f rodin5Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 31. August 2017, Teil 8

Filmheft

Paris (Weltexpresso) – Immer wieder finden wir die in den Presseheften abgedruckten Interviews für den Zuschauer dieser Filme - und auch für den, der die Kritiken nur liest - sehr interessant. Und immer dann, wenn sich Erkenntnisgewinn zeigt, veröffentlichen wir diese Interviews, die leider sehr selten den Interviewer angeben, weshalb 'Filmheft' die Verfasserangabe bleiben muß. 

Was hat Sie zu Rodin geführt?

Glück. Nachdem mein letzter Film LIEBESKÄMPFE (OT Mes Séances de lutte) angelaufen war, kontaktierten mich zwei Dokumentarfilmproduzenten und erzählten mir, dass er sie an Rodin erinnert hätte. Als der 100. Todestag des Bildhauers bevorstand, fragten sie mich, ob ich bei einer Dokumentation über ihn Regie führen würde. Ich kannte seine Arbeit, aber das war auch schon alles. Ich war ein paar Mal im Museum gewesen, aber auch nicht viel mehr. Ich habe zuerst zugesagt, aber schon bald entstanden in meinem Kopf fiktionale Szenen, um „dem Biest etwas Leben einzuhauchen“. Während des Schreibprozesses nahmen die fiktiven Elemente immer mehr Raum ein, und mir wurde bewusst, dass ich weder in der Lage noch Willens war, eine Dokumentation zu machen. Ich brauchte Schauspieler. Also sagte ich ab und schrieb weiter. Nachdem ich den ersten Entwurf fertiggestellt hatte, traf ich Vincent Lindon, der von dem Projekt absolut begeistert war. Vincent brachte die Sache ins Rollen, Kristina Larsen war bereit, den Film zu produzieren – et voilà!


Die körperliche und sinnliche Ebene von LIEBESKÄMPFE (OT Mes Séances de lutte) setzt sich in Rodins sehr sinnlichem Schaffen fort...

Im Kino legen wir den Fokus auf Gesichter und Sprache, aber die Körper drücken normalerweise nicht viel aus und wirken auf mich häufig leblos. Ich habe immer gewollt, dass die Körper meiner Filmcharaktere sprechen. Es stimmt, dass Regisseure gern mit Schauspielern arbeiten, deren Bewegungen und Körpersprache sie besonders anspricht. Damit nähern wir uns Rodin: Sein Körper drückt so viel aus, und die Tatsache, dass man mich als Regisseur für einen Film über ihn in Erwägung gezogen hat, erscheint mir deshalb nicht völlig abwegig.


Gleich zu Beginn wird deutlich, dass für Rodin Ton in der Hierarchie der Materialien ganz oben steht. Sagt das nicht auch etwas über sein Verhältnis zum Materiellen und zum Leben generell aus?

Ja, denn Ton ist ein lebendiges Material. Man muss ihn mischen, falten und kneten, um mit ihm arbeiten zu können. Dann kommt der Punkt, an dem der Ton lebendig wird. Diesen Moment muss man ausnutzen um ihm ein Eigenleben zu geben, denn wenig später wird er müde, faul und nutzlos. Es ist sehr spannend, mit einem Werkstoff zu arbeiten, der so „lebendig“ ist. Ich verstehe, warum Rodin seine Gehilfen beauftragte, seine Werke in Marmor und Stein zu reproduzieren, denn diese leblosen Materialien gaben ihm nicht die Möglichkeit, seine Forschungen weiter voranzutreiben. Er konnte sich so immer wieder dem Ton zuwenden und viele weitere Modelle erschaffen, über Monate und Jahre hinweg, bis er zufrieden war. Er sagt es selbst: „Im Ton finde ich meine Formen“. Ton ist wie eine Haut, die gebürstet und gestreichelt werden kann.


Sie zeigen Rodin als jemanden, der empfänglich ist für die Natur, der es liebt, Bäume zu berühren.

So lange ich denken kann, habe ich es immer gemocht, Bäume zu berühren und mit ihnen zu spielen. Jedes Jahr pflanze ich welche. Ich sehe, wie sie wachsen, und ich bewundere ihre Verzweigungen, ihre Adern, die Knoten einer Korkenzieherhaselnuss, die geschuppte Rinde einer Birke – das ist schon toll! Der Begriff Sinnlichkeit scheint mir hier nicht übertrieben, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Rodin Bäume nicht auch berührt hat.


