Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 31. August 2017, Teil 10
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das Thema, nämlich wie Jugendliche von einer beliebigen autoritären und diktatorischen Staatsmacht an das Gleichmaß, an die Indoktrination, an den Gehorsam gewöhnt und in einer vorgegebenen Ideologie aufgehen sollen, dieses Thema kommt nie aus der Mode, genauso wenig wie die Möglichkeiten, dennoch den schwierigen Weg der persönlichen Freiheit zu finden und sich aus vorgegebenen Fesseln zu befreien.
Wenn Ödön von Horvath seinen gleichnamigen Roman JUGEND OHNE GOTT im Jahr 1937 schrieb, wissen wir sofort, welcher Staat, welche Macht ihn zu diesem Buch veranlaßte, auch wenn die Nazis nicht erwähnt werden und im Film, der im Morgen spielt, auch nicht. Aber auch Gott wird im Film nicht erwähnt, durchaus aber eine Gegenmacht, die wir eben Gott nennen, die hier eher der durch Erfahrung klug gewordene, aufgeklärte Antinazi ist, ein Garant dafür, nicht derart menschenverachtend und seelenlos die Jugend einer Gesellschaft abzurichten, sondern sie zu kritischen, positiven Menschen heranzuziehen.
Wenn nun der Schweizer Alain Gsponer sich an diesen wichtigen, aber schwierigen Stoff wagt, muß man erst einmal nach der Zielgruppe fragen. Es müßten die Jugendlichen sein, diejenigen, die eindeutig die Kindheit hinter sich gelassen haben und Fragen an die Welt stellen. Nimmt man gleichzeitig zur Kenntnis, daß es wohl kein Alter gibt, in dem Konkurrenz derart lustvoll ausgespielt wird, einfach weil die Adoleszenz ein sich Messen, ein Raufen, ein Unten und Oben ist, dann weiß man, es geht in erster Linie um die jungen Menschen, die die Pubertät hinter sich gelassen haben und sich fast für erwachsen halten.
Darum ist der erste Schachzug von Gsponer nicht schlecht, aus den Gymnasiasten und ihrem Ferienlager, in die sie der Lehrer begleitet, der erst dort anderen, nämlich kritischen Sinnes wird, aus diesen Gymnasiasten Schulabgänger zu machen, die sich nun für eine Eliteuniversität bewerben können, falls sie dieses Camp, in das eingeladen zu werden schon die erste Auszeichnung ist, falls sie dieses Camp also als eine der Besten durchlaufen. Denn nur vier-fünf Aspiranten werden bestehen!
Das kommt Ihnen bekannt vor? Naja, jetzt ist viel geschrieben worden, das erinnere an DIE TRIBUTE VON PANEM und diese Spiele, die dort kreiert wurden und wo die einzelnen gegeneinander gehetzt wurden, buchstäblich in den Tod gehetzt. Nun sind auch die TRIBUTE Weiterführungen und man braucht gar nicht in die USA zu blicken, sondern sich nur zu vergegenwärtigen, daß bis heute unser Schulsystem auf diesen Auswahlkriterien beruht – nur daß keine Toten zurückbleiben (sollen). Nein, so heftig geht es in diesem Camp in den Bergen nicht zu, in die nun die einzelnen eintrudeln, wobei wir bei jedem Ankömmling sofort mitbekommen, ob er den Hintergrund eines quasi halbmilitärischen Lagers wahrnimmt und wie er dazu steht.
Während der Roman eine richtige Erzählung ist und das Geschehen aus der Perspektive des Lehrers fortlaufend wiedergibt, haben wir im Film wechselnde Perspektiven der Bestenauslesen. Das verwirrt auf der einen Seite, gibt aber mitten im Film diesem einen neuen Schub, weil wir erst jetzt das, was wir schon sahen, aus einer neuen Perspektive erneut sehen und einen anderen Eindruck gewinnen als zuvor. Mit den Mitteln des Films wird also so verwirrt wie geklärt, so daß Inhalt und Form perfekt ineinanderspielen.
Die älteren Jugendlichen, die nacheinander alleine oder in Gruppen anreisen, sind durch schon bekannte Schauspieler wie Jannis Niewöhner, Jannik Schümann oder Emilia Schüle besetzt, bei der man sich besonders wundert, wie glaubwürdig sie die Jugendliche gibt. Wirklich hervorragend. Daß die Älteren von Fahri Yardim, Anna Maria Mühe und in klitzekleiner Rolle auch Iris Berben mit dabei sind, aber keine schauspielerischen Qualitätssprünge bringen, zeigt, wie gut die Besetzung insgesamt klappt.
Nein, wir wollen vom Inhalt nur so viel verraten, daß es knallharte Konkurrenz ist, die hier abläuft und daß das System der Bestenauslese in jedem Menschen das Tier herauslocken soll, das obsiegen will. Was mit Schwächeren geschieht, was das überhaupt sein soll, in Stark und Schwach zu unterscheiden, ohne klar zu sagen, in welcher Disziplin, das macht den Gehalt dieses Films aus, der zusätzlich zwei einschneidende Phasen hat: es gibt auch die anderen. Im Buch sind es eine jugendliche Diebesbande, hier sind es junge Menschen, die anders leben wollen, als ihnen vorgeschrieben wird. Und damit Aussätzige sind für die Herrschenden. Und wer sich absondert, der ist von vorneherein gefährlich, sagt das System der Gleichschaltung. Also sind diese, völlig unabhängig davon, wer sie sind und was sie wollen, die Gegner. Gegner müssen vernichtet werden.
Das andere, das ist der Mord. Oder ist es Totschlag? Auf jeden Fall gibt es den Toten und deshalb wird das, was als Dystopie erst einmal düster vor uns abläuft, dann auch noch zu einem Krimi.
Nun gut, Ödön von Horvath geht schon in tiefere Schichten, aber interessant fand ich diesen Film allemal. Leicht sperrig, aber wie sollte so ein Thema auch noch elegant oder sogar schlüpfrig daherkommen. Das wäre gelogen. So hat diese Sperrigkeit eben auch das Zeichen von Echtheit, von Wahrheit.
Foto: © Constantin Verleih
Info:
DIE BESETZUNG
FAHRI YARDIM (Lehrer)
EMILIA SCHÜLE (Ewa)
ANNA MARIA MÜHE (Loreen)
ALICIA VON RITTBERG (Nadesh)