Deutsche setzen auf engere Zusammenarbeit in der EU / Trauerfeier für Helmut Kohl: Mehrheit findet europäischen Staatsakt angemessen
Gerhard Wiedemann
Bonn (Weltexpresso) - Eine sehr große Mehrheit der Befragten ist für eine intensivere Zusammenarbeit der EU-Staaten. So halten 97 Prozent eine engere Kooperation bei der Terrorbekämpfung für wichtig (nicht wichtig: 2 Prozent), 94 Prozent bei der Flüchtlingspolitik (nicht wichtig: 4 Prozent) und 90 Prozent bei der Außen- und Sicherheitspolitik (nicht wichtig: 9 Prozent; Rest zu 100 Prozent hier und im Folgenden jeweils "weiß nicht").
Von einer veränderten Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik der EU gegenüber Afrika würden sich 71 Prozent der Befragten versprechen, dass weniger Menschen von dort Richtung Europa fliehen, 23 Prozent bezweifeln das. Insgesamt stehen die Vorteile der EU-Mitgliedschaft derzeit für die Deutschen so stark im Vordergrund wie zuletzt vor rund einem Jahr, als direkt nach der Brexit-Abstimmung in Großbritannien der positivste Wert (Juli I 2016: 51 Prozent) im Politbarometer gemessen wurde. Auch jetzt sagen 51 Prozent, dass die EU für die deutsche Bevölkerung vor allem Vorteile bringt, lediglich für 14 Prozent überwiegen die Nachteile, und 33 Prozent meinen, dass sich Vor- und Nachteile ausgleichen.
Brexit-Verhandlungen: Keine großen Zugeständnisse an Großbritannien
Die meisten Deutschen (82 Prozent) sind dagegen, Großbritannien bei den jetzt beginnenden Brexit-Verhandlungen mit der EU stark entgegenzukommen. Nur 14 Prozent sind für größere Zugeständnisse an das Land. Langfristig erwarten zwei Drittel (67 Prozent), dass der Austritt Großbritanniens eher negative Folgen für die EU haben wird, 17 Prozent glauben, dass sich das letztlich eher positiv auswirken wird.
Projektion: Wenig Bewegung
Im Vergleich zum Monatsbeginn gibt es nur wenige Veränderungen in der Politbarometer-Projektion. Wenn am nächsten Sonntag wirklich Bundestagswahl wäre, käme die CDU/CSU erneut auf 39 Prozent, und die SPD könnte unverändert mit 25 Prozent rechnen. Die Linke erhielte weiterhin 9 Prozent, die Grünen könnten sich verbessern auf 8 Prozent (plus 1), und die FDP bliebe bei 8 Prozent. Die AfD würde sich verschlechtern auf 7 Prozent (minus 1), und die anderen Parteien zusammen erzielten 4 Prozent (unverändert). Damit gäbe es neben einer großen Koalition auch eine Mehrheit für eine Regierung aus CDU/CSU, Grüne und FDP – für Rot-Rot-Grün, eine Ampel aus SPD, Grüne und FDP oder Schwarz-Gelb würde es nicht reichen.
Grüne: Öffnung in Richtung Union umstritten
Knapp die Hälfte aller Befragten (49 Prozent) ist nach dem Bundesparteitag der Grünen am letzten Wochenende der Meinung, dass sich die Partei zukünftig stärker für eine Zusammenarbeit mit der CDU/CSU öffnen sollte (dagegen: 41 Prozent). Von den Anhängern der CDU/CSU sehen das 64 Prozent positiv, von den Anhängern der Grünen 71 Prozent. Insgesamt hat damit die Zustimmung für eine schwarz-grüne Option abgenommen: Nach der letzten Bundestagswahl 2013 befürworteten noch 58 Prozent (Okt. 2013) eine Öffnung der Grünen in Richtung Union (dagegen: 33 Prozent). Eine Forderung der Grünen, die so genannte "Ehe für alle", findet parteiübergreifend Unterstützung. Fast drei Viertel (73 Prozent) sind der Meinung, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften sollten der Ehe rechtlich völlig gleichgestellt werden, 23 Prozent lehnen das ab.
