Neuauflage des Buches über die Diskriminierung und Ausgrenzung jüdischer Schülerinnen und Schüler in Frankfurt, Teil 1/3

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am Tag vor dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, der sich zum 71. Mal jährte, wurde im Casino Campus Westend die Neuauflage des Buches: 'Berichte gegen Vergessen und Verdrängen - von 100 überlebenden jüdischen Schülerinnen und Schülern über die NS-Zeit in Frankfurt am Main' vorgestellt.

 

Der Untertitel vermittelt etwas von dem Eindruck der unsagbaren Niedergeschlagenheit und tief wirkenden Betroffenheit derjenigen, die als 'Überlebende' berichten: „Der Weg zur Schule war eine tägliche Qual“. Gemeint ist das Spießrutenlaufen der jüdischen Schülerinnen und Schüler, das sich alltäglich wiederholte, soweit sie nach der Machtübernahme Hitlers noch die regulären Schulen besuchen durften. Ab November 1938 wurden alle Schülerinnen und Schüler aus den Regelschulen entfernt, sie durften nur noch auf 'jüdischen Schulen' unterrichtet werden. Der Weg in die Deportation und Vernichtung hatte eingesetzt. Das wiedervorgestellte Buch war schon 1994/95 erschienen. Weit über 500 Briefe wurden für das Buch verwendet. Für die Neuauflage zeichnet ebenso wie für die vergangenen Auflagen wieder Benjamin Ortmeyer von der Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Goethe Universität Frankfurt am Main als Herausgeber verantwortlich.

 

Die Neuauflage enthält ein Vorwort des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main, Peter Feldmann (oben im Bild) , der auch am Tag der Vorstellung mit dem Thema: 'Die aktuelle Bedeutung der Erinnerung an die NS-Zeit' einleitete. Schwerpunkt seiner Ausführungen waren die jüdischen Bürgergründungen in Frankfurt, die gelungene Emanzipation der Bürgerinnen und Bürger mit jüdischen Wurzeln aus der Situation des Ghettos. Er regte an, mit dem Begriff Auschwitz bedächtig umzugehen, um ihn nicht zur Formel herabkommen zu lassen und kam auf die gemeine Verschleuderung des Besitzes der Gemordeten für 'n Appel und 'n Ei zu sprechen. Auch gemahnte er an die damalige furchtbare Diskrepanz zwischen Normalität und Qual, zwischen dem Verlies in der Großmarkthalle und dem oben weiterlaufenden Handel zu ebener Erde. Normalität und Wahnsinn liegen eng beieinander.

 

Neben Benjamin Ortmeyer, der einen kurzen audio-visuellen Einblick in das Buch gab, war Trude Simonsohn (94 und oben im Bild) vom Beirat der Überlebenden/Fritz-Bauer-Institut gekommen. Sie sprach zum Thema 'Die Bedeutung des Jahrestages der Befreiung von Auschwitz'. Für sie – und nun auch für uns - bleibt aus ihrer Schulzeit die Erinnerung an einen kaum erträglichen Vorgang der Schulzeit ins Gedächtnis geschrieben, der wiedergibt, wie eine Mitschülerin unverdrossen einen Ausschnitt aus dem antisemitischen Hetzblatt 'Der Stürmer' ins Englische übertragen vortrug – um sich damit nazistisch angepasst hervorzutun. „Ich saß da wie gelähmt“, sagte Trude Simonsohn.

 

Nur wenige taten sich als Ausnahme hervor

 

Gemeinsam ist all dem Geschilderten im Buch die so rasend schnell zum Alltag gewordene giftige Gemeinheit und Niedertracht im Verhalten der offiziell als 'arisch' gehandelten Schülerinnen und Schüler gegenüber ihren jüdischen Kameradinnen und Kameraden, indem jene sich in großer Zahl unmittelbar nach Hitlers Machtantritt von ihnen abwandten und sie verleugneten. Sie schnitten, pöbelten und griffen - auch tätlich - an. Es reichte bis hin zu Morddrohungen.„Mit den Freundinnen und Mitschülerinnen war es wie abgeschnitten“, „Alle Nachbarn zogen sich von uns zurück. Ich war sehr allein“, „Im Wöhler-Realgymnasium wurde ich im Frühjahr von meinen Mitschülern angegriffen“ (Zitate aus dem Buch). Der Alltag im NS-System wie auch die gerissene PR-Technik des Klauens und Umwidmens der Zeichen und Symbole der unverfänglichen Alltagskultur - wie z.B. in der Dienstbarmachung der Farbe Rot oder Inanspruchnahme des Naturideals für die NS-Ideologie - ist ein wissenschaftlich bearbeiteter Themenbereich Benjamin Ortmeyers. Fortsetzung folgt

 

Foto: Der Frankfurter OB Peter Feldmann und Trude Simonsohn

 

Info:

'Berichte gegen Vergessen und Verdrängen von 100 überlebenden jüdischen Schülerinnen und Schülern über die NS-Zeit in Frankfurt am Main', „Der Weg in die Schule war eine tägliche Qual“, herausgegeben von Benjamin Ortmeyer, Protagoras Academicus, 4. Auflage 2016, ISBN 978-3-943059-22-9