Die Europäische Zentralbank (EZB) und Frankfurt

 

Hubertus von Bramnitz und Stefan Röttele

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Außerhalb der Stadt Frankfurt bekommt man natürlich nicht mit, wie hier die Nervosität zur Eröffnung des neuen Gebäudes der EZB im Ostend die Spannung steigt, durchaus auch die Angst, daß etwas aus dem Ruder laufen könnte. Wir werden berichten. Jetzt erst einmal die durchs Presseamt der Stadt zusammengetragenen Meinungen der Oberen.

 

Finanzhauptstadt, Wirtschaftsstandort, internationaler Anziehungspunkt – die Europäische Zentralbank ist ein Pfund, mit dem Frankfurt wuchern kann. Eines, von dem Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur profitieren. Über die Bedeutung der EZB äußern sich an dieser Stelle Politiker, Vorstandsvorsitzende, Geschäftsführer, Entscheider. Auch Aktivisten, die der EZB kritisch gegenüberstehen, kommen zu Wort.

 

Frankfurt und die EZB, wie passt das zusammen?

 

Peter Feldmann, Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt: „Mit der EZB ist Frankfurt zur dritten europäischen Hauptstadt geworden. Durch sie wird die traditionelle Position der Mainmetropole als internationalste Stadt Deutschlands weiter gestärkt. Sowohl als Stadt der Messen, der Banken aber auch der Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt. Blockupy ist eine Herausforderung für die EZB ebenso wie für die Stadt Frankfurt. Kritische Diskurse auch gegenüber der Finanzwirtschaft haben schon immer zu unserer Stadt gehört und sind Teil unserer Tradition. Kapitalismuskritik muss auch weiterhin möglich sein. Gewalt hat aber keinen Platz in unserer Stadt.“

 

 

Uwe Becker, Kämmerer der Stadt Frankfurt: „Europa steht für Einheit in Vielfalt, ein Motto, das sich auch auf Frankfurt übertragen lässt. Nicht nur die Institutionen, sondern vor allem auch das friedliche und respektvolle Miteinander der Bürger stehen dafür. Frankfurt ist weit über seine Grenzen hinaus als herausragender und attraktiver Wirtschaftsstandort, als Bankenstadt, aber auch als weltoffene, lebenswerte und internationale Stadt bekannt. Die Europäische Zentralbank fügt sich nicht nur mit ihrem Neubau architektonisch in das Stadtbild ein, sie stärkt zusammen mit den Aufsichtsbehörden Frankfurts Rolle und Bedeutung in Europa und in der Welt. Die Eröffnung des EZB-Neubaus ist ein großartiges Bekenntnis Europas zu Frankfurt und wird wie nur wenige Maßnahmen die Entwicklung unserer Stadt wirklich nachhaltig sehr positiv befördern.“

 

 

Welche Rolle spielt die neue EZB für das Ostend und die Stadtentwicklung insgesamt?

 

Olaf Cunitz, Bürgermeister und Planungsdezernent: „Der stetige Wandel ist mittlerweile zu einem Charakteristikum für das Ostend geworden, das sich im vergangenen Vierteljahrhundert wie kaum ein anderer Frankfurter Stadtteil verändert hat. Der Neubau der EZB hat zahlreiche Prozesse beschleunigt, beeinflusst und neue begründet. Das eindrucksvolle Hochhaus bereichert unsere Skyline und wird als Symbol sowohl für Frankfurt wie auch für die EZB weltweit wahrgenommen. Es ist zu begrüßen, dass durch die EZB die denkmalgeschützte Großmarkthalle eine neue Nutzung erfahren hat und sie somit dauerhaft erhalten wird. Es gibt aber auch Sorgen im Stadtteil in Bezug auf den EZB-Umzug. Gegenwärtig setzen wir eine Milieuschutzsatzung für das Ostend auf, die eine Verdrängung der angestammten Bewohnerschaft verhindern soll.“

 

 

Welche Bedeutung hat die Nähe zur EZB für den Wirtschaftsstandort Frankfurt als Ganzes?

