Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Juni 2017, Teil 3

Filmheft

Paris (Weltexpresso) - Sie nutzen Jeanne und ihre Metamorphose, um die Grenzen zwischen Maskulin und Feminin auszuloten.

Mit dieser Fabel wollte ich ein paar Geschlechterfragen stellen. Es ging mir nicht darum, männlich und weiblich, Frauen und Männer gegeneinander auszuspielen. Vielmehr wollte ich – unter witzigen Vorzeichen, schließlich haben wir eine Komödie gedreht – Klischees entlarven und für einen Waffenstillstand, eine Versöhnung zwischen den Geschlechtern werben. Der Film lädt dazu ein, die Balance zu wahren und unsere Unterschiede zu akzeptieren. Unterschwellig geht es auch darum (und dieser Gedanke ist mir sehr wichtig), dass es vermutlich harmonischer auf der Welt zugehen würde, wenn mehr Frauen an der Macht wären.

Die Menschheit leidet darunter, dass sie mehrheitlich von Männern geführt wird. Wenn die Macht gerechter zwischen den Geschlechtern aufgeteilt wäre, hätte das Patriarchat jedoch keine Chance mehr, denn es basiert ja nun wirklich darauf, dass es zwischen Männern und Frauen angeblich diese gewaltige Kluft gibt. Die Ablehnung von Transgender-Menschen hängt für mich unmittelbar damit zusammen, denn sie rütteln natürlich an diesen Fundamenten. In meinem Film geht es darum, dass die Distanz zwischen weiblich und männlich in Wahrheit sehr klein ist.


Ihr Film behandelt aber auch das Thema Selbstbewusstsein und wie wichtig es ist, selbst zu erkennen, wer man eigentlich ist...

Etwas Wichtigeres gibt es doch gar nicht! Kinder wachsen heutzutage in einer Welt voller Vorurteile auf. Klar, es hat sich etwas bewegt, doch die Kluft zwischen Jungen und Mädchen existiert immer noch und überall auf der Welt werden weiterhin unzählige Mädchen in der Überzeugung erzogen, dass sich nur Männer frei entfalten dürfen, was für ihr Selbstbewusstsein natürlich nicht gerade förderlich ist. Es gibt viele gute Gründe, weshalb Frauen sich wünschen könnten, ein Mann zu sein: weniger Angst (man muss sich mal vorstellen, dass alle sieben Minuten irgendwo auf der Erde eine Frau vergewaltigt wird!), gleiche Bezahlung, gleiche Berufschancen (nur drei Prozent aller Regisseure sind Frauen!). Wenn das allein schon gegeben wäre, könnten Frauen endlich ihr ganzes Potential entfalten.

In unserem Film wagt es die Heldin, die Macht an sich zu reißen, wenn auch unbewusst. Um diese Idee auf die Spitze zu treiben, verpasse ich ihr einen Penis. Wie wird sie sich entwickeln, nachdem sie solchermaßen ausgestattet ist? Ist sie überhaupt auf dieses Anhängsel angewiesen? Wirkt es sich nicht eher störend aus, oder ist es tatsächlich von Nutzen?


Unterschwellig geht es in Ihrem Film auch um eine ökologische Vision, die durchaus Ihren eigenen Überzeugungen entspricht, oder?

Ja, Jeanne ist jemand mit einer Zukunftsvision: Sie hat sich die Schule ihrer Träume ausgemalt, eine „grüne“ Schule mit einem Komposthaufen und einem Gemüsegarten, in dem die Kinder das anpflanzen, was sie später essen, eine Schule, die sie für die Natur und die Ökologie sensibilisiert und alles, was mit Nachhaltigkeit zusammenhängt. Aber Jeanne ist anfangs auch jemand, der sich nichts traut. Als sie schließlich ihren Mann steht, ist dem, was sie alles bewirken könnte, keine Grenze mehr gesetzt: warum nur eine Schule, warum nicht beispielsweise viele Schulen in ganz Frankreich?!


In der Rolle der Jeanne verlangen Sie sich selbst eine Menge ab: Sie verkleiden sich, ändern Ihre Stimme, sind ständig in Bewegung – es handelt sich um eine sehr physische Rolle.

Im Grunde bin ich ja auch eine sehr „physische“ Schauspielerin. Ich habe lange Theater gespielt. In „Ring“, dem letzten Stück, in dem ich zusammen mit Sami Bouajila aufgetreten bin, verkörperten wir 18 Paare. Ich spielte also 18 unterschiedliche Frauen, hüpfte, tanzte, rannte über die Bühne. Im richtigen Leben bin ich letztlich genauso: ich gehe, renne, tanze, mache Kopfstand. Ich war halt schon immer ein eher sportlicher Typ. Deshalb kommt mir diese Rolle auch nicht besonders sportlich vor. Als Regisseurin mein Filmset im Griff zu halten, war letztlich genauso sportlich wie das Spielen der Rolle. Denn es stimmt schon, dass man als Frau in der Regel doppelt so viel leisten muss, und ja, das geht auch mal an die Substanz.


Dass Sie die Rolle des Merlin mit Éric Elmosnino besetzten, kann kein Zufall sein: Er spielt mit einer großen Sanftmut...

