fm une vieDas Filmforum Höchst bringt Literaturverfilmungen zum Buchmessenschwerpunkt Frankreich vom 5. – 11. Oktober

Helga Faber

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das Filmforum Höchst beteiligt sich am Buchmessenschwerpunkt Frankreich mit einer Preview des im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele in Venedig 2016 gezeigten Films „Une vie – ein Leben“ von Stéphane Brizé (nach Maupassant) und weiteren sieben Literaturverfilmungen. 

Mit dem Programm “Ciné – Littérature” widmet sich das Filmforum Höchst also dem diesjährigen Gastland der Frankfurter Buchmesse mit verschiedenen filmischen Annäherungen an die französische Literatur. Das Programm startet mit der Vorpremiere des  Films Une vie – Ein Leben von Stephane Brizé (Madame Chambon, La loi du marché), der Verfilmung der 1883 entstandenen Novelle Une vie von Guy de Maupassant.

Nach der Erstaufführung im April im Filmforum Höchst wird noch einmal Manuel Sanchez´ burlesk – poetische Verfilmung des Romans Les bottes rouges – Die roten Stiefel von Franz La dorMeuse Duval präsentiert, der im Titel auch eine Anspielung auf ein berühmtes Gedicht von Arthur Rimbaud enthält. Xavier Dolans beeidruckende Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks Juste la fin du monde – Einfach das Ende der Welt des berühmten, früh verstorbenen französischen Theaterautors  Jean – Luc Lagarce gewann dieses Jahr den den Großen Preis der Jury in Cannes.

Un sac de billes – Ein Sack voll Murmeln basiert auf Joseph Joffos 1973 erschienenem gleichnamigen autobiografischen Roman über seine Kindheit als verfolgter Jude im besetzten Frankreich des Zweiten Weltkriegs. Natürlich darf bei einer solchen Reihe einer der großen Klassiker der Filmgeschichte nicht fehlen, Belle de Jour – Schöne des Tages von Luis Buñuel nach Joseph Kessels ebenfalls gleichnamigem Roman und mit der unvergesslichen Catherine Deneuve in der Hauptrolle.

Neben der direkten Verfilmung von Literatur werden drei Filme gezeigt, die sich mit der Wirkung von  Literatur auf das Leben der Protagonisten beschäftigen:

Ein Paradebeispiel ist Abdellatif Kechiches Film L´esquive der 2005 mit vier französischen Filmpreisen (Césars) ausgezeichnet wurde. Kechiche erzählt vom Leben (und den Liebesverwirrungen) einer Gruppe von Jugendlichen in der Banlieue, die gemeinsam das Theaterstück Le Jeu de l'amour et du hasard - Das Spiel von Liebe und Zufall von Pierre Carlet de Marivaux einüben, wobei Spiel und Leben sich in gewisser Weise verschränken und die Sprache der klassischen Literatur des 18. Jahrhunderts  auf die Sprache der Jugendlichen aus der Banlieue trifft.

Auch in Alcesta à bicyclette – Molière auf dem Fahrrad, einer Hommage an Molière von Philippe Le Guay, verbindet sich die filmische Realität der Protagonisten mit dem literarischen Text. Fabrice Luchini und Lambert Wilson liefern sich hier beim Einüben des Stücks Le Misanthrope – Der Menschenfeind pointierte Wortgefechte und verbinden sprachlich Theater und Kino. Schließlich erzählt Jean Becker in der Verfilmung des Romans von Marie – Sabine Roger in La Tête en friche – Das Labyrinth der Wörter von einer „Education littéraire“ in deren Mittelpunkt Germain (Gérard Depardieu) und der Roman Die Pest von Albert Camus stehen.

