f finalportraitSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. August 2017, Teil 1

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es gibt für einen, der systematisch und anhaltend Filme betrachtet und diese rezensiert, immer wieder die Situation, daß hochgelobte Filme bei ihm einen gewissen Widerstand hervorrufen.

Genau das ist mir bei diesem, heute anlaufenden Film geschehen, den ich in Berlin bei seiner Aufführung im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale sah und rezensierte. Meist wird beim zweiten Schauen dann noch einmal der Blick leicht verändert, in die eine oder andere Richtung. Aber, wenn der Blick gleich bleibt, dann mag man diesen nicht ein zweites Mal formulieren, wenn man der Meinung ist, daß beim ersten Mal das Wesentliche gesagt war. Darum im Folgenden die Kritik vom Februar:

Wer sich um die in Paris arbeitenden Künstler der Kriegs- und Nachkriegszeit kümmert, kommt an James Lord nicht vorbei. Der gut aussehende US-Amerikaner war der rechte Mann zur rechten Zeit und konnte enge Kontakte zu Picasso und vor allem Giacometti knüpfen, auch deshalb, weil er als Homosexueller in den Paarbeziehungen der Künstler keine Rolle spielte, diese also auf den attraktiven jungen Mann nicht eifersüchtig waren.

Wir sind nun 1964 in Paris. Da ist Alberto (Geoffrey Rush) 63 Jahre, seit Jahrzehnten im gleichen Atelier und rund 20 Jahre mit Annette verheiratet, wobei es ein Aperçu gibt, daß es gefährlich sei, wenn Männer Frauen heiraten, die den gleichen Namen wie ihre Mütter tragen. Diese hieß Annetta. Und was wir auch wissen, das ist, daß sich Giacometti mit Frauen schwer tat, daß seine Beziehungen durchaus langjährig waren, aber er verlassen wurde und es ihm einfacher erschien, mit Prostituierten zu verkehren.

Giacometti will von James Lord (Armie Hammer) ein Porträt machen und dieser möchte das auch. Darüber hat James Lord ein Buch geschrieben: „A Giacometti Portrait“, das die Grundlage des Drehbuchs vom vor allen als Schauspieler bekannten Stanley Tucci ist. Der Film, der alle Künstlerklischees bedient und unterhaltsam angelegt ist, ist auf Englisch gedreht - und das geht überhaupt nicht. Alberto Giacometti auf Englisch, mit seiner Ehefrau Annette auf Englisch, mit seiner Geliebten, der Prostituierten Caroline auf Englisch – nein, das geht überhaupt nicht und zerstört den vom Regisseur sorgsam aufgebauten Rahmen von Atelier und künstlerischem Schaffen.

Gezeigt wird, wie ein Grantler seine öffentliche Bedeutung ausnutzt, um zu Hause und im Atelier Ekel Alfred zu spielen. Das wissen wir auch von anderen Künstlern, daß ihre schöpferischen Kräfte nicht an Bürozeiten gebunden sind. Künstler haben auch offiziell eine gewisse Narrenfreiheit im Verhalten der Mitwelt oder den eigenen Ehefrauen und Ehemännern gegenüber. Sie sind sehr oft Diktatoren und bestimmen den Lebensalltag aller anderen mit. Vor allem, wenn sie so erfolgreich sind, wie es Giacometti war. Er kam aus den Schweizer Bergen im Bergell im Kanton Graubünden mit der Muttersprache Italienisch, blieb auch dort für die Ferien verwurzelt, lebte aber schon früh in Paris, zusammen mit seinem Bruder Diego, den er später wie besessen zeichnete und den wir im Film als guten Geist oder auch Adlatus sehen.

Die eigentliche Aussage im Film ist nun die, daß entweder Giacometti bei seiner Arbeit kein Ende finden konnte – oder dies nicht wollte, in dem er die Arbeiten, die nicht hundertprozentig seine Zustimmung fanden, durch Übermalen auslöschte und auf dieser Basis von vorne anfing. So auf jeden Fall bei dem Porträt des James Lord. Als das Porträt schon gut erkennbar ist und Lord dem Künstler mitteilt, daß er in zwei Tagen nach Hause fliege, winkt der nur ab. In zwei Tagen, da ist er längst fertig, soll das heißen.

Aber dann tritt der oben genannte Prozeß des Zerstörens durch Übermalen mit dem dicken Pinsel in einem dicken Grau ein und der Künstler bittet sein Modell, doch den Flug aufzuschieben, was dieser tut. Davon lebt der Film, denn aus Tagen werden Wochen und als er dann wirklich fliegen will und muß , nimmt er dem Künstler sein Porträt einfach weg, denn er hat genau gesehen, daß dieser zum Malen die feinen Pinsel nimmt, zum Übermalen aber einen dicken. Und kaum hat Giacometti diesen in der Hand, stürzt sich Lord auf die Leinwand und rettet sein Porträt, das direkt in die USA geschickt wird zu einer Ausstellung.

Zwischen den Sitzungen findet viel Leben statt. Lord ist dabei, wenn es zum Mittagstisch geht oder wenn das Eheleben und das mit der Geliebten eine Rolle spielt. Da Giacometti auch deren Zuhälter bezahlen muß, gibt es tiefere Einsichten über das Kaufen und Verkaufen von Frauen. Das ist für ein Publikum gedacht, daß diese Melange aus der Ehrfurcht vor echter Kunst und Künstlern, ihren privaten Marotten, ob echt oder erfunden, in Verbindung mit der jeweiligen Zeit und ihren gesellschaftlichen Belangen lieben. Durchaus spekulativ also und mir zu sehr gewollt.

Foto: © berlinale.de

Info:
Stanley Tucci
Großbritannien / Frankreich 2017
Englisch
90 Min · Farbe

Giacometti – Geoffrey Rush
James Lord – Armie Hammer