f indianervieleSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. Oktober 2017, Teil 5

Filmheft

Berlin (Weltexpresso) - Zur Kinoadaption seines preisgekrönten Romans „Es war einmal Indianerland“- ES WAR EINMAL INDIANERLAND erzählt sehr realistisch von der Gefühlswelt des 17-jährigen Mauser. Können Sie diese kurz beschreiben, was geht in ihm vor?

Das weiß er ja selbst nicht so genau. Was sich sagen lässt: Mauser lebt in einer Hochhaussiedlung am Stadtrand. Mutter tot, Vater Ex-Alkoholiker. Halt gibt ihm der Sport. Im Boxring hat der Einzelkämpfer alles unter Kontrolle. Doch dann verknallt er sich. Und plötzlich fliegt ihm das Leben komplett um die Ohren. Der antrainierte Körperpanzer nützt nichts mehr – und unser Held muss sich deshalb auf einen Trip zu sich selbst machen und dabei den klassischen Fragen stellen: Wer bin ich? Und wer möchte ich gerne sein? Auf der Suche nach Antworten lernt er, sich anderen Menschen zu öffnen. Das tut weh. Das wird aber auch belohnt.


Worin bestehen die Unterschiede zwischen Roman und Film?

Das Klischee will ja, dass eine Romanverfilmung für die Autoren (und oft auch für die Leser) nur eine Enttäuschung sein kann, weil sie selten dem Buch gerecht wird. Wie albern. Film ist Film, Buch ist Buch. Natürlich ändert sich alles, wenn eine Geschichte vom Papier auf die Leinwand übertragen wird. Figuren bekommen Körper und Gesichter, die Welt wird farbig und lebendig. Kurz: Es gibt generell eine andere Art der Eindeutigkeit. Rein oberflächlich gesehen hat sich die Geschichte aber vor allem im zweiten Teil verändert. Die Handlung haben wir ab der Hälfte stark gerafft, um mehr Raum für die innere Reise von Mauser zu haben. Er testet jetzt quasi Station für Station, wie viel von seinem Vater auch in ihm steckt. Wie viel Abgrund.


350 Seiten Roman auf Spielfilmlänge zu verdichten, heißt: kürzen, weglassen, rausschmeißen, umschreiben. Fiel es Ihnen schwer, sich von Szenen und Figuren zu trennen, und wie sind Sie gemeinsam mit Max Reinhold dabei vorgegangen?

Fest stand: Wir wollten keine schlichte Bebilderung des Romans. Max und ich sind aber ohnehin eher furchtlos, was Materialbearbeitung angeht. Und eine Filmerzählung braucht ja auch viel weniger Raum, weil sich so viele Informationen gleichzeitig transportieren lassen. Über Gestik, Kostüme, Landschaften, Farben, Musik und so weiter. Dafür muss sich ein Romanautor ja ganz anders ins Zeug legen. Insofern war das am Anfang kein großer Akt. Ein paar Figuren wie die Mexikaner oder der Tankwart und Szenen wie die Befragung bei der Polizei und der Schlusskampf sind sogar dazugekommen. Am Ende war es dann trotzdem eine Herausforderung, Fassung für Fassung alles immer noch weiter zu verdichten und zu raffen – auch weil man einfach ein wenig betriebsblind wird.


Sie sind ebenfalls in einer Hochhaussiedlung am Stadtrand von Hamburg aufgewachsen? Wurde der Film dort gedreht?

Die Szene auf der blauen Brücke zum Beispiel ist dort entstanden, wo ich aufgewachsen bin. Beim Einkaufszentrum in Jenfeld. Gleich mehrere Drehtage waren wir in der Gegend. Es wurde aber auch in Mümmelmannsberg, Bad Bramstedt, der City Nord und anderen Orten in und um Hamburg gedreht. Für die Geschichte sollte allerdings kein realistisches Portrait der Stadt und des Stadtrands gezeichnet werden. Der Wunsch war im Gegenteil, eine Welt zu entwerfen, in der sich die Innenwelt des Helden ausdrückt, eine Welt, die nicht im Hier und Jetzt verankert ist. Wie im Roman. Und ich finde ja, gerade Florian Mag, der Bildgestalter, und Tim Tamke, unser Szenenbildner, haben einen fantastischen Job gemacht, was das angeht.


Was war die größte Herausforderung bei der Adaption, damit Mausers Geschichte auf der Leinwand funktioniert?

Als Romanautor bist du ja eine Art Mohikaner und die meiste Zeit allein auf Jagd. Beim Film gibt es hingegen einen Haufen Indianer. Und die erzählen alle mit. Ich halte das im Idealfall für eine großartige Sache. Andererseits gibt es dadurch die Tendenz, Dinge weichzuspülen, Risiken zu scheuen. Ich bin froh, dass ES WAR EINMAL INDIANERLAND kein humpelnder Krüppel aus Kompromissen geworden ist. Zumal sich auf dem Papier die Geschichte nicht so weglesen ließ wie gewöhnliche Drehbücher. Es laufen mehrere Erzählstränge nebeneinander her. Es gibt Zeitsprünge und Ellipsen.

Max und ich waren uns einig, dass sich das auf der Leinwand ohne große Anstrengung übertragen wird, aber bis zur Realisierung bleibt das eben Behauptung. Neben der Erzählweise gehören außerdem die Dialoge zu den markanten Eigenheiten des Romans. Der tendenziell eher hölzerne Standardsprech im deutschen Film wäre deshalb eine Katastrophe gewesen. Die richtige Balance aus Witz, Poesie und boxerischer Schlagkraft zu finden hat uns bis zum Schluss einige Sonderschichten gekostet. Und enorm Spaß gemacht.


Wie ist es Ihnen gelungen, sich so glaubhaft in die komplizierten Gedankengänge eines Teenagers zu versetzen? Stecken in der Geschichte viele eigene Erinnerungen?

Ist es gelungen? Ich habe keine Ahnung. Wahrscheinlich war das nicht einmal das Ziel. Teenager sind aber einfach großartige Figuren. Die Außenseiter schlechthin. Wir alle sind da einmal durch. Wir alle haben mit den Abnabelungsprozessen zu kämpfen gehabt – und zuweilen dauern die ja bis ins hohe Alter an. Davon abgesehen: Die Jugend ist nicht zufällig der Lebensabschnitt, der in unserer Gesellschaft ikonisiert wird wie kein anderer. Oft auf befremdliche Weise und aus fadenscheinigen Gründen. Aber im Rückblick leuchtet mir das auch wieder ein: Man erlebt ja im besten Fall eine Zeit der großartigsten Premieren. Ich war jedenfalls nicht ungern Teenager.


Erste Liebe, Sex, Drogen, Zukunftsängste, Stress mit den Eltern – Probleme von Teenagern sind zeitlos. Oder hat sich seit 2009, als Sie den Roman geschrieben haben, bis heute etwas verändert?

Haarschnitte, Klamottenvorlieben, Technikspielzeuge ändern sich, im Radio dudeln andere Hits. Der große Rest bleibt im Groben so grauenhaft, so brutal und so großartig, wie es immer war. Die Reise zu sich selbst beginnt in der Teenagerzeit. Und wenn man keine Abkürzung wählt, bleiben die Herausforderungen natürlich immer identisch.

Fortsetzung folgt

Foto: © Verleih

Info:

Regisseur: Ilker Catak
Besetzung:
Leonard Scheicher – Mauser
Johanna Polley – Edda
Emilia Schüle – Jackie
Clemens Schick – Zöllner
Joel Basman – Kondor
Johannes Klaußner – Ponyhof