Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. Oktober 2017, Teil 5
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Alain Gomis ist der afrofranzösiche Regisseur dieses Films über eine kongolesische Nachtclubsängerin, die in schwieriger Situation ihren Mann steht. Buchstäblich rettet sie ständig Männer. Nicht nur den eigenen Sohn, mit weiblicher Kraft meistert sie auch ansonsten die Widrigkeiten, die ihr aufgrund ihres Geschlechts zusätzlich dazu passieren, daß sie eine Schwarze ist.
In diesem sehr interessanten Film, der, selten genug, einmal nicht aus westlichen Mittelschichtsverhältnissen erzählt, ist einerseits ein Realismus am Werk, den man öfter zum Teufel wünscht, dann nämlich, wenn wieder einmal die Hauptdarstellerin nicht die Hauptperson sein darf, sondern sich ständig das Wohlwollen von Männern ihrer Umgebung erkauft. Andererseits gibt es Traumsequenzen, ach was, Teile des Films scheinen irreal und der Zuschauer muß entscheiden, ob das Träume oder Phantasien sind und auch, welche Bedeutung diese für den Film haben. Wie gesagt, einen hochinteressanten Film, an dem wir nur eine Kritik hatten, als er bei der diesjährigen Berlinale im Wettbewerb gezeigt wurde und dort den Großen Preis der Jury gewann, den Silbernen Bären: daß nicht problematisiert, bzw. zumindest angesprochen wird, daß diese tolle Frau ständig männerorientiert handelt. Das ist sicher realitisch, aber wir hätten uns eine Brechung der Verhältnisse, zumindest im Film gewünscht.
Also behält auch beim Wiedersehen des Films die damalige Rezension Bestand. Hier ist sie:
Berlin (Weltexpresso) – Wenn die Sängerin Félicité bei einem unbekannten reichen Mann um Geld bittet, weil ihrem Sohn nach einem schweren Motorradunfall das Bein operiert werden muß, dann wird sie fast totgeschlagen. Sie läßt nicht zu, daß Gewalt von Männern und deren Alkoholkonsum ihr Leben bestimmen, das sie mit Singen finanziert.
Der Film beginnt mit der immer noch stolzen Félicité, die sich trotz ständiger Demütigungen allein mit einem Jugendlichen durchs Leben schlägt. Demütigungen sind beispielsweise der ständig kaputte Kühlschrank, den ihr alle möglichen Männer für immer neues Geld reparieren wollen, der aber auch mit allen Ersatzteilen nicht funktioniert. So wird dieser Kühlschrank zur Metapher für ihr Leben – und nicht nur ihres - in Kinshasa. Immer wird etwas versucht, angestückelt, repariert,aber immer greift ein neue Unglück zwangsläufig ins Schicksal ein.
Für Félicité ist dies der Unfall ihre Sohnes, von dem sie telefonisch erfährt, woraufhin sie ins Krankenhaus hastet und ihn sprachlos und schwer verletzt vorfindet. Sein Bein ist gefährdet, nur eine sofortige Operation kann es retten. Die kostet über eine Million der heimischen Währung Kongo Franc und wird nur nach einer Anzahlung ausgeführt. Die anfangs geschilderte Situation ist die gewalttätigste bei ihren Bittgängen, zu denen auch das Aufsuchen des Vater des Jungen gehört, der sie ebenfalls mit Gewalt rauswirft und darauf verweist, sie habe ja allein zurecht kommen wollen und immer die Stolze gespielt. Dabei solle sie es belassen. Bei anderen dagegen muß sie um nichts bitten, die Gemeinschaft hält jeweils zusammen, ob es Betschwestern sind oder die Zuhörer in der Bar, in der sie jeden Abend auftritt.
Tabu, den wir als ihren langmütigen Verehrer und Reparierer vom Dienst, aber auch als absoluten Trunkenbold und notorischen Fremdgänger schon kennengelernt haben, ist derjenige, der überall die Hilfe mit einem Sammlungshut in Gang setzt und von überall her kommen Geldscheine und Münzen. Doch als die Mutter die Anzahlung ins Krankenhaus bringt, hatte sich das Bein so verschlimmert, daß der Unterschenkel bis zum Knie bereits amputiert worden war. Damit ist alles vergeblich gewesen und der Ausspruch, Hauptsache er lebt, klingt nur noch hohl. Der Junge auf jeden Fall verstummt. Aber Félicité ist realistisch und wenn man aus diesem Film etwas mitnehmen kann, dann auf jeden Fall, auch unter widrigen Umständen nicht aufzugeben. Obwohl das etwas hergeholt ist, denn es wird der einst stolzen Frau jeden Tag klargemacht, daß sie sich anpassen, unterordnen muß.
