Barbara und Eduard Beaucamp über Guercinos „Madonna mit Kind“ in der Reihe „Standpunkte zur Kunst“ im Städel Frankfurt

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mal ganz abgesehen davon, daß Frankfurts Kunstwelt geradezu glücklich darüber ist, daß das Städel wieder zugänglich ist – denn unter uns ist es eben doch Frankfurts ehrwürdigste und spannendste kulturelle Einrichtung - , hat man die Neueröffnung auch genutzt, um das große Interesse des Publikums am Reden über die Bilder durch die Vortragsreihe „Standpunkte zur Kunst“ möglich zu machen, weshalb Donnerstag für Donnerstag die Säle voll sind.


Diesmal sprachen Barbara und Eduard Beaucamp mit Prof. Jochen Sander, stellvertretender Direktor und Sammlungsleiter der „Alten Meister“, über das 1621/22 entstandene Werk „Madonna mit Kind“ von Guercino, einem der bedeutendsten Maler des italienischen Barocks. Ende 2010 stiftete das Frankfurter Ehepaar das kostbare wie kunsthistorisch wichtige Werk dem Städel. Heute ging es nun zum einen um die außergewöhnliche künstlerische Qualität des Neuzugangs und seine spannende Zuschreibungsgeschichte, aber eben auch, wie dieses Bild in die Hände der beiden Sammler geraten ist und wie und daß sie sich von diesem Guercino trennten und das Gemälde nun öffentliches Eigentum im Städel ist.

Gerammelt voll war also der Italienersaal des Städel, in dem vorne links das Original hängt, das man gleichzeitig an der Stirnwand  an einer Riesenleinwand im Riesenformat sah. Das ist schon einmal eine wohltuende Idee, inmitten von soviel Aura echter Bilder ein Gespräch zu führen, daß durch die Thematik und die Gesprächsform lebendig blieb. Max Hollein, Museumsdirektor hatte nicht nur begrüßt – das fällt uns sehr positiv auf, daß er jeweils die Abende einleitet, aber auch bis zum Schluß dabei bleibt -, sondern durch seinen warmherzigen Dank für das Ende 2010 sozusagen als „Weihnachtsgeschenk“ gestiftete Gemälde die emotionale Stimmung des Publikums wiedergegeben.

Im Hin und Her erfuhr man zusammengefaßt Folgendes: Ausgangspunkt ist, daß Guercino, eigentlich Giovanni Francesco Barbieri, 1591 – 1666,  in Deutschland unter Wert, also weniger berühmt ist, was auch daran liegt, daß im alten Westdeutschland kein Bild von ihm in einem der Museen hing. In Mainz gab es eines im Depot, das jetzt gehängt ist und in Berlin gibt es heute in der Gemäldegalerie die mystische Vermählung der Hl. Katharina. Eduard Beaucamp – und nun muß man doch sagen, daß dieser der Doyen der Kunstkritik der FAZ ist und sich noch immer in die Kunstdiskussion einmischt und vor allem durch seinen Einsatz für die sogenannte Ostkunst, also die in der DDR entstandenen Bilder und ihre Künstler, die im Westen auch nach 1989 weithin ignoriert wurden, diese ‚salonfähig‘ gemacht hat, was unsereiner ihm ewig danken wird – also Eduard Beaucamp hat sich 1981 einen Versteigerungskatalog angeschaut.

Da waren wir schon mal platt. Wir hatten uns zusammenphantasiert, daß bei einem Italienaufenthalt die beiden bei einem Flohmarkt unter einer Brücke dieses Bild gesehen, liebgewonnen, billig gekauft und die Zuschreibung an Guercino geahnt, nachgeforscht und bewiesen hatten. Zwei Dinge stimmen auch: das Bild war im Verhältnis zu seinem Wert sehr günstig und ein Guercino ist es auch. Aber sonst war alles ganz anders. Beaucamp also sah im Versteigerungskatalog von Arnold 1981 dieses Bild. Das Auktionshaus Arnold mitten in der Stadt ist eine Frankfurter Institution – sein damaliger Leiter Karlheinz Arnold wurde gerade mit der Goetheplakette geehrt -, Eduard Beaucamp ist aber auch eine kunsthistorische Institution. Also bestellte er erst einmal seine Frau zur Besichtigung des Bildes, das beiden gefiel. Und dann ging sie zur Auktion, denn er wäre wohl zu auffällig gewesen und hätte den Preis nach oben getrieben, wenn der Herr Kunstkritiker persönlich…ist unsere Interpretation. Zumal ist seine Frau ebenfalls Kunsthistorikerin, also fachkundig ist, die aber vor allem in Museen arbeitet und Bestandskataloge erstellt.

