f innenleben0Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. Juni 2017, Teil 5

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Der Originaltitel InSyriated läßt einen schneller ahnen, daß wir im syrischen Bürgerkrieg sind. Aber das, was wir sehen, wenn wir aus dieser Wohnung im zweiten Stock schauen, was die Bewohner unaufhörlich tun, das könnte nicht nur in jeder syrischen Stadt sein, sondern überall, wo Krieg herrscht.

Wir sehen die andere Seite der Medaille. Krieg, das sind sonst Schlachtenbilder, wenn Flieger vom Himmel geholt werden oder Soldaten sich gegenseitig abschlachten – das ja vom Wort Schlacht abgeleitet ist wie unser Schlächter auch. Diese französisch-belgische-libanesische Koproduktion jedoch schildert das Leben der Zurückgebliebenen, der in ihren Wohnungen Gebliebenen, die kaum das Haus verlassen können, denn immer wieder gibt es Heckenschützen.

Den Krieg, den bekommen wir zweifach mit. Zum einen über die Bewohner, deren Grundstock die Familie von Oum Yazan (Hiam Abbass) ist, deren Mann im Krieg ist. Zum anderen – und das ist zunehmend ein unglaublich geschickter Schachzug – bekommen wir den Krieg nur durch die Geräuschkulisse mit, die durchs Fenster in die Wohnfestung dringt. Denn wie eine Festung verbarrikadiert sich Oum mit dreifacher Schließanlage an der Tür. Viel später wissen wir, wie richtig und wichtig das ist. Und daß es nichts hilft.

Aber wir sind ja erst am Anfang, wo wir ein junges Paar dabei beobachten, wie es sich verabredet, mit dem Baby in den Libanon zu fliehen, am Abend, wenn der Ehemann von der Arbeit zurückkommt. Sie bewohnen derzeit ein Zimmer bei Oum, wohnten ursprünglich in der nun zerstörten Nachbarswohnung des Hauses. Während die junge Frau Samir (Moustapha Al Kar)) einzupacken beginnt, wissen wir längst mit den Augen der Hausangestellten Delhani (Juliette Navis), daß Halimas Mann Samir auf dem Weg aus dem Haus zur Straße – eine Art Parkplatz - von einem Heckenschützen erschossen wurde. Man sieht vom Fenster nur noch seine Beine unter Trümmern herausragen.

Immer wieder muß Delhani ans Fenster eilen und schauen, längst bekommt das auch die Hausherrin Oum mit. Aber lieber den Tod des Mannes nicht zur Kenntnis nehmen, als Halima darüber aufklären. Sie verbietet der Magd (hätte man früher gesagt), vom Tod des jungen Ehemanns überhaupt zu sprechen. Daß beide fliehen wollten, weiß sie nicht.

Die wichtigste Figur im Film ist Hausherrin Oum. Mal findet man sie wunderbar, mal kann man nur den Kopf schütteln. Aber, sagt man sich dann, man war noch nie in der Situation, sich im Krieg für das Überleben so vieler Menschen verantwortlich zu fühlen und es auch zu sein: des Schwiegervaters Abou Monzer (Mohsen Abbas), der drei Kinder Yara (Alissar Kaghadou), Aliya (Ninar Halabi) und Yazan (Mohammad Jihad Sleik) sowie deren Freund Karim (Elias Khatter), der gerade zu Besuch weilt, dazu von Halima und ihrem Kind. Mit Oum zusammen neun Personen. Gegen den Schwiegervater gewinnt man eine tiefe Abneigung, weil er sich dauernd von Oum bedienen läßt, Tee hier und Tee dort, und nichts anderes tut, als dauernd zu rauchen und aus dem Fenster zu schauen, wenn er nicht im Sessel sitzt.

Aber, so weiß man und so bestätigt es unser syrischer Praktikant, so feudal und altpatriachalisch verhalten sich nicht nur alte Männer in Syrien. Und so dienstbar sind die Frauen, hier die Haushaltshilfe und die Schwiegertochter, die aber gleichzeitig auch deutlich machen, daß sie arg formal die Pflichten erfüllen. Sehr herzlich ist das Zusammenleben nicht. Die Mutter und Ehefrau ist eher diejenige, die technokratisch alles zusammenhält und mit übergeordnetem Überlebenssinn alles andere Menschliche ausschließt.

Wir wollen die Geschichte gar nicht weitererzählen. In den paar Stunden dieses einen Tages passiert unglaublich viel, einschließlich einer Vergewaltigung durch in die Wohnung eindringende Männer – das Bild der jungen Mutter mit Kind, die sich buchstäblich für die Gruppe opfert, ist ein starkes Stück, weil es, sicherlich ungewollt, an die Pieta der Gottesmutter Maria erinnert – und einschließlich einer Wiederauferstehung. Wie in einem Thriller schauen wir diesen Menschen zu, die eingesperrt und in Sicherheit gleichzeitig den Krieg durch die Fenster und die Geräusche miterleben. Keine Sekunde langweilt man sich, sondern ist fasziniert vom Geschehen und mitbetroffen auch. Das ist einfach ein starker Film, der einen mitnimmt und der mitnimmt.

Dem Film gelingt eine Aussage, ohne dick aufzutragen, ohne Vorwurf, ohne richtig und falsch, einfach dadurch, daß er dieses erbärmliche Leben der Zivilbevölkerung unter den Bedingungen von Krieg darstellt. Dabei halten wir uns bei den besseren Leuten auf. Die Buchregale lassen fast an einen Intellektuellen denken, aber auf jeden Fall oberes Bürgertum, das alles ist so folgerichtig im Skript zusammengestellt und im Spiel deutlich geworden, daß man voller Respekt sagt: ein Film, der mit den Mitteln des Films den Krieg darstellt, wie er für die Bevölkerung wahr ist.

P.S. Interessant, denn unsere Ohren hören das nicht, scheint die Beteiligung des Libanon an der Filmproduktion vor allem die Schauspieler zu betreffen. Die Leute hätten nicht Syrisch gesprochen, sondern Libanesisch, so unser Syrier. Das spezifische Arabisch versteht man natürlich gegenseitig, aber zeigt auch, daß der Film INSYRIATED fürs Ausland gedreht ist. Das ist einsichtig, denn die Bevölkerung von Syrien kennt das alles.

Foto: © Verleih