Preview: Une vie – Ein Leben (OmU)

Stéphane Brizé (Maupassant) FR 2016, 119 min.
5.10. um 20.00 Uhr

Im Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts kämpft die junge Landadelige Jeanne (Judith Chemla) mit antiquierten Ansichten und repressiven Einstellungen gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Als die junge Frau aus der Klosterschule zu ihrer Familie zurückkehrt, führt sie zunächst ein glückliches Leben mit ihrem Vater Baron Simon-Jacques (Jean-Pierre Darroussin) und ihrer Mutter Adélaïde (Yolande Moreau). Dann heiratet sie – 17jährig - den Baron Julien de Lamare (Swann Arlaud). Zuerst ist sie ihm in schwärmerischer Liebe zugetan.

Doch schon schon auf der Hochzeitsreise entpuppt er sich als krankhaft geizig und beginnt auch bald mehrere Affären. Jeanne projiziert all ihre Liebe auf ihren Sohn Paul, der dadurch zum verwöhnten, undankbaren jungen Mann und spielsüchtigen Erwachsenen heranwächst... UNE VIE erzählt nach Guy de Maupassants 1883 erschienener Novelle Stationen eines unglücklichen Frauenlebens nach wahren Begebenheiten.

Dem französischen Regisseur Stéphane Brizé gelangt das Kunststück, das traurige Leben, die Einsamkeit sehr authentisch auf die Leinwand zu bringen und gleichzeitig einen luftig lichtdurchfluteten Film zu drehen, was sicherlich auch der darstellerischen Leistung Judith Chemlas zu verdanken ist.


La Tête en friche – Das Labyrinth der Wörter (OmU)

Jean Becker (Roger), FR 2010, 82 min.
6.10. um 18.30 Uhr, 10.10. um 20.30 Uhr

Seinem Umfeld galt Germain (Gérard Depardieu) seit je her als schlicht. Und das nicht nur, weil der nach rund 50 Jahren auf dieser Welt immer noch nicht richtig Lesen und Schreiben gelernt hat. Eines Tages kommt der gutmütige Riese auf einer Parkbank ins Gespräch mit einer alten Dame. Die beiden mögen vierzig Jahr und hundert Kilo auseinander liegen, dennoch freundet sich Germain schnell mit Margueritte (Gisèle Casadesus) an und lauscht bedächtig, wenn sie ihm aus Romanen vorliest und ihn damit in die fremde Welt der Wörter und Zeichen führt. Als sie langsam erblindet, entscheidet Germain sich ihr zuliebe, sein Versäumnis nachzuholen – fleißig übt er, Buchstaben in Sprache zu übersetzen... Nach dem Roman von Marie – Sabine Roger.


L´esquive (OmU)

Abdellatif Kechiche (Marivaux), FR 2003, 116 min.
6.10. um 20.30 Uhr

(Keine Wh möglich aus Rechtegründen, sonst ist der Film nicht mehr im Kino zu sehen!)

Kechiche erzählt vom Leben (und den Liebesverwirrungen) einer Gruppe von Jugendlichen in der Banlieue, die gemeinsam Le Jeu de l'amour et du hasard -  Das Spiel von Liebe und Zufall von Marivaux einüben, wobei Spiel und Leben sich in gewisser Weise verschränken.

Der Film wurde mit großartigen Laiendarstellern an Originalschauplätzen (einer Sozialsiedlung in der Nähe von Paris) gedreht und 2004 in Frankreich mit vier Césars ausgezeichnet. „Diese Vororte werden dermaßen stigmatisiert, dass es fast revolutionär erscheint, dort eine Geschichte anzusiedeln, bei der es nicht um Drogen, verschleierte Mädchen oder Zwangsheirat geht. Ich hingegen wollte verstehen, wie dort über die Liebe und auch das Theater geredet wird. Ich wollte eine andere, persönliche Sichtweise vermitteln.“ (Kechiche)

Der Film mischt zugleich die klassische Sprache des Stücks aus dem 18. Jahrhundert mit der Umgangssprache der Jugendlichen und kontrastiert so die unterschiedlichen sprachlichen Kodices. Durch das Verweben der gegenwärtigen Realität der Jugendlichen mit der literarischen Vorlage Marivaux´ zeigt Kechiche wie Liebe und Literatur die jungen ProtagonistInnen beeinflussen und verändern, wie Literatur, auch wenn sie aus dem 18. Jh. stammt, direkt mit dem gegenwärtigen Leben zu tun hat.


