Internationale Stummfilmtage 2017 in Bonn
Claus Wecker
Bonn (Weltexpresso) - Eine junge Frau und zwei Männer, die beide in sie verliebt sind. Der eine, Frankie McPhillip, wird per Steckbrief gesucht, weil er den Polizeichef versehentlich erschossen hat. Es geschah im irischen Bürgerkrieg, kurz nach einem Schusswechsel.
Der andere, Gypo Nolan, glaubt, dass er die Frau, Katie Madden, bereits an den Nebenbuhler verloren hat, und verrät Frankie an die Briten. Er entzieht sich der Verhaftung und kommt ums Leben. Nun wird der Verräter Gypo von der IRA gejagt.
Kennern der irischen Literatur und Verehrern des irischstämmigen amerikanischen Regiemeisters John Ford wird die Geschichte bekannt vorkommen. Mit dem unvergessenen Victor McLaglen in der Titelrolle kam Fords legendärer Film nach dem Roman THE INFORMER von Liam O’Flaherty 1935 in die amerikanischen Kinos, und brachte Ford und McLaglen jeweils einen Oscar ein.
Weniger bekannt ist die erste Verfilmung der Geschichte aus dem Jahr 1929, die jetzt im Bonner Sommerkino zu sehen war. Der in Chicago geborene, aber in Deutschland aufgewachsene Regisseur Arthur Robison hat in diesem Drama die Geschichte völlig von der politischen Bedeutung des irischen Unabhängigkeitskampfes gelöst. Der bildet nur den Hintergrund und dient dazu, die persönlichen Konflikte zu verschärfen. Und die sind jedenfalls spektakulär genug.
Denn es bleibt nicht beim Verrat des Gypo Nolan, der mit Lars Hanson zurückgenommener als später McLaglen bei Ford besetzt ist, auch Katie (Lya de Putti) wird einen Verrat begehen, und sie wird ebenso von Eifersucht zerfressen sein wie Gypo. Der Film, der seinerzeit unter dem Titel DIE NACHT NACH DEM VERRAT in Deutschland herauskam, besticht durch die atmosphärischen Aufnahmen der vom deutschen Stummfilm geprägten Kameramänner Werner Brandes und Theodor Sparkuhl, die ein bedrohliches nächtliches Dublin zeigen. Die britische Produktion hat in den knapp neunzig Jahren ihrer Existenz nichts an ihrer Vitalität eingebüßt, sie ist der Version von John Ford mindestens ebenbürtig.
Auch in einer weiteren Produktion aus dem Jahr 1929, dem deutschen Drama DER ADJUTANT DES ZAREN von Vladimir Strijewskij, geht es ebenfalls um Verrat, diesmal allerdings ohne Eifersucht. Die vermeintliche Italienerin, in die sich der russische Fürst auf der Eisenbahnfahrt nach St. Petersburg verliebt, erweist sich nämlich als russische Revolutionärin, die ein Attentat auf den Zar verüben soll. Wie in dem irischen Drama kommt es auch hier zu überraschenden Wendungen zwischen den Hauptfiguren, die vom damaligen Filmstar Iwan Mosjukin und einer charmanten Carmen Boni eindringlich, aber nicht übertrieben dargestellt sind. Beide Filme zeigen im Übrigen, dass die Cinematographie gegen Ende der Stummfilmzeit eine visuelle Qualität erreicht hatte, an die mit Einführung des Tonfilms nur noch einzelne Werke heranreichen konnten. Zu denen zählt Carl Theodor Dreyers VAMPYR (1932), auf den Jean Epsteins DER UNTERGANG DES HAUSES USHER aus dem Jahr 1929 hinzuweisen scheint. Auch dieser stimmungsvolle Horrorfilm nach zwei Erzählungen (THE OVAL PORTRAIT neben der titelgebenden) von Edgar Allan Poe lief am vergangenen, regnerischen Wochenende im Bonner Sommerkino. Doch die treuen Besucher der Open-Air-Veranstaltung im Innenhof der Universität waren mit Regenschutz gerüstet und keineswegs gewillt, diese einzigartige Möglichkeit, eindrucksvolle Stummfilme auf einer riesigen Leinwand mit vorzüglicher Klavierbegleitung zu erleben, ungenutzt vorüber ziehen zu lassen.
Fotos:
Titel Der Adjutant des Zaren, 2. Foto: The Informer, beide © www.film-ist-kultur.de
Info:
Das 33. Bonner Sommerkino läuft noch bis Sonntag, 20.8.2017. Am Samstag, 19.8., werden drei Kurzfilme von und mit dem genialen Buster Keaton zu sehen sein. Die Internationalen Stummfilmtage werden vom 31.8. bis 6.9. im Filmmuseum München wiederholt. DER UNTERGANG DES HAUSES USHER am 31.8., THE INFORMER am 1.9. und DER ADJUTANT DES ZAREN am 3.9.
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