Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. Oktober 2017, Teil 3
Filmheft
Berlin (Weltexpresso) - In SOMMERHÄUSER sind die Grenzen zwischen Realität und Surrealismus fließend. Wie wichtig war es Ihnen, einen Plot zu entwickeln, der von den Erzählmustern eines konventionellen Familiendramas abweicht?
Das war im Fall von SOMMERHÄUSER gar keine bewusste Entscheidung. Im Gegensatz zu anderen Regisseuren, die zunächst einen Plot entwickeln, gehe ich von den Figuren aus. Ich beobachte gerne andere Menschen und ihre Verhaltensweisen. Aus dieser beobachtenden Herangehensweise heraus ergibt es sich automatisch, dass der Plot meines Films nicht auf einen klassischen Dreiakter hinausläuft. Natürlich muss man für die Verknüpfung der vielen Ideen und Eindrücke, die in das Drehbuch einfließen, eine dramaturgische Struktur finden – auch wenn es sich um eine unkonventionell erzählte Geschichte handelt.
Was hat Sie zu dieser besonderen Familiengeschichte inspiriert?
Ich bin bei SOMMERHÄUSER von einem wichtigen Ort meiner Kindheit ausgegangen: Ein unbebautes Grundstück in München, das meiner Familie gehörte. So etwas gibt es heute nicht mehr. Das Grundstück von damals ist mittlerweile auch bebaut worden. Ich wollte einfach die Sommer meiner Kindheit einfangen.
Der Film spielt im Jahre 1976, Sie selbst sind 1979 geboren. Und doch bekommt man den Eindruck, dass Ihnen die in SOMMERHÄUSER geschilderte Familienkonstellation sehr vertraut ist?
SOMMERHÄUSER ist kein autobiografischer, sondern ein sehr persönlicher Film. Keiner der Konflikte in SOMMERHÄUSER hat tatsächlich so in der Realität stattgefunden. Aber einzelne Personen haben mich inspiriert und viele Situationen, die ich in meinem Film schildere, habe ich selbst erlebt: Kaffeetrinken mit meinen Großtanten, Baumhaus bauen, in den Nachbargrundstücken herumstreunen und immer wieder Geburtstagsfeste im Garten.
Das Jahr 1976, in dem mein Film angesiedelt ist, habe ich natürlich nicht selbst als Kind erlebt, ich bin ja in den 1980er Jahren groß geworden. Ich habe SOMMERHÄUSER trotzdem in den 1970er Jahren angesiedelt, weil es einen Ort wie den Garten von Oma Sophie in den 80er Jahren womöglich schon nicht mehr gegeben hätte. Dieser Garten hat etwas Hermetisches. Man fährt dahin und ist für die Außenwelt nicht mehr erreichbar. Es gibt keine Handys, noch nicht mal ein Festnetztelefon, kein Internet. Außerdem hat das Zusammentreffen an diesem Ort eine Unbedingtheit, die es heute in Familien so nicht mehr gibt. Es war einfach selbstverständlich, dass man am Wochenende und in den Ferien dort hinfährt. Obwohl es viele Konflikte gibt und man vielleicht auch schlechte Erinnerungen mit einem Ort verbindet, fährt man immer wieder dorthin. Das hat in der 80er Jahren schon angefangen sich aufzulösen.
In SOMMERHÄUSER wird dem Zuschauer das Lebensgefühl der 1970er Jahre zwischen einer verbreiteten Krisenstimmung und einem neuen Aufbruch vermittelt. Würden Sie Ihren Film als nostalgisch bezeichnen?
Ich glaube, dass SOMMERHÄUSER auf eine Art nostalgisch ist, weil ich versuche, einen gewissen Sehnsuchtsort meiner Kindheit wiederzubeleben. Mit den 70er Jahren hat das bei mir weniger zu tun, weil sie bei mir keine nostalgischen Gefühle wecken. Ich habe mich erst im Zuge meines Films intensiv mit dieser Zeit befasst und viel darüber gelesen. Es ist interessant, dass es wenig Filme über die 70er Jahre in Deutschland gibt, in denen nicht die RAF zum Thema gemacht oder gängige 70er-Jahre-Klischees verarbeitet werden.
Weil Sie gerade die Recherche zu ihrem Film erwähnten: Wie sind Sie dabei genau vorgegangen?
