Serie: 6. literaTurm wird zum Literaturfestival Frankfurt RheinMain vom 2. bis 13. Mai 2012, Teil 2/ 10

 

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Irgendwie hat er was, der Kaisersaal im Frankfurter Römer, in dem sich unsereins schon deshalb zu Hause fühlt, weil alle wichtigen Ereignisse in Frankfurt hier ihren Anfang oder Schluß nehmen und man sich dabeizusitzen bemüht. Aber so richtig merkt man diese Aura von Geschichtlichkeit immer dann, wenn einem Auswärtige darauf ansprechen, wie der übervolle Saal vor Spannung geradezu vibrierte.

 

Dabei ging es nur um die Eröffnung des 6. Festivals, das zwar den Namen literaTurm beibehalten hat, aber seine inhaltliche Ausrichtung mit LAKONIE UND LEIDENSCHAFT für dieses Jahr auf einen Nenner brachte und sich zudem mehr als verdoppelt hatte, was die Zahl von 47 Veranstaltungen angeht. Es bleibt aber beim zweijährigen Turnus. Darauf kam der Frankfurter Kulturdezernent Felix Semmelroth zu sprechen, der sich von den Veranstaltungen ein Gefühlsregister der Literatur erhofft. Zuvor konnte er zufrieden konstatieren, daß die gerade abgelaufene Lese- und Lesungsaktion „Frankfurt liest ein Buch“, die Silvia Tennenbaums STRASSEN VON GESTERN galt, nicht nur der 13 000 Besucher wegen äußerst erfolgreich war.



Verleger Klaus Schöffling saß mit im Publikum, wie auch seine Kollegen K.D. Wolff und Joachim Unseld, aus deren Verlagen ebenfalls Titel beim diesjährigen Festival eine Rolle spielen, wie so viele, die Sie bitte unserer Festivalvorstellung im Teil 1 entnehmen und die nun in den nächsten Tagen als Lesungen oder Autorenbesprechungen die „Renaissance der Gefühle“, wie Semmelroth meinte, erweisen sollen. Die Podiumsdiskussion sollte nun die Kraft der Literatur für die Freisetzung von Gefühlen erweisen und auch literarische Muster dafür liefern, wie unsere Vorstellungen von der Liebe seien, vor allem aber, was den schmerzhaften Prozeß des Entliebens angeht: Wie wird auf Verlust, Verrat, Verlassenwerden in der gegenwärtigen Literatur reagiert?

Duraus ein anspruchsvolles Thema, das mit IM ZEICHEN DER LIEBE untertitelt war, dem sich das Podium unter der Moderation von Felicitas von Lovenberg (FAZ) und den Teilnehmern Eva Illouz, israelische Kultursoziologin mit Schwerpunkt Theorie der Gefühle und der Veröffentlichung WARUM LIEBE WEHT TUT, und den Schriftstellern Michael Lentz – im Jahr 2003 der Roman LIEBESERKLRÄUNG - und Ulrike Draesner, die für die krank gewordene Sibylle Lewitscharoff gekommen war und gerade VORLIEBE herausgegeben hat. Wollen wir die Podiumsdiskussion zusammenfassen, könnte man sagen, daß da drei durchaus auseinandergehende Meinungen zum gegenwärtigen Liebesdiskurs vorgebracht wurden, die jede für sich richtig interessant war, aber dennoch zusammen kein Gespräch ergaben. Woran das lag?

Schwer zu beantworten, vielleicht an der Vielschichtigkeit des Themas, vielleicht aber auch an den Fragestellungen der Moderatorin, die eher – vor allem mit Eva Illouz – das Frage-Antwortspiel in Gang setzte, womit die anderen ausgeschlossen waren, die Angesprochene aber sich gerne von der Frage distanzierte und eine andere, als von der Moderatorin erwartete Antwort gab. So stellt die Israelin die kühne These auf, daß sich vom 12. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ein stabiles religiöses Konzept von Liebe gehalten habe; zusammen mit dem Glauben an den einen Gott gab es die Erwartung an die eine Liebe im Leben. Die mystische Verehrung der Liebe sei zudem in der romantischen Liebe auch ein Ersatz für das religiöse Gefühl von einst.

Angefangen hatte es mit der Fragwürdigkeit des Satzes: „Ich liebe Dich“, auf den einmal nicht Umberto Eccos Bonmot erfolgte, sondern das grundsätzliche Unwohlsein vor dem Pathos des tausendmal geschworenen Satzes, der dann in langen Trennungssequenzen zum Beweis des Weiterliebenmüssens erhoben wird. Michael Lentz kam hier und öfter die auf den Punkt gebrachte Klarstellung angesichts von Gequatsche zu: „Lieber Kitschvorwurf als hohle Nuß!“. Auch für Eva Illouz bleibt dieser Satz synonym mit dem Gefühl, das die Menschen antreibe und anders als die Moderatorin, die mit ihrer Behauptung, heute sei die Liebe frei und jeder könne jeden heiraten, wenn er ihn liebe, legte sie wert darauf, daß es weiterhin die Funktion der Literatur sei, Tabus und Normen der Gesellschaft zu sprechen und da diese noch vorhanden seien, könnten dies auch Gefühle und damit Liebe sein.

Andererseits sieht sie einen enormen Bedeutungsverlust des revolutionären und die Normen sprengenden Erzählens, weil die Literatur im Laufe der Jahrhunderte an ihrer eigenen Abschaffung mitgewirkt habe. So sei eine Madame Bovary als literarische Erhöhung einer Schicksalsfigur nicht mehr denkbar: „Sie hätte Freundinnen, die ihr sagen würden, daß sie zu viele Romane gelesen habe.“ Demgegenüber stellt erfrischend Ulrike Draesner heraus, daß die Liebe zwar ihre allgewaltige Rolle beibehalten habe, daß sie aber sowohl in der Natur wie in der Kunst über andere Medien, insbesondere das Internet, erfolgreicher agiere. Liebesfilme in Kino und Fernsehen, die Partnerbörsen und sonstige Online-Kennenlernaktionen und vor allem Pop-Songs seien derart erfolgreich , daß man überhaupt nicht von einem Abnehmen des Interesses an Gefühlen und Gefühlsverwicklungen sprechen könne, die man mit Hilfe von außen in sich aufbauen lernt.

Ulrike Draesner sprach auch einen literaturhistorisch wichtigen Punkt an: Es sei PARZIVAL gewesen, der erstmalig das Phänomen, das uns bis heute beschäftigt, literarisch gewürdigt habe: das Zusammenspiel von Körper und Gefühl. Den ihm habe sich, als er als Kind im Walde die Vöglein singen hörte, die Brust geweitet und ein Gefühl erzeugt, von dem in der Literatur erst zweihundert Jahre später als Sehnsucht die Rede sein wird. Was es heute damit auf sich hat, wird sich in den Tagen des Festivals an den vielen Veranstaltungen erweisen.

Der Weltexpresso wird kontinuierlich über alle Veranstaltungen berichten.

Unter www.literaturm.de sind alle Informationen zu Veranstaltungen und Teilnehmenden abrufbar.