Berührungen, das Lebendige und Fleischliche stehen im Zentrum des Films...

Ja, es ist das Leben, das mich fasziniert und den Ausschlag gibt. Das ist einer der Gründe, weshalb ich während eines Drehs überrascht werden muss, damit das Leben herausbricht. Wenn ich ans Set komme, habe ich keine vorgefassten Ideen, was meine Vorgehensweise betrifft. Wir haben die Szene und die Dialoge, aber wie sich die Schauspieler in meinem improvisierten Umfeld bewegen, möchte ich vorher gar nicht wissen. Dann wäre es nur noch bloße Ausführung. Und die Freude am Finden der passenden Musik und der Glaubwürdigkeit der Szene ist wie die Suche nach der Form im Ton. Dasselbe gilt auch für den Schreibprozess: Ich weiß nicht, wohin er führen wird, ich wandere von Szene zu Szene ohne einen festen Plan. Man muss auch der Geschichte und den Charakteren erlauben, lebendig zu werden und ihre eigene Richtung zu finden.


Das wird auch deutlich in Ihren fließenden und durchgängigen Inszenierungen, in denen es Raum für die Entfaltung von Bewegungen gibt.

Um die Musikalität einer Szene zu begreifen, muss ich ihre Bandbreite fühlen und ihre gesamte Länge auf mich wirken lassen. Also kann ich nicht „Cut!“ rufen, bevor die Szene fertig ist. Das ist auch der Grund, weshalb ich mit zwei Kameras drehe. Ich breche Szenen nie auf Einstellungen herunter, um die Energie fließen zu lassen und die Melodie der gesamten Sequenz zu erfassen. Wenn ich mit einzelnen Fragmenten arbeiten müsste, wäre ich nicht in der Lage, viel zu erspüren. Es ist meine Aufgabe, den Schauspielern zu ermöglichen, eine Szene von Anfang bis Ende durchzuspielen. Ich arbeite mit handgehaltenen Kameras, nicht hektisch, sondern bis zu einem gewissen Grad stabil, aber am richtigen Ort, damit wir den Fluss der schauspielerischen Choreografie erfühlen können. Idealerweise ist die Inszenierung unsichtbar, wie eine Verlängerung meiner Hand, obwohl ich nicht derjenige bin, der die Kamera hält.


Der Film ist überwiegend in weichen Farben gehalten.

Ich wollte eine Tiefenschärfe erzielen, die es mir möglich macht, die gesamte Szenerie für meine Inszenierung zu nutzen. Und ich wollte weiche Farben, die nicht zu stark kontrastieren. Farben in Haut- oder Erdtönen, ja feminine Farben. Und bewegliche Einstellungen, fließend, flackernd. Was wir zusammen mit Christophe Beaucarne erreicht haben, war perfekt, sowohl was das Licht als auch die Bildeinstellungen betreffen.


Der Begriff der Arbeit ist ein zentraler Punkt des Films...

Rilke drückt es wunderbar aus: „Ich kam zu Ihnen, um Sie zu fragen: Wie soll man leben? Und Sie sagten: indem man arbeitet.“ Ich glaube, sie alle – von Camille Claudel bis Rilke und viele andere – kamen zu ihm, um hautnah seinem Arbeitsprozess beizuwohnen, ja fast mit ihm zu verschmelzen. Das ist es auch, was Zweig beschreibt, der von Rodin durch sein Atelier geführt wurde – plötzlich zog er ein feuchtes Tuch von einem seiner unfertigen Werke und begann daran zu arbeiten, während Zweig ihn still bewunderte. Als Rodin fertig war, wollte er das Atelier abschließen und erschrak, als er plötzlich diesen Fremden wahrnahm. Er hatte vollkommen vergessen, dass der Schriftsteller zu Besuch war.
Forstetzung folgt

Foto: © Verleih

Info: Abdruck aus dem Presseheft von AUGUSTE RODIN

Besetzung

Auguste Rodin       Vincent Lindon
Camille Claudel      Izïa Higelin
Rose Beuret           Séverine Caneele
Victor Hugo            Bernard Verley
Rainer Maria Rilke  Anders Danielsen Lie
Claude Monet        Olivier Cadiot
Paul Cézanne         Arthur Nauzyciel
Octave Mirbeau      Laurent Poitrenaux
Juliette Drouet        Guylène Péan
Sophie Postolska   Magdalena Malina
Jessie Lipscomb    Léa Jackson