 

Markus Frank, Frankfurter Wirtschaftsdezernent: „Die EZB ist ein einzigartiger Wirtschafts- und Standortfaktor, der den Finanzplatz Frankfurt unter den anderen Finanzplätzen Europas hervorhebt und deutlich macht, dass Frankfurt am Main zu den wichtigen Steuerungszentralen des europäischen Integrationsprozesses zählt. Durch die Ansiedlung der europäischen Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank und der europäischen Versicherungsaufsicht wird der Finanzplatz Frankfurt als Arbeitsstätte für Finanz- und IT-Fachleute weiterhin an Bedeutung gewinnen. Die einzigartige Silhouette des EZB-Neubaus unterstreicht jetzt auch weithin sichtbar die Bedeutung von Frankfurt für Europa. “

 

Lutz Raettig, Aufsichtsratsvorsitzender der Morgan Stanley Bank AG und Sprecher des Vorstands der Finanzplatzinitiative Frankfurt Main Finance: „Der Einfluss der EZB auf Frankfurt ist durch und durch positiv, mit Blick auf die Einwohner, auf die Stadtkultur und auf die Wirtschaft. Die Bevölkerung Frankfurts wächst und zieht auch dank der EZB Talente aus ganz Europa an den Main. Frankfurt war schon immer eine offene Stadt – und dank der EZB ist sie heute vielleicht die europäischste unter allen Städten.“

 

Mathias Müller, Präsident der IHK Frankfurt Rhein-Main: „Markantes Symbol für die Region, für die Stadt und für den Finanzplatz sowie Solitär in der Frankfurter Bankenskyline: Die eindrucksvolle Architektur des Neubaus der Europäischen Zentralbank im Ostend setzt ein starkes Zeichen für stabile Rahmenbedingungen und geldpolitische Solidität in der Währungsunion. Zugleich festigt das imposante Gebäudeensemble den Nimbus Frankfurts als heimliche Hauptstadt der Eurozone, in der seit Jahren neben der EZB mehrere europäische Regulierungs- und Aufsichtsinstitutionen mit ihren vielen Mitarbeitern beheimatet und der hiesigen Finanzcommunity eng verbunden sind. Als Repräsentant der gewerblichen Wirtschaft in Frankfurt am Main, im Hochtaunuskreis und im Main-Taunus-Kreis wünsche ich den Verantwortlichen der EZB auch in ihrem neuen Domizil allzeit eine glückliche Hand bei allen anstehenden geldpolitischen Entscheidungen – zum Wohle der Unternehmen sowohl der Finanz- als auch der Realwirtschaft.“

 

 

Inwiefern profitieren so international aufgestellte Unternehmen wie die Messe Frankfurt oder die Fraport AG von der EZB beziehungsweise der Nähe zu ihr?

 

Wolfgang Marzin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Frankfurt: „Am internationalen Banken- und Messestandort Frankfurt wird der Zusammenhang zwischen Finanz- und Realwirtschaft besonders deutlich sichtbar. Die rund 85.000 Aussteller, die wir im vergangenen Jahr auf den Veranstaltungen der Messe Frankfurt rund um den Globus begrüßt haben, sind eng mit der Finanzwirtschaft verzahnt. Historisch gesehen ist aus dem Handelsplatz Frankfurt seit über 400 Jahren die Finanzmetropole entstanden. Folgerichtig hat hier auch die Europäische Zentralbank ihren Stammsitz gefunden. Und dies lässt die Bedeutung des Heimatstandorts der Messe Frankfurt auch in den Augen unserer Kunden weiter wachsen.“

 

Stefan Schulte, Vorsitzender des Vorstands der Fraport AG: „Als gerade einmal fünftgrößte deutsche Metropole wird die globale Bedeutung Frankfurts durch den internationalen Finanzstandort geprägt. Die Standortentscheidung der EZB für Frankfurt aus den frühen 90er Jahren hat die Internationalisierung der Stadt vorangetrieben und die Attraktivität für in- und ausländische Akteure erhöht. Mit der Ausweitung der Zuständigkeiten durch die Europäische Bankenaufsicht und dem Bezug des neuen EZB-Gebäudes im Ostend wird sich dieser Trend fortsetzen. Eine bedeutende Rolle für diese Entscheidungen hat sicher auch die Nähe zum Frankfurter Flughafen mit seinen mehr als 250 Zielen weltweit gespielt. Als Hessens „Tor zur Welt“ bietet er dem gesamten Finanzstandort Frankfurt und damit auch der EZB die direkten Verbindungen zu den wichtigen globalen Märkten. Umgekehrt profitiert der Frankfurter Flughafen von dem gestiegenen Geschäftsverkehr, so dass sich diese Entwicklungen im positiven Sinne gegenseitig verstärken.“

 

 

Frankfurt setzt durch die neue EZB ein Ausrufezeichen als internationale Metropole des Geldes und der Internationalität. Inwiefern spiegelt sich das in der Kunst wider?