K-Frage: Merkel weiter mit großem Vorsprung vor Schulz
Wie zuletzt wünscht sich eine Mehrheit der Befragten (58 Prozent; Juni I: 59 Prozent) nach der Bundestagswahl weiterhin Angela Merkel als Kanzlerin. 31 Prozent (Juni I: 31 Prozent) sprechen sich für Martin Schulz als künftigen Kanzler aus. Dieser Vorsprung liegt nicht zuletzt an der großen Zufriedenheit (78 Prozent) mit der Arbeit Angela Merkels, nur 18 Prozent sind der Meinung, die Kanzlerin mache ihre Sache eher schlecht. Von Martin Schulz als Kanzler erwarten 14 Prozent bessere Leistungen, 33 Prozent glauben, er würde es schlechter machen als Merkel, und für 38 Prozent wäre da kein großer Unterschied.
TOP TEN: Fast alle Politiker mit schlechteren Noten
Die beste Bewertung der nach Meinung der Befragten zehn wichtigsten Politikerinnen und Politiker erhält erneut Angela Merkel mit einer leicht verschlechterten Durchschnittsnote von 2,1 (Juni I: 2,2) auf der Skala von +5 bis -5. Danach folgen Winfried Kretschmann mit 1,8 (Juni I: 1,9) und Wolfgang Schäuble mit 1,7 (Juni I: 1,9). Christian Lindner liegt mit 1,0 (Juni I: 1,1) auf Rang vier, vor Thomas de Maizière, der ebenfalls auf 1,0 (Juni I: 1,1) kommt. Platz sechs belegt Sigmar Gabriel mit 0,9 (Juni I: 1,0), dann Martin Schulz, als einziger ohne Einbußen, mit 0,8 (Juni I: 0,8), Cem Özdemir mit deutlich verschlechterten 0,6 (Juni I: 0,9) sowie Horst Seehofer mit 0,5 (Juni I: 0,6). Am Ende der Liste steht Ursula von der Leyen, die mit 0,2 (Juni I: 0,4) eingestuft wird, ihr bisher schlechtester Wert im Ranking.
Helmut Kohl: Positive Bilanz seiner politischen Leistung
Das politische Wirken und Handeln des vor einer Woche verstorbenen Altbundeskanzlers Helmut Kohl beurteilen 81 Prozent positiv. Nur 11 Prozent sind gegenteiliger Meinung. Eine große Mehrheit (73 Prozent) findet es angemessen, dass Helmut Kohl als erster Politiker von der Europäischen Union mit einem Staatsakt geehrt wird, 22 Prozent sehen das nicht so.
Die Umfrage zum Politbarometer wurde wie immer von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen durchgeführt. Die Interviews wurden in der Zeit vom 20. Juni bis 22. Juni 2017 bei 1261 zufällig ausgewählten Wahlberechtigten telefonisch erhoben. Die Befragung ist repräsentativ für die wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland. Der Fehlerbereich beträgt bei einem Anteilswert von 40 Prozent rund +/- drei Prozentpunkte und bei einem Anteilswert von 10 Prozent rund +/- zwei Prozentpunkte. Daten zur politischen Stimmung: CDU/CSU: 44 Prozent, SPD: 25 Prozent, Linke: 8 Prozent, Grüne: 8 Prozent, FDP: 7 Prozent, AfD: 5 Prozent.
Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel macht ihre Arbeit eher ... © ZDF/Forschungsgruppe Wahlen
Info: Das nächste Politbarometer sendet das ZDF am Freitag, 7. Juli 2017. Weitere Informationen zur Methodik der Umfrage und zu den genauen Frageformulierungen auf www.forschungsgruppe.de.
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