Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Juni 2017, Teil 2

Filmheft

Paris (Weltexpresso) - Liegt Ihrem Film Wunschdenken zugrunde?

Ach nein, das würde ich nicht sagen – auch wenn ich mich, wie vermutlich die meisten Frauen, schon öfter gefragt habe, wie es ist, als Mann durchs Leben zu gehen. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch Merkmale des anderen Geschlechts in sich trägt, und dass es die starren gesellschaftlichen Regeln sind, die uns aufs reine Frau- oder Mannsein reduzieren.

Es gibt Männer, die viel weiblicher sind als ich, und Frauen, die deutlich maskuliner sind als manche Kerle. Wenn ich ehrlich bin, hab ich manchmal den Eindruck ein Mann zu sein, der den verrücktesten Traum überhaupt träumt: nämlich den, eine Frau zu sein. Das liegt vermutlich an meiner Erziehung: Ich durfte immer diejenige sein, die ich wirklich bin. Andererseits leben wir immer noch in einer ziemlich chauvinistischen Gesellschaft, die darauf gründet, dass man einfach mehr Rechte hat, wenn man ein Mann ist. Von daher finde ich die Frage, was passiert, wenn eine Frau plötzlich über jenes männliche Attribut verfügt, das vermeintlich Machtfülle verleiht, ganz spannend.


Hatten Sie das Drehbuch schon lange im Kopf?

Die Grundidee schleppe ich seit rund 20 Jahren mit mir herum. Damals lebte ich in New York und träumte eines Nachts, dass ich mit einem Anhängsel aufwache... Im Traum ziehe ich mich an und gehe zum Arzt, weil ich erklärt bekommen möchte, was da gerade passiert ist. Der Traum war so realistisch und verstörend, dass er mich noch tagelang beschäftigte, auch physisch – es war als hätte ich vergessen, wie es sich anfühlt, eine Frau zu sein. Nach ein paar Tagen verflog dieses ungute Gefühl zwar und ich fühlte mich wieder ganz wie eine Frau, doch der Traum blieb irgendwie hängen.

Ich ahnte, dass er irgendetwas bedeutete, aber was genau, wusste ich nicht. Vor etwa drei Jahren war ich mit der Postproduktion von „French Women – Was Frauen wirklich wollen“ beschäftigt und gerade dabei, eine Szene mit Marina Hands zu schneiden, die im Film eine naive, selbstlose Mutter spielt, als mir der Gedanke kam, dass es bestimmt ein hübscher Komödienstoff wäre, wenn so eine Figur eines Tages mit einem Anhängsel aufwacht. Das war die Geburtsstunde dieses Films. Als „French Women – Was Frauen wirklich wollen“ anlief, waren die Kritiken zwar sehr geteilt, aber der Film lockte 1,5 Millionen Zuschauer an – das gab mir die Freiheit, ein so heikles Thema in Angriff zu nehmen.


Legten Sie sich beim Drehbuchschreiben irgendwelche Grenzen auf?

Nein, aber dafür bin ich manchmal zu weit gegangen. Es hat mich zwar niemand zensiert, aber man könnte sagen, dass man mich zwei, drei Mal in meine Schranken gewiesen hat. Klar, ich will mit dem Thema ein bisschen aufrütteln und vielleicht auch etwas bewegen, aber schockieren um jeden Preis war nicht meine Absicht.

Was mir geholfen hat, war die Unterstützung meiner beiden Co-Autorinnen. Die Begegnung mit einer Autorin namens Maud Ameline, einer ausgesprochen sanften Frau, war ausschlaggebend. Denn ich sagte mir: Wenn sie lacht, muss es sich um einen sehr feinen Humor handeln. Ihr strukturelles Denken hat mich sehr beeindruckt und den Film vorangebracht. Wir sind so unterschiedlich, dass wir uns auf unglaubliche Weise ergänzt haben. Ich würde sagen, dass Jeanne eine schöne Mischung aus uns beiden ist. Murielle Magellan, die Schriftstellerin und Drehbuchautorin ist und mit mir schon an „French Women – Was Frauen wirklich wollen“ gearbeitet hatte, stieß dann zu uns, um dem Drehbuch und den Dialogen den Feinschliff zu verpassen. Ich empfand es als wahren Luxus, mit welcher Unvoreingenommenheit sie an das Buch heranging, um es zu schärfen. Wir kennen uns sehr gut, und ich bewundere sie ungemein. Sie war maßgeblich daran beteiligt, dass die ganze Sache rund wurde und viele Ideen stärker herausgearbeitet wurden.

Es war nicht leicht, dieses Drehbuch zu schreiben. Wenn man ein solches Thema behandelt, bewegt man sich auf Messers Schneide, aber Maud und Murielle hielten mir die Hand, damit ich nicht runterfalle.


