Als Frankfurter Nazis und ihre Handlanger auf Uhren, Füllfederhalter, Ringe und Bargeld scharf waren
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Auf welche Stufe muss einer gefallen sein, der Menschen auf öffentlichen Straßen in die Vorstufe einer Vernichtungsmaschine treibt, während andere, Schaulustige und Zaungäste, diese menschlichen Wesen auf ihrem Leidensweg teils stumm, teils johlend, mit Beschimpfungen übelster Art begleitend verfolgen.
Diese Frage stellen sich bei der am 11. September vorgenommenen Besichtigung des ersten, fertig gestellten Teils der Erinnerungsstätte Großmarkthalle im Ostend, Frankfurter Ort des Zusammenpferchens und Abtransports in die Vernichtungslager 1941-1942 und Ort, wo derzeit die Türme der neuen Europäischen Zentralbank in den Himmel wachsen. Und man fühlt: Macht macht niedrig, gemein und unkalkulierbar.
Abwertung eines Anderen, einer ganzen Gemeinschaft, deren Wert für gleich null erklärt wird, wahnhafte Überhöhung des eigenen Rangs als Herrenmenschenrasse, die germanisch-schicksalhaft zur privilegierten Weltherrschaft berufen sei, welch eine Begründungslehre!
Das war die psychogene Ausgangslage als die erste Massendeportation von Frankfurter Juden am 19. Oktober 1941 von etwa 1100 Menschen, überwiegend aus dem Frankfurter Westend stammend, anzulaufen begann. In der Aufzählung und Beschreibung des Jüdischen Museums, Frankfurt, zählen wir 10 Deportationen für den Zeitraum 1941/1942. Aber auch bis in den März 1945 fanden noch letzte Deportationen auch jener statt, die bisher „verschont geblieben waren“, z.B. Partner aus Mischehen und deren Kinder. Noch am 15. März 1945 gab es eine Deportation mit 5 Personen. Alles, was nur irgend unter das Mordkalkül fiel, musste aus eitlem Wahn (ein adäquates Wort für dies Tun lässt sich niemals finden), seines Lebens vernichtet werden, ohne jede Ausnahme. Auch über 65jährige, Heimkinder und Gebrechliche wurden ausfindig gemacht, gefasst und gen Ostend getrieben. Von „nahezu 10 000 Menschen“, „vom Sammelort Großmarkthalle gewaltsam verschleppt“, überlebten nach heutigem Wissensstand „nur 179 von ihnen“.
Die Straßenbahn hin zum „Sammelplatz“ durften die auf den Weg der Deportation Gestoßenen nicht benutzen, also war Menschentreiben auf den Straßen des alltäglichen Lebens die ohnehin gewollte Vorgehensweise.
Sprechender Weise symbolisch war auch die Wahl der Anlage und Kellerräume eines Nahrungsmittel-Umschlagplatzes, der Großmarkthalle. Hier war nochmal konzentriert Fülle an Lebensmitteln, die anderswo schon sehr knapp waren und ab der Stelle des Abtransports für die Betroffenen nur noch Utopie, an eine vergangene Zeit geknüpft.
In Frankfurt gab es zu den Zeiten des Vernichtens und Raubens 15 000 Versteigerungen. Was wäre nun, wenn es den Vernichtern und Räubern nicht doch eigentlich nur um Raub und Ausplünderung einer Gruppe von Mitmenschen gegangen wäre? Zynismus pur, die Beraubten hatten für die Prozedur des Hintreibens und Verladens zur Vernichtung kompensierend 50 Reichsmark an Kosten zu zahlen (ähnlich der „Reichsfluchtsteuer“).
Das diebische Bereichern an den Ausgestoßenen und völlig Entrechteten war als Motiv viel zentraler als das Vortäuschen von etwas diffus Ideellem. Man war schlicht darauf aus, die Wohnungen der Deportierten einzunehmen und sie an die Eigenen zu verteilen.
Berichte zeigen, dass das, was stattfand, von Menschen alltäglichen Schlages durchaus gesehen, erkannt und zutreffend eingeschätzt wurde. In der Liste der Zitate des Presse-Folders unter der Überschrift „Am Gleisfeld“ lautet eine Aussage: „Als ich morgens ins Büro kam, standen auf den Gleisen weiter draußen geschlossene Waggons, die von der Gestapo bewacht wurden. Das alles hat sich mehrmals wiederholt. Und nicht nur ich wusste, was da geschah, viele wussten es.“ (Sekretärin an der Großmarkthalle, ohne Datum)
„Es war die Hölle, die ganze Nacht Untersuchungen, Schreie und Schikanen ohne Ende.“
Berny Lane (Werner Levi), 1998
Zur Systematik von Mord und Totschlag durch die Räuber
Einleitend wies Kulturdezernent Felix Semmelroth auf die unabdingbar fortwährende Verantwortung hin, die die Orte der Schande uns auferlegen.