Diese Figur wird im Film ganz allmählich dekonstruiert. Denn das Bild, das sich Jeanne von Merlin macht – das eines Macho-Verführers – ist ganz falsch. Merlin ist in Wahrheit ein moderner Vater jenseits aller Klischees. Er wird ja von seiner Frau verlassen und muss sich anschließend allein um seine vier Kinder kümmern. Was Jeanne freilich macht, ist, ihr Männerbild auf ihn zu projizieren. Auf der anderen Seite gibt er natürlich auch nur das preis, was er von sich zeigen möchte.

Aber wie immer sind die Dinge natürlich viel komplizierter, als sie auf Anhieb erscheinen und unsere Geschichte wird Jeanne dabei helfen, sich aus ihrer Isolation zu befreien und ihre Vorurteile abzulegen. Éric Elmosnino ist ein Darsteller, der wirklich alles spielen kann. Er ist unglaublich feinfühlig und spielt immer genau auf den Punkt. Er gibt sich so, wie er ist. Er schummelt nicht, sondern bleibt stets er selbst, sanft, ausgeglichen. Einer wie Éric führt sämtliche Klischees über das, was angeblich männlich ist, ad absurdum.


Alice Belaïdi wirkt in ihrer Art zu spielen feminin und maskulin zugleich. Und ihr Timing ist einzigartig.

Ich finde, dass sie eine wahnsinnig authentische Schauspielerin ist, sehr großzügig, mutig. Und sie vertraute mir voll und ganz, weil dies unser zweiter gemeinsamer Film ist. Es stimmt schon, dass bei ihr die weiblichen und männlichen Anteile sehr ausgewogen sind, selbst in körperlicher Hinsicht. Die Rolle habe ich ihr jedenfalls auf den Leib geschrieben. Anschließend habe ich zwar tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, eine andere Schauspielerin zu engagieren, bin aber wieder zu ihr zurückgekehrt. Immerhin hatte ich beim Schreiben ständig ihre Stimme im Kopf. Alice gehört einfach zur Familie!


Christian Clavier ist eine Ikone der Filmkomödie, steht für eine ganz bestimmte Art der Komik und des Timings. Wussten Sie von vornherein, dass Sie die Rolle des Gynäkologen mit ihm besetzen würden?

Ich wollte unbedingt einen Schauspieler engagieren, der aufgrund seines Alters und seiner Erfahrungen vertrauenserweckend wirkt – wie eine väterliche Instanz, die unsere verrückte Geschichte in der Realität verankert. Wenn Christian in einem Film über ein so heikles Thema mitwirkt, kann man davon ausgehen, dass es viel zu lachen gibt und sich keiner allzu ernst nimmt, was eh so gut wie unmöglich ist, wenn man mit ihm vor der Kamera steht. Christian fällt sekündlich irgendein Unsinn ein! Im Ernst, Christian ist jemand, der nie aufhört zu spielen, der Sachen erfindet, improvisiert.

Ich finde es toll, welche Freiheiten er dabei entwickelt. Man weiß ja nie, was von ihm als nächstes kommt. Aber genau so sollte Kino doch sein, oder? Jedenfalls bin ich unendlich dankbar, dass er mir vertraut hat. Mit Christian Clavier zu arbeiten, war schon sehr beeindruckend.


Woher kommt Ihre Vorliebe für Komödien?

Als ich am Theater anfing, war mein erstes Engagement in einem Boulevardstück. Damals hielt ich mich für eine ausgesprochen „seriöse“ Schauspielerin, privat ging ich nur ins Stadttheater, schließlich hatte ich am Konservatorium in Orléans studiert und sogar die Aufnahmeprüfung an der Ècole Supérieure d'Art Dramatique in Paris bestanden. Als ich das Stück las, erschloss sich mir der Sinn des Ganzen nicht wirklich. Aber ich hatte ein Kind zu versorgen und der Job wurde ja nicht nur bezahlt, man hatte mich sogar dafür engagiert! Das Stück hieß „Le Carton“, und seine Komik funktionierte so perfekt wie ein Uhrwerk.

Am Premierenabend blieb die Zeit für mich stehen, denn die Zuschauer lachten. Und so nahm mein Leben eine unerwartete Wendung, weil mir plötzlich klar wurde, warum ich diesen Beruf ausüben wollte: Weil es mir Freude macht, Menschen zum Lachen zu bringen. Lachen wirkt sich erwiesenermaßen sehr, sehr positiv auf die Gesundheit aus und ich finde, momentan können wir gar nicht genug lachen.


Verraten Sie uns Ihre Lieblingskomödien?

„Der Partyschreck“ mit Peter Sellers. Die Filme von Judd Apatow und den Farrelly-Brüdern. Und ich liebe Ben Stiller! Was mir besonders imponiert, ist, wie mutig viele US-Komödien sind.


Der von Christian Clavier gespielte Gynäkologe spricht mehrfach das Thema Vulgarität an. War das für Sie die Gelegenheit, eben jene Klippe zu umschiffen?

Ja, schließlich ist es immer noch verpönt, „Schwanz“ zu sagen! Sexualität und Geschlechterfragen sind nach wie vor mit vielen Tabus behaftet. Aber ich bin überzeugt, dass man Filme wie diesen drehen kann, ohne dass es automatisch vulgär werden muss. Jedenfalls lag beim Schreiben die Herausforderung genau darin, und ich hoffe, dass meine Co-Autorinnen und ich es geschafft haben, diese Hürde zu überwinden.

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