Das Drehbuch, in dem es viel um das Männliche geht, schrieben Sie gemeinsam mit zwei Frauen. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Im Vorfeld habe ich viele Männer interviewt. Die mussten einen Fragebogen ausfüllen, was mir dabei half, eine Auswahl von rund 100 sehr unterschiedlichen Männern zu treffen, denen ich anschließend Fragen über ihr Verhältnis zum Sex gestellt habe. Ich hatte Angst, dass sie während dieser Interviews nicht ganz offen reden würden.

Deshalb habe ich ihnen, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, verraten, worum es in meinem Film geht, aber dafür mussten sie mir dann alles erzählen. Und tatsächlich haben sich diese Kerle über ihr ganzes Leben ausgelassen, mitunter stundenlang, von der Kindheit bis heute. Sie sprachen über ihr Geschlecht und ihre Sexualität, ganz ohne Scham, ohne Angst, ohne Zurückhaltung.

Was mich förmlich erschüttert hat, war, dass mir nahezu alle erzählten, dass sie so etwas wie ein Gefühl der Befreiung empfanden, als unser Gespräch zu Ende war. Es für sie das erste Mal war, dass sie so offen über das Thema sprechen konnten. 100 Männer – okay, ich gebe zu, dass ihre Aussagen möglicherweise nicht repräsentativ sind. Aber mir haben sie beim Drehbuchschreiben sehr geholfen.


Die Handlung erinnert an eine Fabel, die von einem fantastischen Ereignis in Gang gesetzt wird.

Ja, es geht los wie im Märchen – auch wenn das Märchen am Ende des Prologs ein brutales Ende nimmt. Dafür beginnt jedoch ein anderes Märchen, eins, das nicht ganz so kitschig ist. Ich stehe zu den fabel-haften Aspekten und zum Humor der Geschichte. Ich will die Zuschauer ja in erster Linie zum Lachen bringen und sie unterhalten, was bei einem Thema wie diesem unerlässlich ist.


Haben Sie sich von Filmen wie „Big“, „Freaky Friday – Ein voll verrückter Freitag“ oder „Was Frauen wollen“ zu der Idee inspirieren lassen, dass ein Gewitter Jeannes Metamorphose auslöst?

Da unsere Geschichte wie eine Fabel angelegt ist, brauchte ich einen Auslöser, der Jeannes Verwandlung erklärt. So kam ich auf die Idee mit dem Gewitter, vor dem Jeanne ja panische Angst hat. Gewitter spielen im Märchen eine eminente Rolle, aber sie stehen auch für Elektrizität, Wasser, Feuer, die Erde. Auf diese Weise konnte ich im Film zeigen, dass die Natur sich quasi aufbäumt und Jeanne in ihren Grundfesten erschüttert, damit sie endlich zur Selbsterkenntnis gelangt und sich auf den Weg macht.


Wie würden Sie Jeanne beschreiben?

Im Selbstverleugnen ist sie ganz groß. Jeanne ist eine introvertierte, unterwürfige Frau, die vermutlich elterliche Rollenmuster nachlebt. Sie opfert sich für ihren Mann und die Kinder auf, arbeitet rund um die Uhr und vergisst dabei völlig, dass sie eine Frau mit großem Potenzial ist – wie jeder Mensch. Als ihr Mann sie überraschend verlässt, wächst Jeannes Wut auf ihn im Besonderen und auf die Männer im Allgemeinen. Als sie schließlich auch das Sorgerecht für ihre Kinder verliert, platzt ihr der Kragen. Wenn sie uns sogar die Kinder wegnehmen, denkt sie, was bleibt uns dann überhaupt noch? Die Tatsache, dass sie plötzlich mit einem Penis ausgestattet ist, löst eine innere Revolution aus, die ihr womöglich dabei helfen wird, sich mit allem, was männliche Vorzeichen trägt, auszusöhnen.


Jeanne durchlebt eine Metamorphose, verwandelt sich aber nicht vollständig in einen Mann...

Stimmt, eines Morgens hat sie zwar einen Penis, doch ein richtiger Mann wird sie nie. Irgendwie kommen bei ihr beide Geschlechter zusammen – ein Sujet übrigens, das vor uns im Kino noch niemand aufgegriffen hat. Sich auf der Leinwand spielerisch mit dem Männlichkeitskodex und der Travestie zu beschäftigen, weckt wunderbare Kino-Erinnerungen. Wir haben doch alle diese großartigen Filme wie „Manche mögen’s heiß“, „Tootsie“, „Victor Victoria“ und „Yentl“ im Kopf – Figuren, die irgendwo zwischen männlich und weiblich changieren sind sehr hilfreich, wenn man hartnäckige Gewissheiten humorvoll und mit Anmut über den Haufen werfen möchte. Und das Ergebnis ist häufig hinreißend und wirkt meist sehr befreiend.

Fortsetzung folgt

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