Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. August 2017, Teil 7
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Auch für den DER STERN VON INDIEN, der beim Wettbewerb der diesjährigen Berlinale lief und dessen Regie die Britin punjabischer Herkunft, Gurinder Chadha verantwortet, gilt, daß er beim zweiten Sehen – und nun zum 70sten Jahrestag der Unabhängigkeit von Großbritannien - den ersten Eindruck bestätigt:
Etwas zu viel von der indisch-indischen Liebesgeschichte, die die Tragik der der Trennung Pakistans von Indien entspricht, wenn eine Muslima einen Hindu liebt. Andererseits bekommt man im Film sehr gut mit, wie das indische Freiheitsbestreben international, vor allem von Großbritannien, das 100 Jahre lang Indien als Kolonie beherrschte, verschachert wird.
Das alles hatten wir bei der Präsentation des Films zur diesjährigen Berlinale erörtert. Unsere Einschätzung gilt auch heute noch:
Ein Film, der historisch überaus notwendig ist, vor allem, weil im August die 70 Jahre der Unabhängigkeit des alten Indiens von England gefeiert werden. Es sagt alles, daß dies nicht gemeinsam von Indien und Pakistan begangen wird, die unmittelbar nach der Befreiung nach Churchills Plan durch die Teilung Indiens gebildet wurden.
Offiziell gilt bis heute Lord Mountbatten (Hugh Bonneville), Urenkel von Queen Victoria und Enkel eines russischen Zaren, als derjenige, nach dem der Plan der Teilung benannt ist und wenn der Film außer auf die Tränendrüse drückender Liebes- und Todesgeschichte für eines taugt, dann ist es die Information, daß dieser Mountbatten von der englischen Politik benutzt wurde, für etwas zu werben und etwas durchzuziehen, was die britischen Superstrategen des Öls wegen längst in Gang gesetzt hatten. Noch einmal. Die Teilung des ehemaligen Indien war nicht ein heimisches Gewächs, sondern Ausdruck der imperialen englischen Herrschaft. Auf diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum Gandhi, die treibende Kraft des gewaltlosen Widerstandes gegen die englische Krone, den Tag der Unabhängigkeit als Tag der Niederlage empfand, nicht feierte, sondern der Teilung wegen ein Schweigegelübde einhielt.
Der Film fängt so opulent an, wie er sich fortsetzt. Viel Folklore ist also auch dabei und eine blendende Ausstattung sowie eine Kamera, die besonders gerne Kreationen der Küche abbildet. Das soll keine Kritik sein, sondern Ausdruck dessen, daß im Film viel über die Optik vermittelt werden soll, während die politischen Differenzen mit Worten ausgedrückt werden. In dieses Märchenwunderland Indien rückt also der letzte Vizekönig mitsamt seiner sehr verantwortungsvollen Frau (Gillian Anderson) und einer aufgeweckten Tochter ein, der letzte, weil er das indische Volk von den Engländern und sich selbst befreien soll.
Dargestellt wird an den rund 500 Bediensteten, was 'Teile und Herrsche' als politisches Prinzip zuwegegebracht hat. Eine Aufteilung der Bevölkerung nach ihrem Glauben und folgende Auseinandersetzungen zwischen Hindus, Muslimen und Sikhs. Ob dies, was den Palast angeht, wirklich so war, mag man mit Recht bezweifeln. Was historisch gesichert ist, das ist eben, daß diese Bevölkerungsgruppen und Religionsgemeinschaften zuvor jahrhundertelang friedlich miteinander in Indien zusammengelebt hatten.
Treiber der Teilung ist mit längst ausgehandelter britischen Unterstützung der spätere Generalgouverneur Pakistans, der Muslim Ali Jinnah, der alle indischen Muslime aufgefordert hatte, nach Pakistan umzusiedeln. Das ist bis heute nicht geschehen, die Mehrheit der Muslime lebt in Indien, obwohl 1947 rund 14 Millionen Menschen auf der Flucht waren und man von einer Million Opfer auf der Flucht spricht.
Nehru, der politische Führer der Hindus und der Kongreßpartei ist im Film derjenige, der gegenüber Mountbatten den Plan hegt, ausgerechnet seinen Konkurrenten, eben diesen Jinnah zum Führer des unabhängigen Indiens zu machen, einfach, damit diesem seine Separationsgelüste genommen werden. Dies zeigt – und das ist historisch richtig – wie sehr die Engländer auch Gandhi und Nehru benutzten, um ihre eigenen Interessen zu wahren. Der Film spricht die Positionen der politischen Elite, vertreten durch Nehru, Jinnah und Gandhi an. Die Diskussionen fanden alle im Haus des Vizeköngs statt, dem Palast, der dem Film seinen Namen gab.
