es wird noch mehr des Gelds draus – zur Verfügung steht, bei klammen Staaten und Haushalten, die durch das Gesellschaftsdumping – immer noch etwas weiter und noch tiefer runter im Wert des Rangs von Gesellschaft - arm herab gekurbelt wurden. Es wird gezockt, auch mit geliehenem Geld der Zentralbank. Hedgefonds werden bedient mit virtuellem Geld. Den Immobiliensektor hat die Spekulation längst schon übernommen, mit Folgen, die absehbar sind. „Schäuble in Sorge wegen Immobilienmarkt“, FR 20.6.2014.
Die Lokalpolitik scheint das für normal zu halten, als gegeben zu betrachten. Es ist ein Kreuz, dass die Politik an die Extremfiguren der Gesellschaftszerstörung nicht herankommt bzw. mit ihnen ein Geflecht eingegangen ist. Die Bürgerinnen und Bürger, zumal die Kinder, stehen ungeschützt im Kreuzfeuer.