Ich habe mich vor allem mit den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen in den 70er Jahren beschäftigt – und mit der Frage, wie man seine Zeit damals verbracht hat, wohin man in den Urlaub gefahren ist z.B. Außerdem haben mich diese ganzen alltäglichen Kleinigkeiten im Leben der Menschen interessiert, z.B. welches Eis die Kinder gegessen und welche Spielsachen sie benutzt haben. Die Wasserrutsche aus Amerika, die man im Film sieht, ist tatsächlich ein Ergebnis dieser Recherchearbeit. In den 70ern war alles, was aus Amerika kam, noch etwas ganz Besonderes.
Während der Garten für die Kinder vor allem ein Abenteuerspielplatz ist, verbinden die Erwachsenen oft schmerzliche Erinnerungen mit diesem idyllischen Ort. Warum gelingt ihnen die Vergangenheitsbewältigung nicht so richtig?
Weil sie wahrscheinlich den meisten Leuten im Leben nicht gelingt. Schmerzliche Situationen aus der Kindheit oder der frühen Erwachsenenphase verdrängt man lieber, als sie zu bewältigen oder aufzuarbeiten. Ich sehe in der verstorbenen Oma Sophie in SOMMERHÄUSER eine starke Frau, die das Leben ihrer Kinder vollkommen dominiert hat. Während sich Ilse, eine ihrer Töchter, um sie gekümmert hat und dadurch wahrscheinlich sehr von ihr abhängig war, ist die andere Tochter Mathilde früh aus der Familie geflohen und hat ihr eigenes Leben gelebt. Sohn Erich hat hingegen seine eigene Familie gegründet und nie aufbegehrt gegen die Mutter. Seine Technik: einfach still halten und sich nicht äußern. Für die Beziehung mit seiner Frau Frieda ist diese Einstellung aber nicht förderlich. Über den Vater der Familie wird nicht wirklich gesprochen unter den Geschwistern. Er wurde einfach aus ihrem Leben verdrängt
Ich hab das Gefühl, dass sich Familienkonstellationen auch heute noch oft wiederholen. Man lebt vielleicht nicht genau die Ehe seiner Eltern nach, aber es gibt durchaus immer wieder Konflikte oder Situationen, die wiederkehren.
Welche Rolle spielt das Verschwinden der kleinen Nina für die Geschichte?
SOMMERHÄUSER spielt ganz bewusst im Jahre 1976, in dem der sogenannte „Kannibale von Duisburg“ gefasst wurde. Er ermordete damals zwischen acht und 14 Menschen und verzehrte sie teilweise. Dieses latente Gefühl der Bedrohung, das über der Familie schwebt, fand ich spannend. Die Kinder sollten nicht ganz sicher sein an diesem idyllischen Ort. Das Baumhaus im Film ist ein bisschen zu hoch und hat eine ungesicherte Hängebrücke, auf der man theoretisch abstürzen könnte. Es gibt einen mysteriösen Nachbar, den niemand zu Gesicht bekommt – und man erfährt über das Radio und die Zeitung von der Geschichte eines verschwundenen Mädchens aus der Nachbarschaft.
Es sollte eine unterschwellige Spannung aufgebaut werden, dass den Kindern etwas passieren könnte, aber man nie genau weiß, wie sich diese Spannung letztendlich entladen wird.
Haben Sie in Bezug auf die Motivsuche bewusst Ausschau nach einem geeigneten Drehort in Bayern gehalten?
Wir hatten zwei Location-Scouts, die fünf Monate lang in ganz Bayern nach geeigneten Motiven Ausschau gehalten haben. Ich selbst wohne am Ammersee und wir haben letztendlich auch dort gedreht. Es war zunächst sehr schwierig ein geeignetes Motiv zu finden, weil der Garten sehr groß sein sollte und in München war das utopisch, weil die unbebauten Grundstücke sehr klein sind. Es war letztlich purer Zufall, dass wir ein so nahe an München gelegenes Hauptmotiv gefunden haben. Für den zweiten Drehort, das Nachbargrundstück, wurden wir erst in Niederbayern fündig.
Es gibt mehrere Sommerhäuser in dem Gemeinschaftsgarten von Oma Sophie, richtig?
Ja, es gibt insgesamt drei.
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