Den Sohn haben wir ohne Worte, ohne Mimik, fast katatonisch ohne Regungen erlebt. Wenn Tabu den Jungen unter Alkohol setzt und dieser sich dann vor Lachen nicht halten kann, wissen wir nicht so recht, ob das nicht eher zum Weinen ist. Soll damit seine Laufbahn als künftiger Alkoholiker analog Tabu angedeutet werden oder als einmalige Hilfsmaßnahme ins Leben zurückzufinden, nun mit Behinderung? Ähnlich geht es uns, wenn man am Schluß Félicité ins Schlafzimmer von Tabu kommen sieht , wo sie die im Bett liegende Dame mit einer Handbewegung verscheucht, sich auf dasselbe setzt und dem verdutzten Tabu eröffnet, mit ihnen beiden könne ja doch noch was werden. Hat sie sich den allgemeinen Verhältnissen angepaßt, ist das eine Niederlage für die einst stolze Frau oder soll das ihre neugewonnene Lebeneinsicht a la Biermann „ Du laß dich nicht verhärten, ...die allzu Spitzen brechen ab sogleich...“ oder ist es drittens das Eingeständnis, daß ihre Lebensträume vorbei sind und sie sich mit Tabu nun einpaßt in das Schicksal von Frauen ihrer Gesellschaft im Kongo, wogegen einen die wilde Wut packt.
Interessant im Film sind die Einspielungen des Sinfonieorchesters, die völlig unvermittelt einsetzen. Der Regisseur sieht Orchester und später den Chor analog dem Chor im antiken Drama, hier: einen Blick auf das Leben in Kinshasa und die demokratische Republik Kongo zu werfen. Diese Funktion des Chores im Film, wo unvermittelt auf einmal ein Sinfonieorchester erscheint und ein klassisches Requiem und Musik von Paavo Järvi spielt und der Chor singt, erschließt sich jedem, denn der Schönklang konterkariert die ärmliche soziale Situation. Auch weitere stilistische Mittel sind ungewöhnlich. Wir sehen Szenen aus dem Straßenleben von Kinshasa. Daß uns das Herz fast stehen bleibt, angesichts des Drecks und der Armut, des aufwirbelnden Staubs, mildert der Filmemacher durch Unschärfe des Bildes, das noch dazu ruckelt, so als ob wir selbst als Laien mit der Kamera unterwegs seien.
Auf der anderen Seite erinnern die verwischten Bilder auch an Traumsequenzen, zu denen sich andere gesellen, wobei wir nicht immer sicher sind, ob wir das richtig interpretieren. Sowohl das Geschehen, als die Sängerin einfach die Bühne verläßt und sich in den Wald begibt oder die, in denen sie in den See wandert, bis sie völlig unter Wasser ist – das Wasser steht ihr einfach bis zum Hals, Selbstmordgefühle? - und viel viel später, nachdem das Leben pulsierte, wieder wie eine Aphrodite aus dem Wasser auftaucht, alle diese Bilder erscheinen in Schwarz Weiß gedreht, weshalb wir an einen Traum dachten.
Die Wirklichkeit ist hart genug für Félicité, die sich aber nicht als Opfer versteht, und eigentlich auch bei aller Hilfe von so vielen niemals DANKE sagt. So richtig sympathisch wird sie einem dadurch nicht, aber das ist auch nicht nötig. Sie will einfach eine eigenständige Frau bleiben. Kann sie das oder wird ihr das unmöglich gemacht? So interpretiert der Zuschauer ihr Kleinbeigeben, als sie auf die Avancen des immer wieder betrunkenen und fremdgehenden Tabu dann doch eingeht und sich auf eine Beziehung einläßt wie oben beschrieben. „Sie ist teuer und geheimnisvoll, sie macht, was sie will.“, war eine Aussage über sie im Film. Na denn, der Film zeigt anderes.
Foto: © berlinale.de
Info:
Alain Gomis
Frankreich / Senegal / Belgien / Deutschland / Libanon 2017
Lingala
123 Min · Farbe