Serie: Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises an die Philosophin Judith Butler, Teil 1
Claudia Schulmerich und Klaus Hagert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Da sind wir uns ziemlich sicher, daß unser Frankfurter Adorno sich gewundert hätte, wer da auf einmal in seinem Namen auf die diesjährige Preisträgerin Judith Butler Schmäh und Verteufelung losließ. Aus der ganzen Bundesrepublik waren die Protestler aus jüdischen Gemeinden gekommen, um die Ausgezeichnete als Antisemitin zu verunglimpfen. Welch Irrtum!
Wer in der gut gefüllten Paulskirche saß, war also entweder mit der Entscheidung der Jury für die amerikanische Philosophin und Literaturwissenschaftlerin einverstanden – daß sie übrigens der Nationalität nach keine deutsche ist, ist eben Werk der echten Antisemiten, der Nazis, deren Massenmord ihre Familie ins US-Exil entkommen konnte – oder er kann damit leben, daß es nicht nur nach seinem Kopf geht. Auf jeden Fall hätten wir uns vom Kuratorium nach seiner Entscheidung durchaus deutlichere Worte als Pro gewünscht, was Schriftkünstlerin Marlene Streeruwitz von sich aus tat und auch Rainer Forst, Philosophieprofessor und beide im Kuratorium der Adorno-Stiftung.
Warum war es in einer doch so abgehobenen Sache wie der Auslobung des Adorno-Preises – nicht mißverstehen: für uns und in der intellektuellen Welt sehr hochrangig, aber in der allgemeinen Wahrnehmung sonst eher unerheblich – zu öffentlichen Protesten, der Forderung nach Aberkennung des Preises, zumindest keiner feierlichen Verleihung überhaupt gekommen, zu der die Stadt Frankfurt aufgefordert wurde, dieser Forderung aber widerstand und in Person des Kulturdezernenten Felix Semmelroth die Preisverleihung in der ehrwürdigen Paulskirche am inzwischen berühmt gewordenen 11. September vornahm, an dem im Jahr 1903 Adorno in Frankfurt geboren wurde. Gleichzeitig sein 109. Geburtstag.
Zur Gesamtgeschichte muß man erst einmal die Gründe für die Auswahl kennen. Denn mit dem Namen Judith Butler verbindet sich das Thema, ob man zur Frau geboren wird oder zu ihr gemacht wird. Eindeutig und scharf wie niemand sonst – diese Diskussion war durch die Französin Simone Beauvoir längst angestoßen – hat die 1956 geborene Butler, die sich ansonsten oft auf Hannah Arendt beruft - die These vom sozial konstruierten Charakters des Geschlechts wissenschaftliche begründet und damit politisch in den Raum gestellt, was nicht mehr wegzudenken ist. Allein diese Überlegung zeigt, wie der Zahn der Zeit am Bewußtsein nagt. Was hätte noch vor 50 Jahren eine Preisverleihung für solche Thesen an öffentlichen Protesten bedeutet.
Der Protest kommt auch aus einer anderen Richtung. Und er kommt von offizieller Seite. In harschen und persönlich herabwürdigenden Worten hat der Zentralrat der Juden die Preisträgerin eindeutig diffamiert – in Person dessen Generalsekretärs Stephan J. Kramer dann sehr unflätig - und an das Kuratorium und die Stadt Frankfurt appelliert, den Preis umgehend zu annullieren. Weshalb? Weil Judith Butler den Umgang Israels mit den Palästinensern, zumal in der Siedlungspolitik nicht nur scharf kritisiert hat, sondern weil sie aus dem Denken über etwas hinausgeht und zum Handeln aufgefordert hat, nämlich zu einem Boykott israelischer Einrichtungen auf wissenschaftlicher Ebene. Deren Personal fordert sie konkret zum Widerstand gegen die derzeitige israelische Politik auf. Und sie sieht in Hisbollah und Hamas die politischen Ansprechpartner für Israel, mit denen endlich über Friedensmöglichkeiten und Landnahme für Palästinenser zu verhandeln sei. Das war dann der Moment, wo Butler zum allgemeinen Boykott Israels aufruf, dessen Existenzberechtigung sie niemals in Frage stellte, Israel nur die Palästinenser als Bruderstaat anheimstellte.
Stimmt. Es geschieht sehr selten, daß ein Philosoph aus seinem Denken und seinen Anschauungen heraus auch politische Konsequenzen fordert, noch seltener, daß er diese selbst einhält. Was in unseren Augen eher eine Befürwortung der Preiswürdigkeit für einen Adorno-preis wäre, ist aber für die Protestler genau das Gegenteil. Ihr, einer geborenen Jüdin, wird als schärfste Keule Antisemitismus vorgeworfen und jüdischer Selbsthaß unterstellt. Das kennen wir aus Diskussionen in Israel selbst oder auch hier genauso: auf politische Kritik an der seit langem geübten Politik Israels, durch die Siedlungspolitik – Israels erhalten als Wohn- und Arbeitsgebiete Land, auf dem Palästinenser zu Hause sind, die vertrieben werden – wird nicht politisch geantwortet, sondern die Diskussion mit dem Hinweis auf Antisemitismus abgebrochen. Fortsetzung folgt.