f beuys0Der Film ‚Beuys‘ gereicht der Rezeption des Künstlers zur neuen Aktualität. Ein Abend im Filmmuseum Frankfurt, Teil 2/2

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Beuys war der wirkmächtigste Künstler des neueren europäischen Kulturkreises (und wirkmächtig auch weit darüber hinaus). Nach den Erfahrungen seines Absturzes über Tartarengebiet hatte er ein schlecht versorgtes Leben im Elternhaus der klassisch bürgerlichen Kälte.

Er setzte bald an der grundlegenden Frage an: ‚Welche Richtung nimmt die Demokratie?‘ Seine Antwort lautete: ‚Wir leben nicht in einer Demokratie‘, wir brauchen eine neue Theorie der ‚future society‘. Dazu bedarf es der Sozialen Kunst, eines universalen Verständnisses von Kunst, das nicht auf kleine Räume und Winkel beschränkt ist. Christo war ihm hierin Verbündeter. Von der Pflanzung der 7000 Eichen und der Setzung der begleitenden Basaltstelen ging eine weltweite Wirkung aus. Diese Art Kunst war aufwendig und teuer, ist aber im Gegenwert des Geldes nicht zu messen. Beuys wusste, dass eine einmal gesetzte Eiche nicht mehr verkauft werden kann.


Beuys erkannte die dunkle Seite des Geldes

Diese Aktion wurde verschiedentlich angegriffen, die Steine übergossen, aber diese so sinnfällige wie sinnvolle Kunstaktion setzte sich doch durch und ist heute anerkannt, auch weil die Zeitläufte sie bestätigt haben. Die vor dem Fridericianum in Kassel gelagerten Stelen wurden Anlass zu gelegentlichen Umwidmungen. 1982 erklomm ein evangelikaler Prediger den Resthaufen und hielt eine flammende Rede gegen den Sittenzerfall und die sündige Welt, während sich vor dem Haufen Steine ein paar Punks gelagert hatten und glucksend der Philippika lauschten. Ein Stück weiter liegt Walter De Marias Erdkilometer, der bei der Arbeiterklasse 1977 nicht so gut ankam. Einer wollte daraufhin nicht mehr die SPD wählen.

Beuys machte sich Gedanken um das vorherrschende Beziehungsgeflecht von Ökonomie, Kapital, Geld, Kunst – Kunst aber, die querliegt, zum Stein des Anstoßes wird. Er erkannte schnell: ‚Geld darf keine Ware sein‘, ‚die Macht des Geldes unterläuft den demokratischen Prozess‘. Solche Töne waren den Grünen verdächtig. Daher gingen sie auch mit Rot-Grün später dem von der Leine gelassenen spekulativen Finanzkapitalismus übel auf den Leim.

Dem Sprachgeneigten spricht es aus der Seele, wenn Beuys dozierte: ‚Denken ist Plastik‘, ohne Denken in Plastiken wird kein erheblicher Gedanke, keine zündende Idee transportiert. Die Sprache muss Skulptur werden, dann erst kann sie wieder in Leben zurücküberführt werden. Der erweiterte Kunstbegriff ist ein erweiterter Begriff von Leben und Denken. Die Erweiterung drängt in die Politik, will sie auf eine neue Grundlage stellen. Ab 1982 begab er sich ganz aus den Museen, deren Publikum er so oft seltsam berührt und irritiert hatte.

hz Beuys Andres Veiel opt I 2017.jpgVor Beginn der Vorstellung im Deutschen Filmmuseum gab es im Vorprogramm die Kurzlesung von ‚Deutsche Bank. Sie nennen es Sterbehaus‘, einem Text von Marc Brost und Andres Veiel. Sie handelte von den Abgewickelten der Bank („Breuer – wer soll das nochmal sein?“), die heute kaum mehr jemand kennt, die nach Getanem in einem Eckwinkel des Deutsche Bank-Viertels noch ein kleines Büro mit Schreibtisch und Sekretärin haben und in einer Art Grabkammer, dem sogenannten Elefantenfriedhof, ein spätes Dasein fristen. Weil auch in diesem Zusammenhang juristische Fragen eine enorme Rolle spielten, hat Andres Veiel, um juristischen Nachstellungen vorzubeugen, seine Grabkammer-Recherchen in das Theaterstück ‚Das Himbeerreich‘ eingearbeitet, das im Frankfurter Titania gezeigt wurde. Die Schwierigkeiten beim Veröffentlichen rührten daher, dass eventuelle Äußerungen nicht einer bestimmten Person zuzuordnen sein durften, da sonst Regressforderungen drohen.


Kunst und Politik in eins gedacht

Beuys erkannte, dass Politik und Gesellschaft den Realitäten des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus auf Dauer nicht gewachsen sind. Heute erkennen wir noch klarer, dass die Politik den gesellschaftlichen Verwerfungen und Missständen hinterherläuft und der Forderung nach einer menschlichen Gestaltung der Welt überhaupt nicht mehr nachkommt. Wir leben - nach Max Otte - im Raubtierkapitalismus. Es kam wie Beuys voraussagte.