Nun kann ein Spielfilm Politik nicht ohne Menschen vermitteln, womit aber nicht die Politiker als Drahtzieher der Geschichte gemeint sind, sondern das, was man das Volk nennt. So wird die Teilung Indiens an zwei sich seit langem Liebenden dargestellt, die aber zusammen nicht kommen dürfen, weil das Wasser viel zu tief ist. Der Graben nämlich zwischen der muslimischen Aalia (Huma Qureshi) und dem Hindi Jeet (Manish Dayal), der verstärkt wird dadurch, daß der Vater seine Tochter einem anderen versprochen hatte, obwohl er sein Leben ausgerechnet dem damals als Polizist tätigen Jeet verdankt, der nun im selben Palast des Vizekönigs tätig ist, wie seine geliebte Aalia, die als Übersetzerin und Begleitung für die Tochter des Vizekönigs arbeitet. Deren Geschichte ist der rote Faden, an dem die Dramaturgie hängt und sich durchaus auch aufhängt, wenn zum Schluß dann die eigentlich Getrennten durch einen heroischen Schritt des Verlobten sich doch noch finden dürfen, während ihre Familie mitsamt dem Verlobten auf dem Weg nach Pakistan im Zug ermordet wird. Eines der Massaker, denen andere folgen.
Regisseurin Gurinder Chadha, deren Familie unmittelbar in die tragischen Ereignisse nach dem Ende des British Empire verstrickt war, beleuchtet in ihrem Historienfilm die politischen Hintergründe. Welche Rolle spielten Lord Mountbatten und seine Frau, die in dieser Besprechung viel zu kurz kommt und nicht nur im wirklichen Leben eine patente Frau war, sondern durch Gillian Anderson ausgesprochen integer und voller Empathie dargestellt wird. ?
Übrigens ist dem Film die Aussage vorangestellt, daß die Geschichte von den Siegern geschrieben wird. Das ist ja völlig richtig. Eigentlich. Aber gerade was Indien angeht, muß man nach diesem Film wie auch einem Geschichtsstudium sagen, 1947 gab es bei der Unabhängigkeit Indiens von der britischen Krone überhaupt nur Verlierer.
Aus der Pressekonferenz
Die Regisseurin ist in England, im Schatten der Teilung Indiens aufgewachsen. Die indische Regisseurin hat einen Dokumentarfilm über die Teilung gedreht, aber erst als sie in Pakistan war, fühlte sie sich als Teil Pakistans.
Alle waren Flüchtlinge aus Indien, von einem Tag auf den anderen. Sie wollte etwas über die Teilung und den Einfluß der Politik auf die Entscheidung zur Teilung machen. Wie hätten sich die Dinge entwickelt, wenn Churchill nicht alles vorbereitet hätte. Es geht nicht um die Teilung, sondern, wie die Menschen auf solche Situationen wie Teilungen reagieren.
Die kulturelle Verbindung ist noch stark. Kulturell sind beide Länder stärker verbunden als in allen anderen Belangen. Sehr wichtiger Film zu einer Zeit, wo beide Nationen ihre Unabhängigkeit getrennt von einander gefeiert haben. Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben, Nehru und der Kongreß waren schon weiter. Schweigegelübde von Gandhi, da er nicht einverstanden war. Er hat in Kalkutta geschlafen, es gäbe nichts zu feiern.
Die Mountbattens waren besser als ihr Ruf, aber historisch ist deutlich geworden, daß Mountbatten hereingelegt wurde und er vor allem nichts anderes als eine Marionette war. Ein charmanter Marineoffizier, aber kein Politiker, der noch dazu von der IRA 1979 in die Luft gesprengt wurde. Mountbatten brauchte man damals in Indien auch nicht angesichts dessen, daß die Planung mitsamt der exakten Grenze längst vorgegeben war. Mountbatten sollte diese Pläne des Öls wegen verkaufen. Es waren die geopolitischen Umstände der Zeit, die das Schicksal Indiens besiegelten.
Foto: Das Ehepaar Mountbatten mit dem Filmgandhi © tobis.de
Info:
Gurinder Chadha
Indien / Großbritannien 2016
Englisch
106 Min · Farbe
Mit
Hugh Bonneville (Lord Mountbatten)
Gillian Anderson (Lady Mountbatten)
Manish Dayal (Jeet)
Huma Qureshi (Aalia)
Om Puri (Noor)
Michael Gambon (Ismay)
Simon Callow (Radcliffe)
Lily Travers (Pamela Mountbatten)
Stab
Regie
Gurinder Chadha
Buch
Gurinder Chadha, Paul Mayeda Berges, Moira Buffini
Kamera
Ben Smithard
Schnitt
Victoria Boydell, Valerio Bonelli
Musik
A. R. Rahman
Sound Design
Glenn Freemmantle
Ton
Nakul Kamte
Production Design
Laurence Dorman
Kostüm
Keith Madden
Maske
Jacqueline Fowler
Regieassistenz
Lance Stuart Roehrig
Biografie
Gurinder Chadha
Geboren 1960 in Kenia als Tochter indischer Eltern, aufgewachsen in London, wo sie zunächst als Radioreporterin für die BBC tätig war. Anschließend drehte sie preisgekrönte Dokumentarfilme für das British Film Institute, BBC und Channel Four. Auch ihr Spielfilmdebüt Bhaji on the Beach wurde mehrfach ausgezeichnet. Internationaler Durchbruch mit Bend it like Beckham, der sowohl national als auch im Ausland ein großer kommerzieller Erfolg war. Für ihre Verdienste in der Filmwirtschaft wurde Chadha 2006 zum Officer des Order of the British Empire (OBE) ernannt.