THE DINNER I

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Juni 2017, Teil 17

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Spannend, wenn man einen Film – hier THE DINNER auf der Berlinale – bei den allgemeinen Pressevorführungen wiedersieht. Spannend, ob sich die Eindrücke und Einschätzungen verändern. Nein, das bleibt ein richtig guter und überraschender Film: https://weltexpresso.de/index.php/kino/9083-the-dinner


Deshalb wäre es sinnvoll, die originale Filmrezension erst zu lesen, denn auf ihr aufbauend, wollen wir jetzt zusammentragen, was besonders im Gedächtnis bleibt. Da ist zum einen der aktuelle Hintergrund, der gegenwärtig in Berlin laufende Prozeß gegen Jugendliche, die eine Obdachlose anzuzünden versuchten. Gerade ist das Urteil gesprochen. Im Film ist es noch schlimmer, da wird die in einer Telefonzelle Schutz suchende Obdachlose nicht nur von den Söhnen der beiden Brüder – er, der charismatische, umtriebige und den Menschen zugewandte Politiker ( Richard Gere), der vor einem Gouverneursposten steht,  und der eifersüchtige Tropf, Historiker, Lehrer und unzufrieden mit sich und seinem Leben und neidisch auf den Bruder dazu (Steve Coogan) – angezündet, sondern sie verbrennt auch, weil diese jugendlichen Verbrecher die Türe verbarrikadieren.

Im Film wird dies in Rückblenden von Regisseur Oren Movermann erst nach und nach erzählt, wie überhaupt das Erstaunlichste an diesem Film die vielen falschen Annahmen sind, die der Zuschauer zwangsläufig, meist aufgrund eigener Vorurteile, erst einmal trifft. Da legt also die Regie Fallstricke aus, auf die man einfach reinfällt. Das erkennt man am stärksten am Bild des Politikers. Wenn wir fast den ganzen Film über den Irrsinn eines amerikanischen Spitzenpolitikers miterleben, der auf der einen Seite seinen Bruder nebst Frau in ein – ebenfalls Spitzen - Restaurant einlädt, dann aber die im Film ausführlich gezeigten lukullische Menüfolgen gar nicht genießen kann, weil sein politisches Geschäft, nämlich bis zum Morgen eine parlamentarische Mehrheit für eine Gesetzesvorlage hinzubekommen, eine Menge von Telefonanrufen nötig macht. Jedesmal wird neu durchgezählt, was die Assistentin macht, die im Nebenraum des Edel-Restaurant ihr Büro aufgeschlagen hat. Sie ist diejenige, mit der Stan eigentlich mehr teilt als mit der eigenen Frau, diejenige, die politisch durchblickt, aber auch die Ehe des Politikers genau einschätzen kann.

Denn Ehefrau Katelyn (Rebecca Hall) straft ihn ab, kanzelt ihn öffentlich ab und man fängt an, den doch eigentlich nervigen Abgeordneten irgendwie zu bedauern. Er kann es keinem recht machen. Am wenigsten seinem Bruder. Der wird anfänglich noch als unsicherer, aber liebeswerter Lebensversager dargestellt, zumal der Film ihn am Anfang und lange noch als Erzähler die Geschichte aus seiner Perspektive darstellen läßt, bis man viel später mitbekommt, daß er ein übler Neurotiker und sozusagen ein‚falscher Möps‘ ist. Das Geschehen wird zusätzlich verrätselt durch die langen Passagen, die fremd zum aktuellen Geschehen im Restaurant zum amerikanischen Bürgerkrieg die Leinwand erobern und die Geschichtsausstellung in Gettysburg zeigen, eine Inkunable für die USA.

Die Schlacht von Gettysburg fand vom 1. bis 3. Juli 1863 während des Sezessionskrieges statt und gilt als Wende im Bruderkrieg. Hier ist es der Historiker Paul, dessen Schlachtfeld die Geschichte ist, der aber am liebsten im privaten Bruderkrieg seinen Bruder schlachten möchte. Man merkt seinen Zorn, seine Wut, seinen Haß erst nach und nach, wie auch aus dem neurotischen Ehemann, den seine Frau Claire (Laura Liney) mit unendlicher Geduld in die richtige Richtung leiten will, zunehmend ein Ekelpaket wird, ein derart gemeiner häßlicher Charakter, ein Rechthaber, ein Halsabschneider – und ein unehrenhafter Kerl.