Er nannte Momente des eigentlich Unbegreiflichen (essentiell wiedergegeben):
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Fehlen von Empathie
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Dehumanisierung
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Fabrikmäßiges Morden
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Brutalität
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Die aus der Mitte (von den „Normalen“) kommende Gefahr
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Mord gleich wie Alltagsarbeit
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Koexistenz von Grausamkeit und Fürsorglichkeit bei den Tätern
(Fürsorglichkeit für die eigenen Kinder, Grausamkeit gegen die Opfer)
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Enteignung des Besitzes der Entrechteten
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Brutaler und bürokratischer Raubfeldzug
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Entmenschlichtes Handeln, Beschimpfungen und Herabwürdigungen
Der Gang über die Stätte (hoch und tief)
Die Stätte kommt in der Form der Begehungsmöglichkeit erst langsam, weil in einem frühen Stadium die historische Bedeutung der Hinterlassenschaft nicht genügend im Blick war für eine Europäische Zentralbank, die erst ihr Eigeninteresse vorzuziehen weiß und es auch in jeder Phase vertritt. Es musste viel verhandelt werden. Aber sie kommt auch in kommunalem Betracht spät, was eine entwickelte Form des Erinnerns betrifft. Denn diese wäre auch früher, also bei laufendem Betrieb der Großmarkthalle, die täglich Tausende aufsuchten, schon möglich gewesen, so dass Erinnerungsfakten geschaffen worden wären.
Das Feld, das Gebiet, die Räume der Erinnerung haben Eindringlichkeit, weil die Anlage eine große Außen-Fläche, aber auch einen Keller-Raum mit Stützen einer Großarchitektur aufweist, dem die Kurzform „Matratzenlager“ zugeeignet ist. Auf Wollen der EZB hin ist weiterer Keller-Raum, nämlich jener, der für die Internierung bei Tage genutzt wurde, nicht begehbar. In diesem Bereich fand auch die vollständige Beraubung statt. Die Abtrennung dieses Bereichs müsste unbedingt korrigiert werden. Denn Halbheiten sind fehl am Platz.
Fertiggestellt sind demnach faktisch der eine Kellerraum und die Rampe (60m). Diese diente im Rahmen der Deportationen dazu - Ordnung muss auch im angestifteten Chaos sein – den von Angst und Todesahnung begleiteten Weg aus den Kellern vorschriftsmäßig und streng gelenkt Richtung Gleise zu gehen, auf denen die Waggons warteten. Die Rampe ist teils überdacht. In die Rampenwände sind auf steinernen Platten Zitate der Opfer eingemeißelt. Sie enthält auch ein stählernes Tor und eine Glasscheibe mit Zitat. Näheres erklärt eine Führung. Die Rampe vermittelt einen mykenischen Eindruck.
Zitate finden sich auch im Kellerraum auf Betonflächen über Durchblicken und Durchgängen, auf dem Gelände der EZB („Weg aus der Stadt“), an einem öffentlichen Weg direkt neben dem Gebiet der EZB, am Gleisfeld und am Stellwerk, sowie am Fußgängersteg. Vollständig erst in einem Jahr.
Die gesamte Anlage ist, den Bekundungen der Architektengemeinschaft gemäß unaufdringlich gehalten, sie dringt nicht ein oder agitiert nicht irgendwie.
Als Problem wird allgemein gesehen, dass der Abbruch der Annex-Bauten eine möglichst dem Originalzustand entsprechende Wieder-Erschließung per Augenschein reduziert. Das Original besteht nicht mehr, bzw. nur noch in Teilen. Verändert eben.
In Arbeit sind:
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ein Fußgängersteg und
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ein Treppenaufgang (Teil der Gleisanlage, der über das Gleisfeld führt)
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ein Stellwerk (muss denkmalgerecht neu errichtet werden)
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bestimmte Teile des Gleisfelds
Den Treppenaufgang nutzten „Angehörige für den Abschied, aber auch Schaulustige zur Beobachtung des Geschehens“ (Erläuterung Architektengemeinschaft KatzKaiser, Köln).
Aus einem Zitat heißt es: (Ort Fußgängersteg) „Während der ganzen Fahrt wurden wir von einer johlenden Menge beschimpft und verhöhnt. `Schlagt sie doch tot, warum die teuren Kohlen für den Transportzug!` Immer wieder diese Zurufe, offenbar einstudiert.“ (Ferdinand Levi, 1955)
Die Anlage auf dem Grundstück der EZB ist nur nach Anmeldung über das Jüdische Museum begehbar, weicht daher vom üblichen Modus eines Museums ab.
Sie soll ab Herbst 2015 als Ganzes fertiggestellt sein.
„Erinnerungsstätte an der Großmarkthalle“
Gelände der EZB
Erinnerungsstätten-Fußweg außerhalb
60314 Frankfurt am Main, Sonnemannstraße