Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. Juli 2017, Teil 6
Filmheft
Paris (Weltexpresso) – Neben Firmine Richard sind Sie eine der wenigen schwarzen Schauspielerinnen, die nicht aufhören in Frankreich zu arbeiten. Was hat Sie dazu bewogen, das Projekt von Lucien Jean-Baptiste auszuwählen?
Die Überzeugungskraft von Lucien! (Lacht) Wir haben uns beim Dreh eines Fernsehfilms kennengelernt: er spielte einen Dealer und ich eine Prostituierte. Wir waren beide am Anfang unserer Karriere, er war damals nur Schauspieler. Ich habe seinen Werdegang danach aus der Ferne verfolgt, und mir hat TRIFF DIE ELISABETHS! sehr gut gefallen; aber wir hatten seit damals nicht mehr zusammengearbeitet.
Als ich ihn wiedertraf, um über den Film zu sprechen, hat mich seine unglaubliche Energie beeindruckt. Er hat sich zu einem wahren Tornado entwickelt, der mit einer solchen Begeisterung über sein Projekt sprach, die ich selten bei einem Regisseur gesehen habe. Man muss natürlich sagen, dass eine Geschichte über ein schwarzes Paar, das ein weißes Baby adoptiert im Kino noch nie entwickelt wurde, es ist also ein aufregendes Projekt! Ich habe das Drehbuch sehr schnell gelesen und es hat mich begeistert, da es sehr witzig und vor allem voller Feingefühl und Intelligenz jegliche Schwerfälligkeiten und allgemein verbreiteten Klischees über das Aufeinanderprallen der Kulturen vermied.
Die Originalidee kam zwar nicht von Lucien, aber man spürte sofort, dass er sie sich mit seinem ganzen Wesen und Körper zu eigen gemacht hatte. Man spürte, dass er auf alle Figuren, selbst die begriffsstutzigsten, einen sehr nachsichtigen und zärtlichen Blick hatte. Bereits als ich das Drehbuch las, wurde ich zur Zuschauerin des Films. Ich spürte, dass man lachen und weinen würde, wie bei einer Achterbahnfahrt. Eine andere Stärke des Buches ist es, die Folgethemen zur Sprache zu bringen, die mit der Adoption eines Kindes von Eltern einer anderen Hautfarbe verbunden sind.
Welche Themen zum Beispiel?
Vor allem das der Weitergabe von Kultur und Tradition. Das ist ein Thema, das Lucien keine Ruhe lässt. Als er mit seiner weißen in Frankreich geborenen Frau Kinder bekam, hat seine Mutter, die in den 60er Jahren von den Antillen mit ihren sechs Kindern nach Frankreich kam, gewisse Forderungen gestellt. So hat sie zum Beispiel verlangt, dass ihre Enkel wie sie getauft werden. Lucien stand somit zwischen zwei Erziehungsmodellen, dem seiner Frau und dem seiner Mutter. Da er selbst mit diesem Thema konfrontiert wurde, ganz privat, mit diesem Problem des Erbes, war es mehr als legitim, es im Kino zu behandeln.
Für diesen Film hat er es einfach auf meine Figur übertragen, eine junge Frau, Tochter senegalesischer Migranten, die in Frankreich geboren war. Die Eltern, die noch praktizierende Moslems sind, haben natürlich gewisse Erwartungen an ihre Tochter. Vor allem religiöser Natur. Diese Erwartungen werden enttäuscht, denn in dieser Geschichte heiratet die Tochter keinen Senegalesen (sie spricht nicht mal die Sprache), sondern einen Mann von den Antillen, und als Gipfel der Provokation adoptiert sie auch noch ein weißes Baby! Das kommt für die Eltern einem Tsunami gleich. Der Verlust von Wurzeln und Traditionen ist ein weitreichendes Thema und ich weiß, wovon ich spreche, als Tochter von Afrikanern, die schon lange in Frankreich lebt.
Wenn ich manchmal heutzutage meine Kinder anschaue – und das ohne jemals von meiner eigenen Familie den kleinsten Vorwurf oder die geringste Forderung erfahren zu haben – sehe ich, was ich ihnen nicht mitgegeben habe und was bei ihnen auf immer verloren sein wird. Selbst ich habe viel von meiner afrikanischen Herkunft verloren, dadurch, dass ich in Frankreich aufwuchs. Das hat einige derer, die mir nahestehen, bekümmert, darunter meine Großmutter, die mittlerweile nicht mehr lebt. Für sie war es nicht einfach zu sehen, dass ich in einer so anderen Kultur aufwuchs als der ihren. Sie verstehen also, warum mich der Film von Lucien sofort ansprach.
Diese ja schon ernsten Fragen, die für Eltern sehr wichtig sind, beschweren den Film dennoch nicht unnötig.
Die Dialoge sind ausgewogen, sehr fein gestrickt. Es war ein Geschenk, sie zu spielen, denn Lucien, der ja auch Schauspieler ist, spricht die Sprache der Schauspieler. Er kennt alle ihre Ticks. Wenn er spürt, dass es nicht funktioniert, dann nimmt er ihnen die Hemmungen. Wenn ihr Schauspiel Funken sprüht, dann weiß er sie aufzufangen. Und er ist sehr offen und hört zu. Wenn man ihm sinnvolle Vorschläge macht, akzeptiert er sie. In meinem Drehbuch hieß ich zum Beispiel Marianne. Aber sie sollte ja die Tochter senegalesischer Eltern sein. Ich bin selbst Tochter senegalischer und malischer Eltern, so habe ich Lucien gesagt, dass der Vorname etwas zu französisch sei. Ich schlug ihm also vor, die Figur Salimata zu nennen, so wie eine meiner Tanten aus Mali, mit der Abkürzung Sali. Das klingt afrikanischer.
