Serie: Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises an die Philosophin Judith Butler, Teil 2
Claudia Schulmerich und Klaus Hagert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - So sehr Antisemitismus noch immer eine Rolle spielt – die unglaublichen Vorgänge um die rechtsextreme Szene und ihre Verbindung zu Verfassungsschutzorganen sollte doch einmal genau solche Proteste von Juden und Muslimen und Christen in der BRD hervorrufen wie jetzt die Preisverleihung an Judith Butler – so sehr also Antisemitismus eine Gefahr bedeutet, so albern sind inzwischen diese Vorwürfe, wenn sie auf eine Kritik an israelischer Politik als billige Retourkutsche erfolgen. Von daher könnten wir es uns leicht machen.
Aber. Während die einen den durch die Polizei gesicherten Zugang zur Preisverleihung an Judith Butler in der Paulskirche beschreiten, stehen auf dem Paulsplatz die Teilnehmer der Anti-Kundgebung mit weiß-blauen Israelfähnchen – unter ihnen auffällig viele junge Frauen -, die wie sie sagen, aus dem ganzen Bundesgebiet nach Frankfurt gekommen sind, um ihren Protest gegen die ‚israelfeindliche’ amerikanische Philosophin lautstark zu formulieren. Das berührt einen schon, weshalb man zu diskutieren anfängt.
Im Gespräch bewerten Teilnehmerinnen dann Judith Butler als ‚geisteskrank’, ‚unsolidarisch’, ‚Judenhasserin’ und ihren Einsatz für die Palästinenser als ‚nazihaft, denn die Hamas seien Nazis. Das ist, wenn man die Philosophin gelesen und gehört hat, so schräg und verleumderisch, daß einem die Hetze, die hier organisiert worden ist, erst recht weh tut. Denn die Protestler fühlen sich im Recht, sind von weither gekommen und es ist einigermaßen tragisch, an wem sich das Ganze entzündet und auslässt, wo es so viele gute und richtige Gelegenheiten gäbe, jüdischen Einfluß in der Bundesrepublik auszuüben. Das müssen sich die sagen lassen, die von oben her Volkes Stimme hier tönen lassen.
Es gibt aber auf dem Paulsplatz auch eine kleinere Gruppe mit Transparenten „Thank you Judith!“, denn es ist ja eine Mär, daß nicht innerhalb von Juden, auch innerhalb von Israelis gestritten würde, über die richtige Politik in schwierigen Zeiten. Es ist nur denen, die heute das Sagen haben, gelungen, alle politischen Proteste gegen die israelische Politik mit dem Totschlagargument Antisemitismus oder gleich Nazi zu besetzen. Im Gespräch sagen diese Juden dann, wie sehr es ihnen wohltut, daß endlich einmal ein Prominenter ihre Minderheitenposition öffentlich vertritt. Denn auch sie wollen den israelischen Staat, allerdings im friedlichen Zusammenleben mit den Palästinensern und den arabischen Nachbarn.
Daß es nicht mehr reicht, Antisemitismus als Totschlagargument benutzen zu können, ist eine gute Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Daß der Protest gegen aktuelle antisemitische Tendenzen in der Bundesrepublik nicht stärker von der gesamten Gesellschaft geübt wird, eine schlechte. Dies alles spielte bei der Preisverleihung selber keine Rolle, die nur von einer einzigen Stimme, die aufkreischte, gestört wurde, was auch wieder seltsam ist. Die Gegner waren also zu Hause geblieben. Leider auch Salomon Korn, ein wichtiger und kluger Kopf der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt und leider hatte auch der ehemalige Kulturdezernent Hilmar Hoffmann abgesagt, der eine Professur in Tel Aviv innehat.
Der gegenwärtige Kulturdezernent Felix Semmelroth, begrüßte die verehrte Preisträgerin dafür „sehr herzlich“ und als „maßgebliche Denkerin der Zeit“. Seinen Hinweis auf die Gewaltlosigkeit, der Butlers Aussagen zu israelischer Politik folgen, hätte er sich sparen können. Die Preisrede der ab jetzt in Frankfurt lehrenden Literaturwissenschaftlerin Eva Geulen hob vor allem den politischen Charakter der wissenschaftlichen Arbeiten Butlers hervor. An erster Stelle aber steht, daß mit ihr das erste Mal eine Frau den Theodor-W.- Adorno-Preis erhält. Das mochten auch wir eigentlich nicht glauben. Ist aber so. Der am 11. September 1903 in Frankfurt am Main geborene Adorno mußte unter den Nazis seine Hochschultätigkeit in Frankfurt beenden, konnte in die USA fliehen und baute zusammen mit Horkheimer das Frankfurter Institut für Sozialforschung wieder auf, das wissenschaftlich für ‚Kritische Theorie’ steht und weithin als Frankfurter Schule reüssiert.
Der Preis wird seit 1977 alle drei Jahre von der Stadt Frankfurt verliehen und zeichnet hervorragende Leistungen in den Bereichen Philosophie, Musik, Theater und Film aus, die in der Tradition Adornos stehen. Der Adornoschüler Jürgen Habermas war einer der Preisträger, Jacques Derrida ein anderer. Die Laudatio ging vor allem auf die Gender-Thesen und ihre politischen Auswirkungen der Preisträgerin ein. Nach der Preisübergabe bedankte sich Frau Butler auf Englisch und hielt dann ihre Dankesrede auf Deutsch. Eine wunderbare Rede, die erst recht deutlich machte, welche Geisteskraft hier ausgezeichnet wird.
Sie knüpft an Adornos Fragestellung, ob es ein richtiges Leben im falschen geben könne, an. Sie geht auf die Probleme ein, daß auch der selbstbestimmte Mensch an die Grenzen gelange, die ihm von außen und aufgrund der ökonomischen Situation eben Selbstbestimmung unmöglich mache. In Zeiten des Neoliberalismus, wie gegenwärtig, verschärfe sich das Problem für die Menschen, die die Leidtragenden aus Kriegs- oder Krisengebieten seien. Wenn man nichts mehr zu essen habe und keine Zukunft für sich und seine Kinder sehe, wo nackte Not und Unterdrückung herrsche, werden Fragen des moralischen Handelns irrelevant. Ganz einfach, weil man sie nicht leben kann.
Wir dachten bei uns mindestens zweierlei: Schade, daß unser neuer Bundespräsident, der den hehren Begriff der Freiheit so gerne und oft im Munde führt, diese Rede nicht gehört hat. Sie gehört zu seinen, ja doch eigentlich wahren Worten einfach dazu, damit der Begriff der Freiheit auch gelebt werden kann. Nicht nur in Deutschland. Sondern in der Welt. Schade auch, daß es Deutschland durch die unsäglichen Taten der Nationalsozialisten gelungen ist, einen reich blühenden Baum, ja einen ganzen Wald voll jüdischen Geistes in Deutschland abzuholzen, der für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft so wichtig gewesen wäre. Wie schön, daß wenigstens Judith Butler in Deutschland studiert hat, an hiesigen Denktraditionen anknüpft und die Dankesrede auf Deutsch halten konnte.