Nachdenklicher Neujahrsempfang der Stadt Frankfurt am 12. Januar, Teil 1/2
Notker Blechner
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Meist verbreiten die Redner beim Neujahrsempfang im Römer Optimismus und Fröhlichkeit. Diesmal jedoch gab es ungewohnt pessimistische und mahnende Worte. FR-Chefredakteurin Bascha Mika warnte vor einem neuen Kulturkampf und hielt ein flammendes Plädoyer für die offene Gesellschaft. Oberbürgermeister Peter Feldmann gab sich kämpferisch.
2017 werde ein Test für die Demokratie, glaubt der Rathauschef. Die Gesellschaft müsse wieder fähig sein, zwischen Wahrheit und Fake News zu unterscheiden - und Hassparolen im Internet zu misstrauen. Die Stadt dürfe nicht die Spaltung in Gut und Börse zulassen. "Wir alle sind Frankfurt", erklärte Peter Feldmann. "Wir lassen uns nicht einschüchtern!"
Natürlich habe der Terroranschlag von Berlin tiefe Spuren hinterlassen. Da sei sogar die Frage gestellt worden, ob der Frankfurter Weihnachtsmarkt geschlossen werden sollte. Die Antwort Feldmanns war klar und unmissverständlich: "Das machen wir nicht und werden wir nicht machen."
Feldman verspricht neues Wohngebiet
Dann trug der SPD-Politiker einen Zehn-Punkte-Plan vor, der eher wie eine lange Wunschliste für den Weihnachtsmann klang. Feldmann versprach den Frankfurter Bürgern 1.000 zusätzliche Kita-Plätze, den Bau von elf weiteren Schulen und ein neues Wohngebiet. Denn die große Herausforderung bleibe, Wohnungen zu schaffen. Andernfalls würden immer mehr Menschen aus der Stadt gedrängt. "Wir werden 2017 darüber diskutieren", verkündete Feldmann. Und noch wichtiger: "Wir werden das entscheiden."
Tatschlich stehen derzeit über 30 Flächen für ein Wohngebiet zur Auswahl, sagte Planungsdezernent Mike Josef (SPD) am Rande des Neujahrsempfangs. Da dürfte es noch heftige Debatten mit der CDU geben. Die Union spricht sich unter anderem gegen eine Bebauung des Pfingstbergs aus.
Frankfurts Schwachstelle
Ob ein neues Wohngebiet und 1.000 zusätzliche Kita-Plätze helfen, um Frankfurts Gesellschaft vor der Spaltung zu retten? Bascha Mika, Chefredakteurin der "Frankfurter Rundschau", hat berechtigte Zweifel. Gerade bei der Wohnsituation liege Sprengstoff. Hier habe Frankfurt seine gefährlichste Schwachstelle, "hier steht das Einfallstor für Populisten offen".
Noch, freilich, "sieht Frankfurt gut aus", erklärte Mika als Festrednerin beim Neujahrsempfang. In dieser Stadt könnten die Eliten nicht einfach über die Köpfe der Leute entscheiden. Hier wollen die Bürger mitreden - ob bei Bauprojekten, Verkehrsinfrastruktur oder Fluglärmbelastung.
"Hier herrscht noch gelebter Gemeinsinn"
Rechtspopulisten haben es in Frankfurt schwer. "Weder Pegida noch Neonazis haben in der Stadt ein Bein auf den Boden bekommen. Kaum wollten sie aufmarschieren, standen bereits Gegendemonstranten bereit", erinnerte sich Mika. Es herrsche noch "gelebter Gemeinsinn". So seien rund 100 Menschen protestierend auf die Straße gegangen, nachdem Unbekannte das Begegnungscafé für obdachlose Flüchtlinge, Shelter, aufgebrochen und verwüstet hatten.
In Dresden hingegen sei die Stimmung deutlich negativer, erzählte Mika. Dort würden viele Bürger nicht für die Demokratie aufstehen und sich gegen den wachsenden Einfluss der Pegida-Bewegung wehren.
Warnrufe von Mika
Die FR-Chefredakteurin, die früher die taz leitete, zeichnete ein düsteres Bild der gesellschaftlichen Entwicklung. "Was sich 2016 an pauschalen Anfeindungen, Denunziation und bösartiger Häme öffentlich austobte, hat ein erschreckendes Niveau erreicht." Ganze gesellschaftliche Gruppen - Politiker, Migranten, Journalisten oder schlicht Andersdenkende - seien als Parasiten, Kriminelle, Lügner oder Verräter beschimpft worden. Da gehe es nicht mehr um Streit, sondern um Ausgrenzung, Feindschaft und moralische Vernichtung des angeblichen Gegners. "Es wird ein Kultur- und Klassenkampf heraufbeschworen, der diese Gesellschaft gezielt auseinandertreiben und zum Zerreißen anspannen soll", warnte Mika.
Dabei sparte die Journalistin nicht mit Selbstkritik. Auch die Medien seien "heißgelaufen zwischen Rechtspopulisten und Flüchtlingsfrage, zwischen Syrien-Krieg und Terroranschlägen, zwischen Putin und Trump". "Sind wir so laut, um unsere Existenzberechtigung zu betonten, die uns zurzeit gern abgesprochen wird", fragte sie rhetorisch.
Fortsetzung folgt
Foto: Von links nach rechts: Die Vertreterin des diplomatischen Chors Aleksandra Djordjevic, OB Peter Feldmann und die Rednerin des Abends, Bascha Mika, Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, im Kaisersaal des Frankfurter Römer (c) Redaktion