Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Am Schluß kann man den Filmtitel eigentlich nur noch auf die Zuschauer beziehen, die hingerissen von der Art und Weise der Verfilmung und den traumwandlerischen Schauspielern selbst ein Südstaatendrama in der xten Version noch einmal auf der Leinwand erleben.
Der englische Titel THE BEGUILED drückt dabei klarer aus, daß es um Begehren und um Täuschen geht, eben in der wechselhaften Beziehung von Mann und Frauen, denn es geht um einen Mann und sieben Frauen. Ein verwundeter Soldat (Colin Farrell), ein Nordstaatler dazu, wird von Amy, ein ganz junges Mädchen, fast ein Kind, verletzt im Wald aufgefunden, und ins Heim geleitet, das dieses junge Ding mit vier anderen und der Heimleiterin Martha Farnsworth (Nicole Kidman) sowie ersten Mamsel und Lehrerin Edwina Dabney (Kirsten Dunst) bewohnt. Alle anderen sind schon nach Hause abgereist. Heim soll eine Art Internat im Wald beschreiben, wozu eine herrschaftliche Süd-Staaten-Villa in Virginia umgewidmet ist.
Was tun mit diesem John McBurney? Das muß sich nun die gute Martha ständig fragen. Denn da gibt es die politischen Vorgaben. Der junge hübsche blutende Mann ist der Feind. Aber nicht ihr persönlicher. Sondern ein politischer. Und da gibt es den Anspruch in der Erziehung junger Mädchen, ethisch und moralisch einwandfrei zu handeln, christlich dazu. Und da gibt es den attraktiven Kerl dazu. Solche Fragen schwirren der Zuschauerin im Kopf herum, allerdings nur ihr. Die Sache der Regisseurin Sofia Coppola ist das gar nicht. Wir sehen keinem psychologisierenden Film, sondern einen, der vor Sinnlichkeit fast platzt.
Und das ist überhaupt nicht nur erotisch gemeint, oder anders: hier wird alles erotisch und nicht nur auf das Ziel des Geschlechtsakts bezogen. Sinnlicher kann man die Waschung eines Verwundeten durch eine zarte Frauenhand, hier die der Nicole Kidman, einfach nicht darstellen. Und wahrnehmbarer kann man die knisternde Spannung, die das Auftauchen eines jungen Mannes in einem siebenköpfigen Frauenhaushalt bedeutet, auch nicht darstellen. Dabei ist eben die Kunst der Regisseurin, daß nichts dick aufgetragen wird, sondern wir uns unsere Meinung zu den einzelnen Personen einfach durch deren Handeln auf der Leinwand ständig bilden, neu bilden, umbilden.
Wie oft ich beispielsweise die Heimleiterin immer wieder neu bewertete, einmal als strenge Erzieherin der ihr Anvertrauten, dann als ausgelassene Frau inmitten von weiblichen Wesen, dann als Vorstand des Hauses, die agil reagieren muß, als Militär der Südstaaten vor der Haustür nach einem Verwundeten fragen, dann als Hausherrin, die zum Mahl bittet und – und das nicht am Schluß – auch als weibliches Wesen, das auf diesen Mann reagiert; und er auf sie. Nicole Kidman macht das fabelhaft und dabei fällt einem auf, daß die ganze Frauenschar, in der der Lehrerin Edwina eine besondere Rolle zukommt, so gut als weibliche Wesen ausgesucht sind, so unterschiedlich in Physiognomie und Verhalten und doch gemeinsam im Geschlechterkampf. Der Kampf geht nicht nur um den Mann und mit dem Mann, sondern auch innerhalb der sieben weiblichen Wesen.
Zwar sieht es so aus, als ob die vorlaute und hormonenbesessene Alicia (Elle Fanning) Siegerin würde, aber wie junge Dinger so sind, sie bekommen das Muffensausen, wenn es um ernsthafte Konsequenzen im Liebesspiel geht, das für sie eben mehr Spiel denn Liebe bedeutet. Wunderbar fein ausgewogen ist das alles, wo der Zuschauer dann für das, was er sieht, sich selbst die Erklärungen bietet. Wenn alles vorbei ist, hat man Lust, die erste Verfilmung durch Don Siegel von 1970 BETROGEN anzuschauen, aber wenig Lust die literarische Vorlage, den Roman A Painted Devil
von Thomas P. Cullinan zu lesen. So sehr hat der Film als Medium hier überzeugt. Übrigens hat die Regisseurin Sofia Coppola auch das Drehbuch geschrieben und wurde für ihren Film diesjährig in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichnet.
Foto: © Verleih
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