Im Film spielen Sie eine Mutter, die ein Kind adoptiert. Über Ihr Schauspiel hinaus fällt einem auf, dass Sie dieses Baby wirklich ins Herz geschlossen haben.
Ich liebe Babys. Ich habe sie schon geliebt, bevor ich selbst mit 21 Mutter wurde. Als Kind rief man mich, sobald ein Baby in meiner Familie weinte. Es reichte schon, dass ich es in die Arme nahm und es beruhigte sich. Unglaublich aber wahr! Diese Gabe hat in mir einen sehr starken Mutterinstinkt geweckt. Mit Marius war es genauso. Ich muss sagen, er war außergewöhnlich. So als würde er mit seinen vier Monaten alles verstehen, was ihm seine Eltern sagten, selbst Schauspieler, die akzeptiert hatten, dass er in dem Film mitspielt und dass nicht aus EgoGründen, sondern weil das Buch sie berührt hatte.
Marius ist ihr erstes Baby. Sie sprachen sehr viel mit ihm. So war jeder Drehtag ein Wunder. Marius musste für den Film weinen, und er weinte. Wir wollten, dass er lacht, und er lachte. Wir wollten, dass er sich umdreht, und er drehte den Kopf. Unglaublich! Sie verstehen sicher, dass es nicht so schwer war die liebende Mutter für so ein Baby zu spielen. Er hat mich außerdem sehr schnell wiedererkannt, nach nur zwei oder drei Tagen. Danach ließ er mir gegenüber seinem Charme spielen und ich war ihm verfallen.
Wissen Sie, warum Lucien Jean-Baptiste der Ihre Vergangenheit nicht kannte, Sie ausgewählt hat?
Nein, nicht genau. Vielleicht wegen meines Alters. (Lacht) Ich weiß auf jeden Fall sehr genau, warum ich die Rolle akzeptiert habe. Wegen des Themas, wie bereits erklärt. Aber auch wegen der Komplexität der Figur. Sali hat viele Facetten, sie ist eine glückliche Ehefrau, die ihren Mann liebt, aber sie ist auch die Tochter ihrer Eltern. Sie zu spielen war eine tolle innere Reise. Die reinen Komödienszenen wie die Jagd im Krankenhaus haben mir genauso gut gefallen wie die dramatischeren Momente, so zum Beispiel als man ihr das Kind wegnimmt. Für die Schauspielerin, die ich bin, ist es genial, die Möglichkeit zu haben, in einer Szene gleichzeitig die kindlichste Freude und die schmerzhafteste Zerrissenheit ausdrücken zu können.
Wie lief Ihre Zusammenarbeit mit Lucien?
Also wirklich – unglaublich gut. Ein Riesenspaß. Es ist Luciens vierter Spielfilm und er kennt die Klaviatur als Regisseur mittlerweile sehr gut. Er sagt, es sei sehr schwer für ihn gleichzeitig Schauspieler und Regisseur zu sein. Aber er beweist eine so große Situationsintelligenz, setzt eine so unglaubliche Energie ein und legt einen so großen Enthusiasmus an den Tag, das einem das gar nicht auffällt. Er ist immer bereit, mit einem Lächeln auf den Lippen, und hört zu, 24/7. Ich habe selten so eine Einsatzbereitschaft bei einem Regisseur gesehen. Man muss auch sagen, dass er ein tolles technisches Team ausgewählt hat, das ihm sehr gut zur Seite steht.
Kann eine solche Rolle Ihre Karriere beeinflussen?
Man weiß nie, wie ein Film aufgenommen wird oder welche Auswirkungen er auf die Schauspieler hat! Ich mache weiter wie zuvor: ich versuche dem gerecht zu werden, was man von mir erwartet, und den Film danach so zu begleiten, wie es mir möglich ist. Ich hoffe, dass die Figur von Sali auch anderen Regisseuren zeigt, dass sie mir andere Arten von Rollen vorschlagen können als die, die ich bisher hatte. Denn ich liebe es, verschiedene Seiten zeigen zu können.
Ein Wort über Ihre Partner, Zabou Breitman und Vincent Elbaz...
Neben dem Baby, die Minderheit im Film? (Lacht)
Ich habe es geliebt, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Zabou, die auch Regisseurin ist, hat tolle Ideen gehabt, ohne sie uns jedoch jemals aufzuzwingen. Und was für eine Schauspielerin! Erfinderisch, prickelnd, rigoros und außergewöhnlich feinfühlig. Das Gleiche gilt für Vincent, der sich seiner Rolle mit Einfallsreichtum und guter Laune bemächtigt hat. Es war unglaublich, dass alle zusammen da waren für das gleiche Projekt. Auch wenn wir andere Spielweisen hatten, waren wir alle auf dem gleichen Boot und fuhren in die gleiche Richtung.
ZUM VERWECHSELN ÄHNLICH ist eine Komödie, die ohne Zweifel für Vielfalt steht...
Es ist ein positiver Film, der das heutige multiethnische Frankreich widerspiegelt; ein Film,der vom Zusammenleben mit Humor und Gefühl spricht.
Foto: © Verleih