Un sac de billes – Ein Sack voll Murmeln (OmU)

Christian Duguay (Joffo), FR/CA /Tschechien 2017, 113 min.
7.10 um 18.30 Uhr und 9.10. um 20.30 Uhr

Die berührende Verfilmung des auf der Lebensgeschichte von Joseph Joffo basierenden Bestsellers – erschienen 1973 - erzählt von zwei Brüdern, die 1941 von Paris aus alleine in den Süden Frankreichs flüchten, das noch nicht von den Deutschen besetzt ist. Ihren Eltern schien eine gemeinsame Flucht vor den Deutschen zu auffällig. Eine gefährliche Reise erwartet die Jungen, denn niemand darf erfahren, dass sie Juden sind. Zudem schwebt immer die große Angst über ihnen, ob sie ihre Eltern wiedersehen werden. Doch dank ihres Mutes und Einfallsreichtums schaffen sie es immer wieder, den Besatzern zu entkommen.


La dorMeuse Duval (OmU)

Manuel Sanchez (Bartelt), FR 2016, 110 min.
7.10. um 20.45 Uhr

„C'est un trou de verdure où chante une rivière/ Accrochant follement aux herbes des haillons/ D'argent ; où le soleil, de la montagne fière/ Luit : c'est un petit val qui mousse de rayons...“

„Liegt eine Grüne Lichtung, wo des Flusses Welle/ In tollem Singsang um die Gräser Fetzen säumt/ Aus Silber, wo die Sonne stolz von Bergesschwelle/ Leuchtet; ist ein kleines Tal, von Strahlen durchschäumt...“

Arthur Rimbaud, Le  Dormeur du Val

In einem kleinen Dorf am Ufer der Maas an der französisch-belgischen Grenze, führt Basile Matrin (Dominique Pinon), Lagerverwalter einer Fabrik, an der Seite seiner Frau Rose ein eintöniges Leben. Die junge Maryse Duval (Delphine Depardieu), die gerade aus Paris zurückgekehrt ist und ihren Schauspielerinnen-Traum aufgegeben hat, wird das Leben von Rose und Basile ungewollt durcheinanderbringen. Der Nachbar und Freund von Basile, Martin, Berichterstatter der „Tageszeitung der Maas“, ist Zeuge des komischen Dramas, das sich vor seiner Haustür abspielt. Widerwillig wird er Teil dieser „Dramödie“ werden ...Nach Franz Bartelts Erfolgsroman Les bottes rouges – Die roten Stiefel.



Alceste à bicyclette – Molière auf dem Fahrrad (OmU)

Philippe Le Guay, FR 2013, 104 min.
8.10. und 11.10. um 18.30 Uhr

„Ich würde alle Welt die Wahrheit wissen lassen/ Die Augen schmerzen mich; bei Hof und in der Stadt/ Hab´ich zuviel gesehen, was mich erbittert hat;/ mein Sinn verdüstert sich, mich fasst ein böses Weh/ wenn ich die Menschen so in Lüge seh´!/ Ich finde überall nur Feigheit, Schmeichelei;/ Verrat und Eigennutz, Betrug und Heuchelei/ Ich halt´ s nicht länger aus – ich rase – und ich will/ die ganze Menschenwelt zerstören mit Stumpf und Stiel“ (Alceste.)

Einst war Serge Tanneur (Fabrice Luchini) ein gefeierter Schauspielstar, doch mittlerweile lebt er zurückgezogen in einem maroden Haus auf der Île de Ré und hat der Schauspielerei abgeschworen. Eines Tages taucht sein alter Weggefährte Gauthier Valence (Lambert Wilson) bei ihm auf. Gauthier plant eine Produktion von Molières »Der Menschenfeind« und will Serge unbedingt dabei wissen. Zwar gibt sich Serge zunächst unnachgiebig, doch ausgerechnet die Rolle des Alceste aus diesem Stück wollte er schon immer spielen und so lässt er sich zu gemeinsamen Proben überreden. Allmählich öffnet sich der einsiedlerische Serge, verbringt vergnügliche Stunden mit Gauthier und lernt dabei die hübsche Francesca kennen.

