Wenn Krämerseelen den öffentlichen Verkehr planen

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Pünktlich zum Beginn des neuen Schuljahrs wird die Straßenbahnstation am Frankfurter Hauptbahnhof zur Großbaustelle.


Betroffen davon sind die Linien 11, 12, 16,17, 19 und 21. Die Verkehrsgesellschaft Frankfurt meldet dazu auf ihrer Internetseite: »Der Betrieb der Linie 19 ist vollständig eingestellt, die Linie 11 verkehrt nicht zwischen „Güterplatz“ und „Willy-Brandt-Platz“; die Linie 12 wird umgeleitet und fährt nicht zwischen „Konstablerwache“ und „Stresemannallee“. Die Linien 16 und 17 entfallen zwischen "Hohenstaufenstraße" und "Baseler Platz". Die Linie 21 entfällt zwischen "Nied Kirche" und "Hauptbahnhof Südseite". Eine gemeinsame Straßenlinie 11/16 verkehrt zwischen "Zuckschwerdtstraße" und "Ginnheim" über "Hohenstaufenstraße". Eine gemeinsame Linie 11/17 verkehrt zwischen "Zuckschwerdtstraße" und "Rebstockbad" über "Hohenstaufenstraße", die als Ersatz für die Linie 21 zwischen "Güterplatz" und "Nied Kirche" dient.«

Diese Einschränkungen gelten für die Zeit vom 29. August bis zum 11. September. Davon mit betroffen sind auch die Autostraßen vor dem Hauptbahnhof; die Fahrspuren sind in jeder Richtung auf jeweils eine reduziert. Rückstaus bis über die Mainbrücke hinaus bzw. bis zur Höhe des Messegeländes waren am ersten Tag dieser Baumaßnahme der Normalzustand, und sie werden es vermutlich bleiben. Durch Fehl- und Falschinformationen verunsicherte ÖPNV-Nutzer werden mutmaßlich zwei Wochen lang täglich um den Bahnhof herum irren und eine Verkehrslogik nachzuvollziehen versuchen, die nicht beabsichtig war und die sich folglich nicht finden lässt. So wird man an einem entscheidenden Ort des öffentlichen Verkehrs allein gelassen. Und das angesichts einer propagierten Energie- und Verkehrswende. Denn Straßenbahnen, S-Bahnen und die meisten Reisezüge verfügen bereits heute über das, was als Bestandteil einer künftigen Lösung der Verkehrsprobleme an die Wand gemalt wird, nämlich über einen Elektromotor.

Nun ist es unbestritten, dass Gleise und Gleisbette in Abständen erneuert werden müssen. Die Ankündigung, dieses Mal die Arbeiten auch während der Nacht fortzusetzen, ist eine richtige Entscheidung. Aber warum kann man Reparaturen an einem derartig sensiblen Verkehrsknotenpunkt, wo Tram, U-Bahn, S-Bahn und Reisezüge zusammentreffen, nicht abgestuft durchführen? Also den Verkehr tagsüber aufrechterhalten und nachts Abschnitt für Abschnitt in Stand setzen? Das dauert sicherlich länger. Aber die Beeinträchtigungen reduzierten sich auf diese Weise im erheblichen Umfang. Am Beispiel der U 5-Baustelle in der Eckenheimer Landstraße zeigt sich, dass es den Verantwortlichen auf die zeitliche Dauer anscheinend auch gar nicht anzukommen scheint. Denn dort stolpert man von technischer Fehleinschätzung zu Fehleinschätzung und gibt solchen Dilettantismus noch als unvermeidbaren Kollateralschaden aus.

Erneut erweisen sich die kurzfristigen Kosten als das Maß aller Dinge. Offenbar hat von den Betriebswirtschaftlern keiner die Höhe des volkswirtschaftlichen Schadens errechnet, der durch zusätzliche Schadstoffemmissionen, unnötigen Energieverbrauch, vermeidbare Verspätungen, Umsatzausfall in Geschäften und nicht zuletzt durch von Stress und Unfällen hervorgerufene Erkrankungen entsteht?


Der öffentliche Straßenverkehr ist schließlich kein Krämerladen, in dem die Kasse täglich stimmen muss. Hier wird in Gegenwart und Zukunft im Sinn eines schonenden Energieverbrauchs und einer auf breite Teilhabe angelegten Infrastruktur investiert. Deswegen dürfen verantwortliche Positionen, sei es im Magistrat oder in der VGF, nicht mit Krämerseelen besetzt werden. Andernfalls erleben wir eine Kapitulation vor jenen Sachzwängen, die wir selbst geschaffen bzw. bei deren Entstehen wir seelenruhig zugesehen haben.

 

Foto: Vor dem Frankfurter Hauptbahnhof (c) Frankfurter Rundschau