Der Schätzpreis des Bildes belief sich auf 400 DM und das Bild entstammte einer süddeutschen Familie. In der Versteigerung wurde es zwar teurer, aber überschaubar im Preis, erzählte Barbara Beaucamp und wie sie danach, die Madonna unterm Arm, nach Hause marschierten und in der Bockenheimer Anlage das Gemälde erst mal auspackten und es sich in der Sonne genau anschauten. Bis Ende 2010 hing es über dem Sofa an der Wand, wo es auch Jochen Sander angeschaut hatte, als er beim Tee seine Idee einer Schenkung gar nicht weiter explizieren mußte, denn damit „riß er offene Türen ein“. Das Bild ist seit damals erneut gereinigt und hängt nun in einem zeitgenössischen prunkvollen goldenen Rahmen; einem Museum angemessen, in unseren Wohnzimmern sprengt solch Rahmen schon meist, ja, „den Rahmen“ eben.

Höchst amüsant und lehrreich, was zwischen Bilderwerb und Bildgeschenk passierte, immerhin nun an die 30 Jahre. Erst galt es die Zuschreibung an Guercino zu erkennen, sie zu beweisen, was in Deutschland weniger gut möglich war. Kennen wissen, daß es für italienischen Barock einen englischen Liebhaber gibt, leider muß man ‚gab‘ sagen, denn mit 100 Jahren ist Denis Mahon im letzten Jahr verstorben, der vor allem der profundeste Guercinokenner war. Er war von Anfang an überzeugt, daß dies ein „echter Guercino“ sein, ein früher zudem, der eine fast bäuerliche, volkstümliche Madonna zeige. Andere hielten dies für ein Fragment und suchten die abgeschnittenen Teile.

Jochen Sander, der keine große Mühe hatte, die beiden Sammler zum Sprechen zu bringen, fragte nicht nur nach, sondern gab dann auch noch knapp und kurz eine Künstlerbiographie des Guercino zum Besten, der mit seinen Vorbildern und Nachahmern ein typisches Bild eines Barockmalers abgibt, der in den Zeitläufen jeweils unterschiedlich beachtet und bewertet wurde. Hoch eben im 19. Jahrhundert, weshalb auch diese Madonna als eine des 19. Jahrhunderts im Versteigerungskatalog ausgewiesen war und etliche Kunstkenner immer wieder auch nach Ansicht des Gemäldes darauf beharrten.

Warum auch die Schirn wohl dieser Meinung war, zumindest an der Echtheit zweifelte, müßte aufzuklären sein. Auf jeden Fall wurde das Beaucampsche Bild in der großen Il Guercino Ausstellung 1991/92 in Frankfurt mit Einsatz von Mahon zwar gezeigt, aber nicht in den Katalog mitaufgenommen. Das wollen wir bei Gelegenheit dann doch mal den damaligen Leiter Christoph Vitali, vor allem aber sein kunsthistorisches Hirn, Sibylle Ebert-Schifferer, heute Rom, fragen – und werden das auch tun. Entweder hielten sich die beiden Sammler an dieser Stelle bedeckt oder sie wissen wirklich nicht mehr darüber, warum ihr Guercino damals nicht in die Guercinosche Familie aufgenommen wurde.

Das ist nun heute anders. Der Neuzugang schmückt das Städel und alle sind zufrieden. Das Bild muß sicher hin und wieder ausgeliehen werden und war schon in großen monographischen Guercino-Ausstellungen in Bologna und Mailand gezeigt und fand den ihm gebührenden Platz in den von Luigi Salerno und David M. Stone herausgegebenen Werkverzeichnissen des Künstlers. Und wir bleiben in Gedanken, ob wir uns von einem solchen Werk auch zu unseren Lebzeiten getrennt hätten?


Kommende Vorträge in der Reihe „Standpunkte der Kunst“:

Donnerstag, 9. Februar 2012, 19 Uhr
Prof. Dr. Jochen Sander: Ein kapitaler Neuzugang: Raffael und das Bildnis Papst Julius II.

Donnerstag, 28. März 2012, 19 Uhr
Ein Gespräch zwischen Klaus Gallwitz und Max Hollein aus Anlass der Sammlungspräsentation „Zurück im Städel: Dan Flavin“: Vom Sammeln zeitgenössischer Kunst.