Doch dann geraten das wahre Leben und die Welt des Theaters aneinander – Freundschaft trifft auf Eitelkeiten und Liebe auf Verrat. ALCESTE A BICYCLETTE - MOLIERE AUF DEM FAHRRAD ist eine Hommage an den großen Dramatiker Molière. Zwei französische Schauspiel-Stars, Fabrice Luchini und Lambert Wilson, liefern sich pointierte Wortgefechte und verbinden originell Theater und Kino.


Belle de Jour – Schöne des Tages (OmU)

Luis Buñuel (Kessel), FR 1967, 101 min.
8.10. um 20.30 Uhr

Luis Buñuels BELLE DE JOUR ist einer dieser äußerst seltenen Filme, die zunächst relativ schlicht erscheinen, die aber zugleich eine seltsame Faszination beim Betrachter hervorrufen und dessen letztendliches Geheimnis selbst bei wiederholter Betrachtung niemals vollständig ergründet werden kann. Dieser Film ist ein reifes Spätwerk eines der großen Visionäre des Kinos und ein ganz großes Werk des Surrealismus. Die literarische Vorlage bildete Joseph Kessels (1898 – 1979) 1929 erschienener Roman Belle de Jour, der erst aufgrund des Kinoerfolgs 1968 auch in deutscher Übersetzung erschien (Die Schöne des Tages).


Juste la fin du monde – Einfach das Ende der Welt (OmU)

Xavier Dolan (Lagarce), FR/ CA 2016, 97 min.
9.10 um 18.30 Uhr und 11.10. um 20.30 Uhr

Der verlorene Sohn kehrt nach über 12 Jahren nach Hause zurück. Im Prolog klärt er das Kinopublikum über den Grund seiner Heimkehr auf. Er wird sterben und will seiner Familie, seiner Mutter, der Schwester und dem Bruder nebst Schwägerin die Nachricht überbringen. Kaum angekommen brechen die alten Querelen wieder auf, der Streit und die Missverständnisse zwischen denen, die sich eigentlich lieben. Louis ist den anderen zudem fremdgeworden als Schriftsteller, der in einer Metropole lebt.

Hier in der Provinz läuft das Leben anders und Louis kann schließlich nicht zu seiner Familie durchdringen, zu groß ist die latente Ablehnung, zu groß sind die Hindernisse, die sie selbst aufbauen. Schließlich fühlt sich Louis als der einzig „Lebendige“ gegenüber den Gespenstern seiner Familie, wobei er trotz allem Zärtlichkeit für sie empfindet und sie um keinen Preis verletzen will. Der französische Dramatiker Jean – Luc Lagarce schrieb das JUSTE LA FIN DU MONDE 1990, er starb mit nur 38 Jahren im Jahr 1995.

Das Stück steht immer noch auf den Spielplänen der französischen Theater, so auch der Pariser Comédie Française. Das „Regiewunderkind“ Xavier Dolan hat das Stück nun für den Film adaptiert und mit großartigen Schauspielern besetzt: Marion Cotillard, Léa Seydoux, Vincent Cassel, Gaspard Ulliel und Nathalie Baye. Durch seine unvergleichliche Schauspielerführung schafft Dolan eine bedrückende visuelle Enge zwischen Figuren, die nicht weiter voneinander entfernt sein könnten, und erhielt dafür bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes den Großen Preis der Jury.


Foto: Une Vie – Ein Leben                                   Molière auf dem Fahrrad                        Das Labyrinth der Wörter

Info: 
www.filmforum-höchst.de

Filmforum Höchst
Emmerich-Josef-Str. 46a, 65929 Frankfurt a.M.
Eintritt 7 € (Frankfurt Pass 3,50 €)
Kartenreservierung unter Telefon 069 212-45714