Nahezu die Hälfte der Wähler ist paralysiert und desillusioniert, glaubt an keine Entwurfskraft und Durchsetzungsfähigkeit der Politik mehr. Eine Klare-Kante-Politik gegen Verhältnisse von Unrecht hat jetzt ausgedient. Gestalten wie Herbert Wehner grimmen im Jenseits. Die Politik hat sich kartellartigen Machtgruppen ausgeliefert, unter anderem der betrügenden Autoindustrie. Die Gesellschaft spaltet sich, die Umwelt geht vor die Hunde, Städte werden unwirtlicher, die Luft zum Atmen weniger, Verkehrsanlagen dominieren - Mieten explodieren.

Es mutet den kritischen Zeitgenossen unfasslich an, wie Politik dauernd an provisorischen Bretterverschlägen (zugigen oder überhitzten Klassenräumen, unfertig sanierten Toiletten) zimmert, statt sich an einen durchdachten Plan für 4.0 - und was noch an wortklingelnden Ausbaustufen folgt – heranzumachen, um endlich die vorzüglichsten Lebensbedingungen auch für die Mühseligen und Beladenen, die Erniedrigten und Beleidigten zu garantieren.

Das politische Personal hat sich lange schon fernab der erniedrigenden Lebensverhältnisse gedemütigter Niedriglohngruppen - auch Prekariat genannt -, sozialisiert. Es verschleppt, ja hintertreibt Gestaltung und Veränderung unter den drohenden Schatten neuaufgestiegener, machtversessener Privatkapitalverwaltungsmonstren a là BlackRock.- ‚Vorsitzender des Aufsichtsrats der im Opernturm in Frankfurt am Main sowie in München ansässigen BlackRock Deutschland ist der frühere Politiker Friedrich Merz‘ (Wikipedia). Derweil verrottet die Infrastruktur, Bildung bleibt unterfinanziert, gut gekleidete Leerflaschensammlerinnen schwirren durch die Stadt. Alles ganz normal! Und täglich fallen bezahlbare Wohnungen aus der Sozialbindung, gesellen sich zu denen, die man preistreibend an Heuschrecken wie Venovia verscherbelte.

Der Skandalkünstler Jonathan Meese äußerte seine Meinung über Sinn und Zweck von Kunsthochschulen: „Als ich mit 23 Jahren an die Kunsthochschule kam, dachte ich, man könnte Kunst lernen“. „Aber das kann man natürlich nicht. Man kann nur lernen, was nicht Kunst ist“. (FR 14.7.2017) Am deprimierenden Zustand der Politik setzte Beuys an. Künstler sind wie Brechtianer, die wissen, wie menschliche Gesellschaft funktioniert. Beuys war unverbogen, hatte Grenzsituationen gesucht, wurde hochgradig sensibel für fundamentale menschliche Lagen. Das Verhältnis von Kunst und Politik hat er in die Zentren der brandaktuellen Auseinandersetzungen verlegt. Ökonomie, Ökologie und Kunst gehören zusammen. Mit der ‚eh-eh-Rede‘ hat er den Etablierten den Spiegel vorgehalten. Sie blieben stumm, keiner lachte. Die Sprache der Politik ist verholzt, erbärmlich geworden, nun tritt noch Gysi ab (den übrigens Jugendliche schätzen), wie lange wird Petra Pau noch bleiben?

Die Ersetzung der Politik durch den erweiterten Kunstimpuls als Praxis der Umgestaltung und Neueinrichtung der Welt steht an. Die Kunst könnte zum Katalysator der Veränderung der Gesellschaft werden. Dazu bedarf es eines anderen Politikverständnisses und vor allem eines nicht profitorientierten Bauens. Beuys' Vision war die Ersetzung der Berufspolitik durch ‚direkte Demokratie‘. Die NGOs, die neuen Gruppen der Zivilgesellschaft - Menschen, die nicht verbogen sind - wären für ihn heute der Nährboden der Transformation.

Im Eingangsbereich des Deutschen Filmmuseums steht eine Beuys-Skulptur. Sie zeigt die zusammengeschweißten Filmkassetten von Ingmar Bergmanns ‘Das Schweigen‘.

Fotos: 
Titel © beuys-der-film.de, Andres Veiel © Heinz Markert

Info:
Was tut sich - im deutschen Film?
Andres Veiel präsentiert BEUYS
BEUYS
Deutschland 2017. R: Andres Veiel Dokumentarfilm. 107 Min. DCP
Vorprogramm "Deutsche Bank. Sie nennen es Sterbehaus" (Kurzlesung)
Mittwoch, 12.07.2017 20:15 Uhr
Deutsches Filminstitut / Deutsches Filmmuseum, Schaumainkai 41, 60596 Frankfurt am Main
Nach dem Film sprach Rudolf Worschech (epd film) mit Andres Veiel.