 

Bernd Loebe, Intendant Oper Frankfurt: „Frankfurt wird durch die Eröffnung der EZB nun wirklich zur Main-„Metropole“. Der dadurch entstehende internationale Fokus auf die Stadt kann dem hiesigen, vielfältigen Kulturleben nur gut tun. Als europäische Finanzhauptstadt mit einem architektonisch höchst innovativem Domizil im Osten Frankfurts wird auch unser breites kulturelles Angebot in jeder Hinsicht vermehrt in den Mittelpunkt des überregionalen Interesses rücken. „Was passiert eigentlich in Europas Finanzknotenpunkt in puncto Kultur?“, diese Frage wird künftig häufiger seitens der Medien gestellt werden – mit einer daraus resultierenden entsprechenden Berichterstattung. Auch für potentielle Förderer könnte der Kulturstandort Frankfurt – als zentraler europäischer Finanzplatz – größere Aufmerksamkeit finden.“

Inwiefern profitieren Forscher am House of Finance der Goethe-Universität von der räumlichen Nähe zur EZB?

 

Professor Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität: „Dank der EZB-Nähe sind Studierenden und Forschende der Goethe-Universität am Puls der europäischen Finanzmärkte und ihrer Regulierung – ein unschätzbarer Vorteil für die Relevanz ihrer Forschung. EZB und Goethe-Uni profitieren von gemeinsamen Forschungsprojekten, Veranstaltungsreihen wie die Konferenz „ECB and Its Watchers“, Lehr-Kooperationen sowie zahlreichen informellen Gesprächskanälen. Mit dem House of Finance und dem LOEWE-Zentrum SAFE verfügt die Goethe-Universität über eine herausragende Expertise im Bereich der Finanzforschung. Unabhängige Forschung greift aber ebenso kritische Entwicklungen unseres Wirtschafts- und Finanzsystems auf. Auch dafür steht die Goethe-Uni in der Tradition der Kritischen Theorie: Damit kein einseitiger Blick auf gesellschaftliche Wirklichkeiten entsteht, müssen Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften sich eng verzahnen.“

Inwiefern profitiert Eintracht Frankfurt vom Finanzplatz Frankfurt mit EZB?

 

Peter Fischer, Präsident von Eintracht Frankfurt: „Frankfurt gilt gemeinhin als die Stadt der Banken und der Messe. Mit dem Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt wird die internationale Bedeutung der Stadt als Finanzplatz unterstrichen. Doch auch der Sport trägt zur enormen Bedeutung Frankfurts bei. Mit dem Deutschen Fußballbund und dem Deutschen Olympischen Sportbund haben zwei der wichtigsten Sportorganisationen ihren Sitz in Frankfurt. Mit der Teilnahme an der Europa League in der Saison 2013/14 haben unsere Profis und unsere reisefreudigen Fans einen großen Beitrag dazu geleistet, die Marke Eintracht Frankfurt weit über unsere Stadt- und Landesgrenzen hinaus zu repräsentieren. Für eine erfolgreiche Zukunft spielen für unseren Verein starke Partner eine gewichtige Rolle. Vom Potenzial, welches der Finanzplatz Frankfurt innehat, können wir dabei nur profitieren.“

 

 

Was stört Sie an der EZB beziehungsweise der mit ihr verbundenen Politik am meisten?

 

Jan Umsonst vom Gouverneursrat der Europäischen Occupy Zentralbank (EOZB): "Die EZB sollte als Behörde nicht aktiv in die Politik eingreifen. Als Teil der sogenannten Troika hat sie aber sehr aktiv zur Verarmung in Griechenland und anderen Ländern beigetragen. Ich kritisiere die EZB auch für ihre Intransparenz. Sie greift substanziell in die Finanzmärkte ein, legt die Details aber selbst vier Wochen nach Abschluss der Geschäfte nicht offen. Mit der Kreditvergabe nach dem aktuellen Mengentenderverfahren garantiert die EZB außerdem den Geschäftsbanken risikolose Gewinne auf Kosten des Gemeinwohls."

 

 

Was hat der Protest von Blockupy in den letzten Jahren erreicht?

 

Thomas Occupy, einer von sechs Sprechern des Blockupy-Bündnisses: "In vielen Bevölkerungsschichten hat sich die Diskussion über die europäische Verarmungspolitik bereits verändert. Der Existenz des Blockupy-Bündnisses erfährt transnational eine Aufmerksamkeit, die viel größer ist, als man das hier in Frankfurt wahrnehmen will. Der Protest am Sitz der EZB wird im Ausland als sehr wichtig betrachtet. Die repressiven Polizeimaßnahmen der Vergangenheit haben sicher auch zur öffentlichen Aufmerksamkeit beigetragen."

 

 

Die Fragen stellte Stefan Röttele