f leander1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. September 2017, Teil 9

Nick Baker Monteys

Berlin (Weltexpresso) – In Leanders Letzte Reise geht es weniger um die Reise eines Helden, sondern viel mehr die eines Antihelden. Wie könnte es anders sein, wenn die Hauptfigur ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier ist?

Eduard ist einer der Letzten seiner Art. Seine Generation stirbt aus. Mit seiner Enkeltochter Adele geht er auf die Suche nach der Liebe seines Lebens. Aber auf ihrer Reise durch die Ukraine verwandelt sich die Geschichte über Eduards Vergangenheit in eine Geschichte über Adeles Zukunft.

Es geht nicht darum alte Wunden aufzureißen. Es geht um die Bedeutung des Zweiten Weltkriegs für die heutige Generation. Wie leben wir mit der deutschen Vergangenheit? Betrifft sie uns nicht, weil wir nicht dabei waren? Oder hat sie viel mehr mit uns zu tun, als man glaubt?

Eduards Gefühle von Schuld und Reue und seine Unfähigkeit, sie zu artikulieren, haben nicht nur die letzten 70 Jahre seines eigenen Lebens geprägt, sondern auch das seiner Familie. Dieser schuldgetriebene, traumatisierte Mann verliebte sich im Krieg, aber konnte danach nicht mehr lieben – nicht einmal seine eigene Familie. Er hinterlässt tiefe psychische Narben, die sich auch in die nachfolgende Generation hineinziehen: Das deutsche Trauma, das jede weitere Generation infiziert, wie Gene, die angefangen haben zu mutieren.

Die vielleicht wichtigste Frage, die unsere Geschichte schließlich aufwirft, ist: Kann Adele den Teufelskreis durchbrechen? Oder wird sie eine Gefangene der Vergangenheit bleiben, so wie ihre Mutter und ihr Großvater es sind?

Die Ironie des Schicksals: Als wir die Geschichte entwickelten, wurde auch die Ukraine von der eigenen Vergangenheit eingeholt. An der Grenze zwischen der Ukraine und Russland, wo unsere Protagonisten hinreisen, begann 2014 ein Krieg. Die Reise von Eduard und Adele bekam auf einmal noch mehr Brisanz, nicht zuletzt, weil die Ursprünge dieses Krieg zum Teil auf den deutschen Einmarsch 1941 zurückgehen.

Im Zweiten Weltkrieg kämpften viele Ukrainer auf der Seite der Deutschen gegen das sowjetische Regime. Und das machen die pro-russischen Separatisten in der Ostukraine immer noch den Ukrainern zum Vorwurf. Sie werden als „Faschisten“ beschimpft und angefeindet. Weniger bekannt ist, dass viele Kosaken mit den Deutschen gekämpft haben. Natürlich kann man die Ukrainer oder Kosaken, die mit den Deutschen zusammen gekämpft haben, als irregleitet bzw. als „Kollaborateure“ bezeichnen, aber in Leanders Letzte Reise steht der menschliche Aspekt im Vordergrund: Die „steifen“ Deutschen und die „lebenslustigen“ Kosaken waren nicht nur Imstande zusammen zu kämpfen, sondern auch zusammen zu leben und sich gegenseitig zu lieben – und das, obwohl die Nazi Führung die Slawen als Untermenschen abgestempelt hatte. Das sagt uns natürlich einiges über die Tragödie des Krieges, wo Feind genauso gut Freund sein kann. Vor allem aber zeigt Eduards Geschichte, dass sich die Menschlichkeit durchsetzt, egal, wie sehr wahnwitzige politische Ideale versuchen, die Menschen auseinanderzutreiben.


In unserer Geschichte ist die Frage nach der deutschen Schuld am Konflikt zwischen Ukrainern und Russen weniger wichtig, als die Erkenntnis, dass auf menschlicher Ebene eine Deutsche wie Adele und ein ukrainischer Russe wie Lew letztendlich dasselbe Problem haben: ihre Vergangenheit.

Lews Wurzeln liegen sowohl auf ukrainischer als auch auf russischer Seite, aber er ist ein Mann des Westens und fühlt sich als Ukrainer. Sein jüngerer Bruder Boris dagegen fühlt sich als Russe. Uns ist sehr wichtig, dass beide Seiten in dem heutigen Konflikt zu Fleisch und Blut werden. Wir versuchen nicht herauszufinden, wer in diesem Konflikt Recht hat, genauso wenig wie wir Eduard als gut oder böse darstellen wollen, obwohl er eindeutig als „Täter“ einzuordnen ist. Was Leanders Letzte Reise durchleuchtet, sind unsere Beziehungen zu unseren Familien und die Kräfte, die sie – und letztendlich uns alle – geformt haben.

Adele und Lew werden schließlich mit derselben Frage konfrontiert: Wollen wir weiterhin Gefangene der Vergangenheit sein? Sind wir dazu verdammt, immer wieder dieselben Fehler zu machen?

Foto: © 

Info:

BESETZUNG

Eduard Leander      JÜRGEN PROCHNOW
Adele                       PETRA SCHMIDT-SCHALLER
Uli                            SUZANNE VON BORSODY
Lew                         TAMBET TUISK
Boris                       ARTJOM GILZ
Nastja                     MARIA KOCHUR
Nikolai                    JEVGENI SITOCHIN
Masha                    NATALIA BOBYLEVA
Ustinja                    NINA ANTONOVA
Hermann                KAI IVO BAULITZ
Eva                         KATHRIN ANGERER
Marcus                   ANDREAS PATTON